Oliver Zimmermann vom Hirscheneck: «Ich will die rohe Seite des Techno zeigen»

Es kracht im Hirscheneck: Basels traditionsreicher Punkkeller startet mit einem Technofestival in die neue Saison. Verantwortlich für die Hausrevolution im Kollektivbetrieb ist Oliver Zimmermann (27). Im Interview sagt er, was ihn musikalisch antreibt.

Bringt den rohen Technogroove Berlins nach Basel: Oliver Zimmermann vom Hirscheneck. 

(Bild: Alexander Preobrajenski)

Es kracht im Hirscheneck: Basels traditionsreicher Punkkeller startet mit einem Technofestival in die neue Saison. Verantwortlich für die Hausrevolution im Kollektivbetrieb ist Oliver Zimmermann (27). Im Interview sagt er, was ihn musikalisch antreibt.

Oliver Zimmermann, Basel ist bekannt für Techno, Sie bringen solchen nun auch ins Hirscheneck – verabschiedet sich das Hirschi vom Punk und wird nun Mainstream?

Nein, sauber produzierten Techno für die Massen gibt es zwar viel in Basel, in aufgeräumten Clubs. Ein grosser Bereich an technoider Musik, die mir gefällt, hat hier aber bisher keine Heimat.

Und passt das in einen Punkkeller?

Ich komme ja selbst auch aus dem Punk, und dieser Techno hat viel damit gemeinsam. Mit dem Kracht Festival will ich die rohe Seite des Techno zeigen, der nicht in polierte Clubs passt, sondern in dreckigen Kellern daheim ist.

Der Keller allein reicht kaum als Gemeinsamkeit. Punk heisst rohe, politische Parolen, rausgerotzt in drei Minuten. Im Techno hypnotisiert ein stimmbefreiter stoischer Beat dank Endlos-Schlaufe.

Punk ist auch nicht generell politisch. Aber ich ziehe den Vergleich sowieso weniger musikalisch denn subkulturell. Als die jungen Menschen nach dem Mauerfall die leerstehenden Häuser Berlins mit Raves bespielten, gab es keinen Chef oder leitenden Kopf, nur die egalitäre Bewegung. Irgendwo war ein DJ und die Leute lebten sich aus. Für mich ist das eine Weiterentwicklung des Punkgedankens. Der wiederum stagnierte, als ein paar Köpfe Rockstars wurden und es nur noch um diese Gesichter ging. Techno bleibt weitgehend anonym. Die Message kommt nicht in Worten, aber der Beat trägt dich auch subtil in ein Lebensgefühl von Freiheit und Anti-Establishment. Ausserdem gibt es durchaus Soundreferenzen zum Industrial. Beim Post-Punk ersetzten Synthesizer die Gitarren und irgendwann fiel noch die Stimme weg. Wobei am Donnerstag mit Pure Ground auch ein Projekt mit Stimme dabei ist.

Wie hört sich das an? Wie wüst gegrunzter Vocal House?

Nein. Das Duo aus Los Angeles geht mit seinem minimalistischen Sound eher in den Industrial Wave. Sie besingen Endzeit-Szenarien. Die Worte versteht man nicht immer, der Gesamteindruck ist aber unmissverständlich und das klare Gegenstück zu einer House Party. Techno ist so unbestimmt wie Rock. Jeder versteht darunter etwas Anderes. Mir geht es nicht um Genres, sondern um Haltung. Im Hirschi wünsche ich mir ein Publikum, das nicht auf Genres reduziert denkt. Gehen Ravers an Rockshows und Punks an Technopartys, ist das doch für alle spannender.

Bringt den rohen Technogroove Berlins nach Basel: Oliver Zimmermann vom Hirscheneck. 

Mit dem Zuzug von Sabrina Tschachtli sorgt diese Saison ein neues Team für das Programm im Hirschi-Keller: Gehen nun die Experimente los?

Hier soll man etwas Spezielles erfahren, etwas durchaus Dreckiges, das man sonst in Basel nicht findet. Ich will Berlin nicht glorifizieren, auch dort läuft einiges falsch. Aber dort siehst du Punks, die zur Musik eines schreienden Typen am Modular-Synthie pogen. Das gefällt mir enorm. Dementsprechend missverstanden fühl ich mich von vielen, die sich das, was ich mache, nicht mal anhören. Doch kaum lesen sie Techno, meinen sie: «Ey, das Hirschi ist nicht das Nordstern.» Nein, das hier ist was ganz anderes, aber das ist auch Techno.

Ist das der Widerstand aus dem Kollektiv? Ganz fremd ist elektronische Musik im Hirscheneck nicht. Drum’n’Bass fand aus diesem Keller in die Stadt.

Aktiven Widerstand gegen meine Veranstaltungen gibt es hausintern nicht, Vorbehalte aber schon. Da heisst es: «Hey, das ist doch keine handgemachte Musik. Dafür ist das Hirschi da!» Vielleicht war es bei den Drum’n’Bass-Partys so, dass DJs auflegten. Darüber weiss ich zu wenig, dafür bin ich zu jung. Beim Kracht Festival wird aber sicher live Musik gespielt. Bei Blush_Response am Freitag ist alles handgemacht am Modular-Synthesizer. Das ist ein vielseitiges Instrument – wie eine Gitarre.

Die Ressentiments der älteren Generation kann man verstehen: Schliesslich killte Techno in den 90er-Jahren alles, was Gitarrenmusik war. Bands waren in den Clubs plötzlich unerwünscht. Stirbt nun der Punk im Hirschi?

Der lebt hier sicher weiter. Sabrina Tschachtli setzt voll auf Bands, und auch ich organisiere weiterhin Konzerte. Nur bin ich wählerischer als in meinen Anfängen mit 17 Jahren. Mein Repertoire hat sich erweitert, was ich den Leuten auch präsentieren will. Darum ein Festival. Das zeigt gleich ein Spektrum und nicht nur eine Facette auf.

Dieses Jahr buhlen Techno-Tempel wie das Nordstern oder das Elysium mit neuen Custom-Made-Anlagen um den besten Bass in Basel. Hat der Hirschi-Keller auch aufgerüstet?

Wir haben eine gute, für uns angefertigte Anlage. Die ist vor allem für Konzerte ausgelegt, funktioniert aber auch bestens für Techno mit viel Verzerrer. So kommt es schön dreckig. Ich will im Ausgang keinen Studioklang. Es muss scheppern wie an einem Punkkonzert.

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Heute startet das 1. Kracht Festival im Hirscheneck. Der Donnerstag gehört Live-Performern aus L.A. und Berlin sowie Lokalmatador Oszilot,
der sonst bei der Altenativ Band L’Arbre Bizarre musiziert.
Am Freitag wird der Techno tanzbarer. Bis auf Bonnie von den Basler Rehbellen kommen alle Musiker und DJs aus Berlin.

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