Parasit am Ziel

Nach dem Riesenerfolg «Zone» hat Mathias Énard mit «Strasse der Diebe» ein weiteres Buch über die Konflikte des Mittelmeerraums geschrieben. Die Resonanz ist kleiner und geteilt. Dabei ist gerade das Irritierende des Buches eindrücklich. Am 14. Januar liest der Autor im Literaturhaus.

Als eine Spanierin ihm den Kopf verdreht, packt den Marokkaner Lakhdar der Traum von der Überfahrt nach Europa. (Bild: Valentin Kimstedt )

Nach dem Riesenerfolg «Zone» hat Mathias Énard mit «Strasse der Diebe» ein weiteres Buch über die Konflikte des Mittelmeerraums geschrieben. Die Resonanz ist kleiner und geteilt. Dabei ist gerade das Irritierende des Buches eindrücklich. Am 14. Januar liest der Autor im Literaturhaus.

Für seinen Roman «Zone» (2010) erntete Mathias Énard Lob in höchsten Tönen. Im vergangenen Sommer erschien sein Folgeroman auf deutsch, «Strasse der Diebe» – und wurde ungleich weniger beachtet. Vor allem ist da die Besprechung von Lena Bopp in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Ein mustergültiges, weil zeitbezogenes Vorhaben nennt sie das Buch, in dem sich der junge Marokkaner Lakhdar aus Tanger in eine spanische Studentin verliebt und sich schliesslich aufmacht, aus seinen Lebensumständen ohne Perspektive nach Spanien auszuwandern. Den politischen Hintergrund bilden der Arabisch Frühling, muslimischer Fundamentalismus und die europäische Wirtschaftskrise. Ein weiterer Zonenroman, könnte man schnoddrig sagen, verdichten sich doch im Mittelmeerraum die Konflikte unserer Zeit.

Lena Bopp findet jedoch, Énards Versuch gehe nicht auf: Es gelinge ihm nicht, die afrikanisch-europäischen Konflikte anhand der Geschichte eines jungen Auswanderers zu erzählen. Die Zufälle und Begegnungen, die Lakhdar unverhofft voranbringen, scheinen ihr unplausibel. Ebenso Lakhdars Reflexionen der politischen Zusammenhänge, die mit dem Feinsinn des Autors, der in Barcelona Arabisch lehrt, nicht mithalten könnten.

Glückliche Fügungen

Klingt einleuchtend. Und streng. Bleibt nämlich die Frage, was Lena Bopp beim Lesen für ein Erlebnis hatte. War ihr langeweilig? Oder hat das Buch sie unfreiwillig gepackt? Anders gefragt: Mag sie wohl Märchen? Oder würde sie sagen: Total unwahrscheinlich, dass der König sieben Töchter hat? Tatsächlich hat Lakhdars Weg etwas märchenhaftes. Seit seine Cousine Meryem, die er unehelich geschwängert hat, an der improvisierten Abtreibung gestorben ist, gerät er von einer Katastrophe in die nächste. Doch dazwischen folgt eine glückliche Fügung auf die andere: Ein Franzose gibt ihm Arbeit in der Freihandelszone, später kann er auf einer Fähre arbeiten, die ihn nach Spanien bringt und schafft es schliesslich bis zu Judit nach Barcelona und fasst dort Fuss.

Glück im Unglück. Oder umgekehrt. Denn jede der Fügungen ist von Tragik begleitet. Lakhdar muss über Leichen gehen und Demütigungen hinnehmen. Obwohl in gewisser Hinsicht am Ziel, bleibt er Parasit. Die märchenhafte Fügung bringt ihn bis dort und doch nicht weiter. Genau darum ist «Strasse der Diebe» ein eindrückliches Buch.

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Lesung und Gespräch, Literaturhaus Basel, Dienstag, 14. Januar, 19 Uhr.

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