Die Ausstellung «Preabsence» des Künstlers Rafael Lozano-Hemmer im HeK thematisiert An- und Abwesenheit. Dabei wird der Besucher als Mitgestalter eingebunden und darf seine Spuren hinterlassen.
«Die Idee ist, dass etwas vom Besucher zurückbleibt, wenn er die Ausstellung verlässt», sagt Sabine Himmelsbach, die Direktorin des HeK (Haus der elektronischen Künste), und meint damit nicht den vergessenen Regenschirm im Eingangsbereich. Nein, hier geht es um Stimmen, Wörter, Herzschläge und Fingerbeeren. Aber keine Angst, die Aufopferung des Besuchers in der Ausstellung «Preabsence» ist minimal, wenn auch entscheidend.
Der mexikanisch-kanadische Künstler Rafael Lozano-Hemmer macht die Besucherinnen und Besucher zu Komplizen und Teilnehmerinnen und scheut dabei den technischen Aufwand nicht. Die elf ausgestellten Werke bedienen sich verschiedenster Medien.
Der Künstler verwendet Technologien wie Trackingsysteme und biometrische Messverfahren, deren Anwendung üblicherweise dazu dient, Räume zu überwachen und vermeintliche Täter zu finden, und stellt diese in den Ausstellungskontext, um verschiedene Wahrnehmungsebenen zu verdeutlichen. Ein schwer greifbares System wird dadurch materialisiert, bleibt jedoch abstrakt. Jedoch verschiebt sich der Sachbestand von seinem technologischen Zusammenhang auf eine poetisch-philosophische Ebene.
Crowdsourcing ist ein schreckliches Wort
Im grössten Raum der Ausstellung wird der Besucher mit einer riesigen Hautlandschaft konfrontiert. Es handelt sich um das Kunstwerk «Pulse Index», das aus über 700 Bildschirmen in verschiedenen Grössen besteht, auf denen Fingerabdrücke in Nahaufnahme zu sehen sind. Der Besucher soll hier seinen Zeigefinger in ein digitales Mikroskop stecken. Es zeichnet den Fingerabdruck auf und erfasst die Herzfrequenz. Der Fingerabdruck wird dann als einer von vielen auf dem ersten und grössten Bildschirm der Hautlandschaft abgebildet – bis der nächste Besucher kommt.
Die Idee sei, dass das Kunstwerk durch den Anwender kreiert wird, sagt Lozano-Hemmer und hängt seiner Aussage noch das Wort «Crowdsourcing» an. «Aber das ist ein schreckliches Wort! Schreibt das nicht auf!», fügt er noch schnell hinzu. Doch es ist zu spät, dieses Wort gefällt den Journalisten, denn es beschreibt so schön fremdsprachlich, worum es in vielen von Lozano-Hemmers Kunstwerken geht – nämlich um Kunst, deren Betrachter zu Mitgestaltern werden.
Unterschiedlichste Fingerabdrücke. (Bild: Kate Russel)
Mexikanische Herzschläge
In allen Werken schwingt auch das Thema Erinnerung mit – im Eingangsbereich in Form von 127 Glühbirnen. Schon bevor der Besucher die Ausstellung betritt, ist seine Teilnahme gefragt. Die dort an der Decke hängenden Glühbirnen leuchten einzeln in scheinbar willkürlichem Rhythmus auf.
Der Besucher soll sich nun an einer Fitnessgerät-ähnlichen Konstruktion mit beiden Händen festhalten. Damit wird der Herzschlag des Besuchers gemessen und dessen Rhythmus auf die Glühbirnen übertragen. Sobald der Besucher loslässt, wird sein Herzschlag in der ersten Glühbirne gespeichert, und die Herzschläge der vorhergehenden 126 Besucher blinken mit einem Donnergeräusch weiter.
Präsenz trotz Abwesenheit – der Titel wird hier deutlich. Thematisiert werden damit die Erinnerung und die digitalen Spuren, die wir täglich im Netz oder auch im realen Leben hinterlassen. Besonders eindrücklich ist die Tatsache, dass ein Teil dieser materialisierten Herzschläge noch aus Mexiko stammt, dort befand sich die Ausstellung, bevor sie in der Schweiz gezeigt wurde.
Das könntest du sein
Zum Komplizen wird der Besucher auch auf einer Makroebene, nämlich indem ihm vor Augen geführt wird, dass er Teil des Weltgeschehens ist. In «Level of confidence» geschieht dies ganz konkret, indem ein Gesichtserkennungssystem das Gesicht des Besuchers mit den Gesichtern von 43 mexikanischen Studenten vergleicht und die Übereinstimmung testet. Dieses Werk soll an die Entführung dieser Studenten der Ayotzinapa-Normalista-Schule in Iguala erinnern. Offiziell wurden die Studenten von der Polizei und dem Militär entführt, ermordet und deren Leichen verbrannt.
«Wie kann ich als Bürger etwas unternehmen, anstatt als Künstler von dieser traurigen Situation zu profitieren?», fragt Lozano-Hemmer, denn so wie viele andere zweifelt er an der offiziellen Begründung des Verschwindens der Studenten. Als Tropfen auf den heissen Stein geht der Erlös des Kunstwerks an die betroffenen Familien.
Der Aktivismus bleibt allerdings vor allem symbolisch. Die Software, die tatsächlich für die Suche von Tätern verwendet wird, soll hier zwar den Opfern zugutekommen, stellt aber hauptsächlich eine empathische Verbindung zu den Vermissten her, indem sie sagt: Das könntest du sein!
Wasser zum Lesen
«Technologie ist eine Sprache, die wir verwenden wie jede andere», sagte schon Medienwissenschaftler Marshall McLuhan. Und wie bei vielen anderen Kunstwerken in «Preabsence» nimmt Lozano-Hemmer abstrakte Vorstellungen beim Wort – und zwar wortwörtlich. Mit «Call on water» darf sich das HeK mit einer Weltpremiere brüsten. Das Werk besteht aus einem Pool, aus dem Wörter und Sätze des mexikanischen Schriftstellers Octavio Paz in Form von Wasserdampf aufsteigen.
«Call on water» scheint wie eine Verbildlichung des Gedichts «A draft of shadows», das von Wasser, Wörtern und deren Umwandlung in Sprache spricht. «The water is for reading, not drinking», heisst einer der symbolträchtigsten Sätze, der mittels eines Ultraschallbestäubers in die Luft geschrieben wird. Im Vergleich zu den restlichen Werken ist die ausgeklügelte Technik, die dahintersteckt, nur wenig präsent. Der Besucher kann die Poesie einatmen und fühlt sich dank angenehmer Luftfeuchtigkeit und Blubbergeräusch ein bisschen wie in einem Spa.
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«Rafael Lozano-Hemmer: Preabsence», HeK (Haus der elektronischen Künste Basel), 9. Juni bis 28. August 2016