Die deutsche Schriftstellerin Felicitas Hoppe hat mit «Hoppe» ihre eigene fiktive Biografie geschrieben. Nicht, weil sie sich ein besseres Leben wünscht, sondern weil die Fantasie die wichtigste Ergänzung der Realität ist. Die Büchnerpreisträgerin 2012 spricht am 6.11. im Literaturhaus Basel.
Frau Hoppe, Sie sind pausenlos unterwegs und wohnen gerade als Stipendiatin im Literaturhaus Lenzburg. Wie lebt es sich als Gast?
Für Leute, die kontinuierlich einer einsamen Arbeit nachgehen, ist das Herumkommen eine Wunschvorstellung. Auf der anderen Seite sitze ich als subventionierter Gast des Literaturhauses immer in einem Dankbarkeitsgeflecht. Auch wenn ich nicht jeden Tag Blumen bringen muss, bin ich doch in einer spezifischen Pflicht. In den letzten Jahren habe ich die Stipendien etwas zurückgeschraubt.
Sie können es sich leisten?
Ja, weitgehend. Und das freut mich besonders, weil ich meine Bücher keinen kommerziellen Zwängen unterwerfe. Wenn ich jedoch damals gewusst hätte, wie schwierig das Überleben in diesem Beruf wird, hätte ich ihn vielleicht nicht gewählt.
Leben Sie einsam?
Auf jeden Fall. Doch mein Leben ist sehr geteilt. Ich habe Phasen der kompletten Abgeschiedenheit, gerade bei solchen Gastaufenthalten. Gestern zum Beispiel habe ich 12 Stunden gearbeitet und bin nicht vor die Tür gegangen. Und dann ist das Buch fertig, man geht mit ihm auf Reisen und hat eine Überkommunikation: jeden Tag andere Leute, die man nie wieder sieht. Dieses Verhältnis stimmt überhaupt nicht.
Was ist schwierig am Schriftstellerwerden?
Die einen sagen, die Veröffentlichung des ersten Buches ist die grosse Hürde. Die anderen sagen, es ist das zweite. In der Rückschau zeigt sich mir: Schwierig ist das vierte, fünfte, sechste – Die Frage ist, wie man künstlerische Kontinuität aufbaut und sich trotzdem weiterentwickelt.
Was macht einen guten Schriftsteller aus?
Interessant wird es, wenn sich jemand etwas vornimmt, von dem er glaubt, es nicht schaffen zu können. Das unperfekte Buch interessiert mich mehr als das perfekte. Das auf hohem Niveau Gescheiterte finde ich toll. Vielen jungen Schriftstellern merkt man an, dass sie bereits darauf fixiert sind, Ansprüchen zu genügen und bestimmte Muster zu befolgen. Und in den Verlagen predigt man uns: Denk an den Leser! Aber wer an den Leser denkt, hat eigentlich schon verloren. Etwas mehr Risiko könnte nicht schaden.
Morgen sprechen Sie im Literaturhaus Basel. Was halten Sie von Autorenlesungen?
Das ist extrem heikel. Ich bin nicht gegen Events, aber zum Teil sind sie sehr verlogen. Sie sind ein Ritual, ein Wettbewerb: Wer schafft es, wen zu bekommen? Es ist wie in der Kirche. Die Autoren und das Publikum kommen um gesehen zu werden und gesehen zu haben. Ich habe grossen Respekt vor dem Publikum und finde, dass man ihm etwas bieten muss. Auch wenn es unglaublich schwer ist, auf der Bühne gute Gespräche zu führen. Die Beteiligten müssen absolut an einer Erkenntnis interessiert sein. Und das ist in diesem Geschäft nur selten möglich.
Warum?
