Zu Sandro Bernasconis Merkmalen gehören seine ruhige Ausstrahlung und sein gelassenes Auftreten. Der Musikchef der Kaserne und Direktor des Festivals Open Air Basel dürfte in den vergangenen Tagen aber einen etwas nervöseren Eindruck gemacht haben. Denn bis gut zwei Wochen vor dem Auftakt am 9. August wusste er nicht, ob er die neunte Ausgabe des dreitägigen Musikfests auf dem Kasernenareal absagen oder zumindest massiv einschränken muss.
Für die Festivalmacher hätte dies einen wirtschaftlichen Kollaps und einen kaum wieder gutzumachenden Imageschaden bedeutet. Bernasconi spricht von einem sechsstelligen Betrag, der im Nichts zerronnen wäre.
Die Veranstalter und Musikfans können aber aufatmen: Die Veranstaltung kann nun doch wie lange geplant und vorbereitet stattfinden.
Über 25 Lärmklagen von Nachbarn
Verantwortlich für die Zitterpartie sind Nachbarn, die gegen das Veranstaltungsgesuch Einsprache erhoben haben. Aber auch die Bewilligungsbehörden haben ihren Teil dazu beigetragen.
Die Veranstalter hatten das Gesuch für die diesjährige Ausgabe bereits im Oktober 2016 eingereicht. Die Allmendverwaltung liess sich aber gut anderthalb Jahre Zeit für dessen Veröffentlichung. Erst am 24. Mai 2018 wurde das Gesuch im «Kantonsblatt» publiziert, versehen mit einer Einsprachefrist bis 25. Juni. «Da bleibt wahrlich nicht mehr viel Zeit, um sich mit einer Einsprache zu befassen», sagt Bernasconi.
Das 2010 lancierte Open Air Basel ist mit seinen bislang acht Ausgaben mittlerweile ein Fixpunkt in der Kulturagenda von Basel. Eine Routineangelegenheit für die Behörden und Veranstalter, könnte man meinen.
Dennoch musste Bernasconi mit Einsprachen rechnen. Denn während der letztjährigen Ausgabe trudelten doch einige Lärmklagen ein. Zwar nicht «rund 100», wie Matthias Nabholz, Leiter des für Lärmfragen zuständigen Amts für Umwelt und Energie (AUE) gegenüber dem SRF-«Regionaljournal» sagte, sondern «über 25». Das geht aus dem Bericht der Kantonspolizei an eben dieses Amt hervor. Dennoch zu viele, um ein reibungsloses Bewilligungsprozedere vorauszusetzen.
Absage oder massive Einschränkungen gefordert
Ein alarmierendes Vorzeichen war auch eine Petition mit dem Titel «Für mehr Wohnqualität rund um die Kaserne», die im Moment zur Behandlung bei der Petitionskommission liegt. Auf diese Petition berufen sich denn auch die Anwohner in ihrer am 19. Juni eingereichten Einsprache. Konkret verlangen sie eine Ablehnung des Gesuchs. Und falls dieses absolute Anliegen nicht durchkommen sollte, eine Beschränkung der Lautsprecherbewilligung auf zwei Tage und maximal sechs Stunden pro Tag, also von 17 bis 23 Uhr.
«Ich hätte die Hauptacts streichen müssen, die als Schlusspunkte programmiert sind.»
Das hätte einen massiven Einschnitt für das Programm zur Folge gehabt. Im Veranstaltungsgesuch waren wie in den Vorjahren Veranstaltungszeiten am Donnerstag von 14 bis 22 Uhr sowie am Freitag und Samstag von 14 Uhr bis 24 Uhr beantragt worden. «Ich hätte einen grossen Teil der elf programmierten Konzerte streichen müssen, darunter die Hauptacts, die als Schlusspunkte programmiert sind», sagt Bernasconi.
Wie begründet nun der Kanton die sehr späte Publikation des Gesuchs? Auf Anfrage der TagesWoche verkünden die involvierten Ämter aus dem Bau- und Verkehrsdepartement sowie des Departements für Wirtschaft, Soziales und Umwelt ihr Bedauern über die späte Publikation. Schieben den schwarzen Peter aber an die Gesuchsteller ab:
Das 2016 eingereichte Gesuch war leider nicht vollständig. Die vollständigen Unterlagen wurden erst am 27. März 2018 eingereicht, obwohl wir bereits Anfang Januar 2018 entsprechend nachgefragt hatten. Nachdem die Unterlagen vorlagen, benötigte der Veranstalter nochmals über anderthalb Monate und erneutes Nachhaken, um die Angaben des ursprünglichen Gesuchs zu bestätigen. Erst am 18. Mai 2018 lagen alle Angaben vor und die vom Gesetzgeber vorgegebene Frist von drei Monaten für die Bearbeitung von Gesuchen konnte beginnen.
