Oh Ihr Götter, wie archaisch und fremd ist das alles!

Das Musiktheater «Oresteia» mit der archaisch-brutalen Musik von Iannis Xenakis am Theater Basel ist eine happige Kost für das Publikum. Regisseur Calixto Bieito stellte sich dieser Herausforderung, was man als Zuschauer auch tun sollte.

Orestes (Michael Wächter) rächt die Ermordung seines Vaters mit dem Mord an seiner Mutter. Das geht ganz gehörig ans Gemüt.

(Bild: Sandra Then)

Das Musiktheater «Oresteia» mit der archaisch-brutalen Musik von Iannis Xenakis am Theater Basel ist eine happige Kost für das Publikum. Regisseur Calixto Bieito stellte sich dieser Herausforderung, was man als Zuschauer auch tun sollte.

Wie weit kann sich Musik von den Gewohnheiten der harmonischen Klänge entfernen? Ziemlich weit, wie das Werk des 2001 verstorbenen Komponisten und Architekten Iannis Xenakis zeigt. Das Theater Basel hat drei seiner Kompositionen zur «Orestie» mit Schauspielsequenzen aus der gleichnamigen Tragödien-Trilogie von Aischylos zu einem Musiktheater-Gesamtkunstwerk zusammengefügt, das grausam anstrengt und gleichzeitig aufzurütteln vermag. «Oresteia» nennt sich das Ganze.

» Hier ein Eindruck, wie das Ganze klingt.

Architekt dieses spartenübergreifenden Werks ist der katalanische Regisseur Calixto Bieito, ein Spezialist für szenische Bilder, die aufzurütteln, zartere Gemüter aber auch abzustossen vermögen. Auf der Bühne ächzen nicht nur ein Ensemble mit fünf Schauspielern und einem Sänger, ein Erwachsenen- und ein Kinderchor mit und gegen den Teufelskreis des Rache-Fluchs aus der Orestie an. Im Hintergrund platziert tritt auch ein zehnköpfiges Kammerensemble von Basel Sinfonietta zum musikalischen Wettstreit zwischen säuselnden Klangsphären und archaischem Schlagzeug-Donnerhall an.

Vater tötet Tochter, Mutter tötet Vater, Sohn tötet Mutter

Das Ganze beginnt aber erst einmal ohne Ton und mit einem Video. Ein Mann verfolgt nachts in einem Wald ein Mädchen, das aus einem Auto zu fliehen versucht, und erdrosselt es. Wer etwas über die «Orestie» Bescheid weiss, konstatiert: Auf der Leinwand spielt sich die grausame Vorgeschichte eines grausamen Spiels ab: Der griechische Feldherr Agamemnon opfert aufgrund eines Orakelspruchs seine Tochter Iphigenie.

Es ist von Vorteil, wenn man sich in den verstrickten Rache-Teufelskreis der «Orestie» einliest, bevor man sich die knapp zweistündige Aufführung setzt. Denn es ist doch recht knifflig, aus den altgriechischen Gesängen und den deutschen Schauspielversen den Handlungsstrang zu fassen zu bekommen.

Klangliche und bildnerische Wucht

Gut vorbereitet kann man sich denn auch ganz der klanglichen und bildnerischen Wucht der Aufführung widmen. Bieito war hier auch als Bühnenbildner tätig. Ein grober Bretterboden ragt über die eigentliche Bühnenrampe bis in den Zuschauerraum hinein. Am Schluss wird ihn Orestes (Michael Wächter), der angestachelt von seiner Schwester Elektra (Lisa Stiegler) die Mutter Klytaimnestra (Myriam Schröder) ermordet hat, aufreissen. Und er wird die Wahlurne mit den Stimmen, die ihn eigentlich von der Schuld und vom Fluch freisprechen sollten, ins Loch werfen und zerschmettern.

Als Regisseur führt Bieito das Spiel stringent auf eine archaisch-pathetische Ebene, ohne die Darsteller und die Chöre zu übermässiger Agitation anzutreiben. Er vertraut vielmehr auf den atmosphärischen Ausdruck der Musik und des Textes: auf die Monologe der Schauspieler, die vom Bariton ins Falsett japsenden Kabinettstücke des einzigen Gesangssolisten Holger Frank als Kassandra und La Déesse Athéna sowie auf die weit über das Gesangliche hinausreichenden Laute der formidablen Chöre, die auch mal scharren, stampfen und pfeifen. Nur die Morde – es wird ja auch noch Agamemnon (Simon Zagermann) umgebracht, während Aigisthos (Steffen Höld) überraschenderweise überlebt – lässt er realistisch zelebrieren.

Beachtliche Ensembleleistung

Es ist ein ausgesprochen anstrengender Abend für das Publikum. Mit einer Handlung, die sich nicht so leicht nachvollziehen lässt. Mit einer Musik, die man mit Fug und Recht als hässlich bezeichnen kann. Und mit einer Lichtregie, die auf manchen Plätzen zuweilen einen Blendschutz per Hand oder Programmheft nötig macht.

Aber es ist, wenn man sich auf alles einlässt, ein Theaterabend, der durch seine archaische Kraft und Ausstrahlung beeindruckt und aufrüttelt. Und der einmal mehr beweist, zu welch ausserordentlichen Leistungen das Basler Ensemble fähig ist.
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Theater Basel: «Oresteia», ein spartenübergreifendes Musiktheater nach Aischylos mit Musik von Iannis Xenakis. Die nächsten Vorstellungen am 29. März und am 1., 3., 6. April.

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