Weil diese Veranstaltungen ein Rollenspiel sind. Sie folgen bestimmten Mustern. Selbst da, wo provoziert wird, sagt der Moderator: «Also ich provoziere Sie jetzt mal ein bisschen.» Da sind wir wieder beim Thema Risiko. Und dann muss sich im Gespräch auf der Bühne etwas vollziehen, wo der Zuhörer sagt: «Ist ja irre, die begegnen sich wirklich, die haben sich etwas zu sagen!» Veranstalter brauchen grosse Namen und sind froh, wenn der Abend ohne Vorfälle durch ist. Doch es gibt viele Alternativen zu diesen kulturpolitischen Events, zum Beispiel die kleinen Lesebühnen in Berlin. Die sind proppenvoll mit jungen Leuten und die Stimmung ist super. Die Formen erneuern sich ständig, ich habe keine Sorge, dass da mit Lesen und Schreiben irgendwas zu Ende geht.
A propos jung. Sie waren Jurorin beim Berliner Talentwettbewerb Open Mike. Wie war Ihr Eindruck?
Alle Teilnehmer waren schon total darauf ausgerichtet, auf eine bestimmte Weise rüberzukommen. Wenn heute einer experimentelle Lyrik macht, ist das immer ein Experiment im Rahmen dessen, was gerade Mode ist.
Welche Moden sind zur Zeit im Umlauf?
Das ist schwer zu sagen, weil die Vielfalt sehr gross ist. Bei Open Mike gab aber es zum Beispiel kein Gedicht, in dem nicht irgendwie englisch vorkam. Was ich schon wieder altmodisch finde.
Die Veranstaltung, bei der Sie im Literaturhaus Basel sprechen, trägt den Untertitel: «Wie Geschichten die Welt verändern». Tun sie das?
Das haben sie wohl aus meiner Preisrede für den Büchnerpreis. Dort habe ich gesagt: Wer schreibt und spielt, handelt auch. Man sagt normalerweise: Die einen schreiben und die anderen handeln. Ich glaube aber, dass von Texten eine grosse Suggestiv- und Wirkungskraft ausgehen kann, die auch unser Handeln bestimmt. Auch politischen Handlungen liegen Geschichten zugrunde.
In Ihrem Buch «Hoppe», das vor einem Jahr erschienen ist, fantasieren sie Ihre Traumbiografie. Beschreiben sie ein besseres Leben?
Nein. Das Fantasieren ist das notwendige Gegenstück zum Leben. Wir stellen uns viele Dinge vor ohne den konkreten Wunsch, sie auszuagieren. Es käme nicht gut, wenn die Menschen hätten, was sie sich wünschen. Man sieht das im Märchen, wo man traditionell drei Wünsche hat. Der erste ist meistens triebhaft: Der Mann wünscht sich eine Bratwurst. Dann ärgert sich seine Frau, dass er den Wunsch vertan hat und wünscht sich, dass ihm die Wurst an der Nase hängen soll. Den dritten Wunsch, den sie übrig haben, müssen sie zur Schadenswiedergutmachung verwenden.
Die Fantasie ist nicht so folgenreich wie der reale Wunsch.
Genau. Ich kam einmal in ein Seminar und da sagte mir jemand: Sie bringen Ihre Familie um, weil Sie sich in Ihrem Buch als Einzelkind fantasieren. Er kam aus der Psychoanalyse. Hätte ich auch so gedacht, hätte ich das Buch nicht schreiben können. Viele Leser des Buches waren peinlich berührt, weil ich meine eigene Person mit so viel Offenheit verhandle. Zugleich fasziniert es die Leute, dass sich da jemand ein neues Leben erfindet. «Hoppe» ist kein easy reading, aber mein meistverkauftes Buch.
Warum peinlich berührt?
Die Fantasie denkt sich unmögliche oder nicht gewählte Varianten zur Realität aus. Das bedroht viele Leute. Aber wenn ich mir ein Leben mit einem anderen Mann fantasiere, heisst das ja nicht, das ich mich gleich scheiden lasse. Die ganze Schulzeit übersteht man nur, weil man sich wegträumt. Ich empfinde das nicht als Missstand.
Wie wichtig ist Fantasie?
Fantasie ist ein Mittel, die Welt, wie sie ist, zu überhöhen. Sie ist eine Handlungsstrategie. Das, womit wir tagtäglich zu tun haben, finde ich zum Teil so bedrückend, dass ich es ohne spielerischen Umgang nicht ertragen könnte.
Jetzt sind alle wichtigen Worte des Psychoanalytikers Sigmund Freud gefallen. Ist das Zufall?