Das sieht Bernasconi nicht so. «Meiner Auffassung nach kann nicht die Rede davon sein, dass das Gesuch unvollständig war», sagt er. Allerdings habe er spät auf die Nachfrage aus der Allmendverwaltung reagiert, ob alle Angaben aus dem Gesuch von Oktober 2016 noch zuträfen. «Leider habe ich es versäumt, bereits früher nachzuhaken», sagt er.
Aufwendiges Prozedere auch bei eingespielten Anlässen
Wie aus der Stellungnahme des Kantons hervorgeht, geht ein Gesuch für eine Veranstaltung in der Grössenordnung des Open Air Basel durch viele amtliche Hände:
Die am Bewilligungsverfahren beteiligten Fachinstanzen sind unter anderem: das Amt für Umwelt und Energie zwecks Recycling oder Lärmfragen, das Tiefbauamt zwecks Reinigung und Entfernung allfälliger Bänke usw., die Kantonspolizei zwecks Verkehrsregelung u. a., die Feuerpolizei bei temporären Bauten und Zelten, die IWB zwecks Strom- und Wasseranschluss usw.
Von diesem Prozedere wird auch nicht abgerückt, wenn bereits acht vorangehende Festivalausgaben bewilligt wurden. Veranstaltungen dieser Grössenordnung könnten nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht in einem vereinfachten Verfahren oder Meldeverfahren abgehandelt werden, heisst es in der Stellungnahme der involvierten Ämter.
Letztes Jahr tatsächlich zu laut
Diese Ämter dürften nun einen besonders scharfen Blick auf das Gesuch für die neunte Ausgabe geworfen haben, weil es 2017 tatsächlich zu Lärmüberschreitungen gekommen ist. Dies aber nicht aus bösem Willen oder Fahrlässigkeit der Veranstalter, wie auch die kantonalen Ämter einräumen. Grund war eine ungenügende Abstimmung zwischen der Sound-Anlage und dem Active-Noise-Control-System zur Minimierung der Bass-Emissionen.
«Der Veranstalter hat die Fehlerquellen der letztjährigen Lärmüberschreitungen erkannt und die zuständigen Bewilligungsinstanzen erwarten, dass sich diese Fehler nicht wiederholen», heisst es von Behördenseite.
«Würden wir die Bässe runterdrehen, wäre das ein unstatthafter Eingriff in das Werk der Musiker.»Sandro Bernasconi, Musikchef Kaserne Basel
Beim Debriefing zwischen dem Veranstalter und dem AUE im Dezember 2017 hätten die Bedenken ausgeräumt werden können, sagt auch Bernasconi, der nach eigenen Angaben sogar in einem aufwendigen Verfahren prüfen liess, ob ein anderer Bühnenstandort für weniger Emissionen sorgen könnte. Mit dem Resultat allerdings, dass sich der bisherige Standort als der beste herausstellte.
Und von diesem Standort werden auch dieses Jahr wieder fette Bässe auf das Festivalgelände prasseln. Etwa beim Auftritt des britischen Minimal-Duo Mount Kimbie am Samstagabend. «Bässe sind wesentlicher Teil des musikalischen Ausdrucks solcher Bands», sagt Bernasconi. «Würden wir sie runterdrehen, wäre das ein unstatthafter Eingriff in das Werk, den sich die Musiker sicher zu Recht nicht bieten lassen würden.» Er habe schon genügend Mühe damit, den Musikern die Höchstgrenze von 96 Dezibel ab 22 Uhr plausibel zu machen.
Andere Musikfestivals in Zentren von Schweizer Städten, wie etwa «Moon & Stars» in Locarno, die «Winterthurer Musikfestwochen» und «Stars in Town» in Schaffhausen haben übrigens geringere Auflagen von 98 bis 100 Dezibel einzuhalten. Und auch keine Verpflichtung, die Bässe unschädlich zu machen.
Open Air Basel, 9. bis 11. August auf dem Kasernenareal: Das Programm bietet eine anregende Mischung von Indie-Acts aus der Schweiz und dem Ausland. Unter anderem mit Faber (CH) und Unknown Mortal Orchestra (NZ) am Freitag sowie Altin Gün (NL) und Mount Kimbie (GB) am Samstag. Für die Konzerte am Donnerstag wird kein Eintritt verlangt.