Gerne hätte ich Georg Baselitz selber gefragt. Aber als sich die diversen TV-Teams in der Interview-Warteschlange aus lauter Ungeduld langsam in die Haare gerieten, gab ich auf. Die Frage wäre gewesen: Warum, Herr Baselitz, stehen die Figuren in Ihren Bildern auf dem Kopf?
Kunsthistoriker behaupten, dass er mit dieser Verdrehung die figurativen Motive irgendwie in die Abstraktion entlässt oder so. Der 80-jährige Starkünstler hatte an der Medienkonferenz in der Fondation Beyeler eine ganz andere Antwort auf diese (nicht gestellte) Frage parat: «Der Künstler muss auffällig werden, will einen starken Auftritt mit seinem Schaffen, das sich in Worten nur schwer ausdrücken lässt.»
Im lesenswerten Interview mit Ausstellungskurator Martin Schwander im Katalog zur Ausstellung seiner grossformatigen Gemälde und Skulpturen führt er diesen pragmatischen Gedanken weiter:
«Ich habe nach den Fraktur-Bildern, in denen ich den Kubismus verhohnepiepelt habe, gemerkt, dass alles, was ich mache, irgendwie unmöglich war. Ich konnte nichts verkaufen, wer sollte dieses furchtbare Zeug denn auch mögen. (…) Ich habe einen waghalsigen Schritt gemacht, auch aus der Einsicht, so oder so nichts zu verlieren. (…) Der Skandal blieb aus. Die Leute fanden das bescheuert. Der Schock setzte erst später ein.»
Das mit dem Schock ist längst vorüber. Baselitz hatte 1969 mit den «verkehrt rum» gemalten Bildern sein Markenzeichen, das ihn zum Star machte. Seine Bilder sind, auch wenn der eine oder die andere diese Motivumkehr nach wie vor für bescheuert halten mag, Millionen wert.
Und sie hängen nun in der Fondation Beyeler, die stolz ist, den Künstler zum 80. Geburtstag und sich selber mit dieser Ausstellung würdigen zu können. «Sie gehört zu den besten zeitgenössischen Ausstellungen in unserem Haus», sagte Fondation-Direktor Sam Keller. Und der Künstler schätzt sich glücklich, sein Schaffen in diesen «wunderbaren Räumen» ausgestellt zu sehen.
Sie machen sich gut in den Museumsräumen in Riehen. Bei einem Bild, dem riesigen Gemälde «Avignon Ade» von 2017 wurde es allerdings knapp: Das fast fünf Meter hohe Bild reicht vom Boden bis just an die Decke.
Zu sehen sind aber nicht nur die Kopfüber-Bilder. Es soll eine Retrospektive sein, die auch das Frühwerk mit einbezieht. Also auch die Frühwerke, zu denen Baselitz sagt: «Ich wollte mit Scheisse Bilder machen» und die für einen grossen Skandal sorgten. So etwa «Die grosse Nacht im Eimer» (1962/63), das Porträt eines missgestalteten Knaben mit einem enormen Penis, der onaniert.
Das Bild löst heute noch etwas Ekel aus. Baselitz selber scheint sich mit seinem Frühwerk versöhnt zu haben: «Ganz am Anfang steht der grösste Mist, den ich gemacht habe», sagt er. Beim Gang durch die Ausstellung sei er nun aber zu Schluss gekommen: «Aus diesen aus Bösartigkeit entstandenen Werken sind schliesslich gute Bilder geworden.»
Der Künstler, der früher als schwieriger und arroganter Zeitgenosse gefürchtet war, lächelt heute wie ein gutmütiger Opa. Er wirkt vor allem zufrieden mit den Ausstellungen im Beyeler und im Kunstmuseum, scheint sich wohl zu fühlen in Basel, der Stadt, die er neben seinen weiteren Wohn- und Arbeitssitzen in Salzburg und in Deutschland zur Teilzeit-Wahlheimat auserkoren hat. Tatsächlich verbindet eine lange Geschichte Basel mit Baselitz. 1970 fand im Kunstmuseum die erste Museumsausstellung überhaupt mit Werken von Georg Baselitz statt. 1984 folgte eine weitere Ausstellung in der Kunsthalle Basel.
Und eben dieses Kunstmuseum besitzt heute die wohl weltweit grösste Sammlung an Papierarbeiten des Künstlers – nicht wenige darunter wurden von Baselitz geschenkt. Das Museum zeigt diese nun in einer Parallelausstellung in den eigenen Räumen im Untergeschoss des Neubaus.
Die Gegenüberstellung ist interessant. Scheinen gewisse Gemälde von Baselitz wie Zeichnungen, die mit dicken Strichen auf die Leinwand gepinselt wurden, wirken die eigentlichen Zeichnungen oft bildhaft. Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass Baselitz 1969 mit seinem Entschluss, die Motive auf den Kopf zu stellen, begann, seine Gemälde nicht mehr an Staffeleien zu malen, sondern die Leinwände wie Zeichnungen flach auf eine Unterlage beziehungsweise auf den Boden zu legen.
Mehr als bei den Bildern wird in den Zeichnungen der Prozess und Wille spürbar, die Bilder vom Motiv zu emanzipieren, mit der Umkehrung also gewissermassen einen Schritt in die Abstraktion zu vollziehen, ohne auf die figurativen Elemente zu verzichten. Auch wird in vielen Kohlezeichnungen die Wut unmittelbarer spürbar, die offensichtlich stets ein wichtiger Antrieb für Baselitz‘ Schaffen war. Etwa in den beiden eindrücklichen Zeichnungs-Zwölfergruppen «Kampfmotive» I und II.
Insofern ist es ein lehrreicher Glücksfall, dass sich die Fondation Beyeler und das Kunstmuseum Basel beide gleichzeitig dem Werk von Baselitz widmen.
Fondation Beyeler: Georg Baselitz. Bis 29. April 2018
Kunstmuseum Basel: Georg Baselitz – Werke auf Papier. Bis 29. April 2018