Ich kenne Freud kaum und bin ehrlich gesagt froh darum. Sonst hätte ich meine Bücher nie geschrieben.
Wie funktioniert Ihre Fantasiestrategie? Zum Beispiel wenn der Schaffner im Zug dumm tut?
Ich versuche mir vorzustellen, dass das jetzt ein Film wäre und wir das so spielen müssen. Er muss jetzt böse sein, das hat der Regisseur ihm so gesagt. Der spielerische Umgang mit den Dingen gibt eine grosse Freiheit, ohne dabei aus der Welt zu fallen. Oft wird gesagt, Träumer träumen sich weg. Aber Traum und Welt sind untrennbar. Mich nervt, wenn Leute sagen, die Hoppe hat ja so eine starke Fantasie. Alles, worüber ich schreibe, kommt aus der Wirklichkeit. Ohne Aussenwelt keine Innenwelt! Wir greifen uns Dinge, die um uns herum sind, und machen daraus mit den Mitteln der Fantasie etwas neues.
Welche Figur Ihres Buches ist fantastischer, die erzählte «Hoppe» oder die Erzählerin, die sich ebenfalls «fh» nennt?
Die Biografin «fh», sie ist vielleicht auch die interessantere. Die Kritikerstimmen, die von fh zitiert werden, habe ich ebenfalls erfunden, weil ich aufschreiben wollte, wie ich über meine eigene Literatur nachdenke. Diese Vorgehensweise ist nicht leicht zu lesen. Beim Schreiben dachte ich oft: Wer will mir da folgen? Zugleich wusste ich, es muss genau so sein, ich kann es nur so. Über diesen Zwiespalt und dieses Risiko wollte ich schreiben.
Ist Ihnen diese Erzählerin «fh», die über «Hoppe» nachdenkt, aus Ihrem Leben bekannt?
Ja. Die Arbeit an dem Buch fing an, indem ich mir beim Fussweg zur Arbeit eine Radiosendung ausdachte – teilweise laut vor mich hersprechend – in der Leute über mich diskutierten. Und ich selbst war schon tot. Das hat unheimlichen Spass gemacht. Die Reflexionsmühle, die jeder am laufen hat, bekam so eine bestimmte Form.
Ist diese Reflexionsmühle gefährlich?
Unbedingt. Und der Schriftstellerberuf befördert sie. Deswegen gibt es nichts besseres, als mit jemandem zu reden, zum Beispiel mit meinem 21-jährigen Neffen. Dann komme ich aus der Reflexionsschiene raus und bin sofort gut drauf. Ohne diesen Gegenpol kann man das Schreiben vergessen.
Sie schreiben eine Fantasiegeschichte, in der auch reale Personen vorkommen, die sie nie getroffen haben. Zum Beispiel die Familie des kanadischen Eishockeystars Wayne Gretzky. Bringt das Schwierigkeiten mit sich?
Ich war beim Justiziar und habe das abgeklärt, er sagte, das sei kein Problem. Doch wenn ich Wayne Gretzky wäre und würde dieses Buch über mich lesen, ich wäre seltsam berührt. Ich habe bis heute ein mulmiges Gefühl, das muss ich ganz ehrlich sagen.
Vor einem Jahr haben Sie den Büchnerpreis bekommen. Wie fühlt sich das heute an?
Der Preis war grandios und ich habe ihn bis zum letzten ausgekostet. Jetzt bin ich froh, dass ich den Löffel ab- und an Sibylle Lewitscharoff weitergeben kann. Häufig werde ich gefragt, wie es sich im Kanon der ganz Grossen anfühlt. Doch der Effekt war eher andersherum: Wenn sogar ich diesen Preis bekommen kann, dann können meine Vorgänger auch nur mit Wasser kochen. Man kommt mit diesem Preis nicht in den Olymp, sondern der Olymp auf die Erde. Das finde ich toll.
- Mittwoch, 6. November 2013, 19 Uhr: Imagination und Veränderung: Wie Geschichten die Welt verändern. Felicitas Hoppe im Gespräch mit Alexander Honold.
- Literaturhaus Basel, Barfüssergasse 3.