Das Stadtkino Basel zeigt zum 40. Todestag des italienischen Regisseurs und Publizisten Pier Paolo Pasolini eine Retrospektive. Darunter ist auch sein verstörendster Film: «Saló oder die 120 Tage von Sodom».
Manche Filme, die vor Jahrzehnten für Skandale sorgten, Zensur provozierten und Debatten anstifteten, verlieren mit der Zeit ihre Brisanz. Pier Pablo Pasolinis «Saló oder die 120 Tage von Sodom» gehört nicht dazu. Nicht, weil das Empörungspotenzial über die Darstellung von Gewalt im Kino noch dasselbe ist wie vor 40 Jahren, als Pasolinis letzter Film in einem Pariser Kino erstmals gezeigt wurde (und danach für Jahre auf der schwarzen Liste landete). Subgenres wie Splatter, Slasher und Torture-Porn haben, primär über den DVD-Markt, Formen der Schlachterei erreicht, die Pasolinis kammerspielartige Inszenierung bedächtig erscheinen lassen.
«Saló» entkoppelt Gewalt von jeglicher Moral und entlarvt sie als Stimulans der Macht. Ekel erregen nicht die versklavten Jünglinge, die Kot fressen müssen, nicht die abgeschnittenen Zungen und rohen Vergewaltigungsszenen. Pasolinis Horror besteht in der politischen Struktur der Gesellschaft: ein Bildungsbürgertum, das keinen anderen Zweck seiner Macht mehr kennt als die totale Ausschweifung.
Pasolinis Zweittitel «Die 120 Tage von Sodom» verweist auf das gleichnamige Fragment von de Sade, dessen Unterdrückungsfantasien ihm als Orientierung dienten. Aber «Saló» hat eine historische Entsprechung – die Marionettenrepublik von Mussolini, die dem italienischen Diktator nach dem Einmarsch der Alliierten in Süditalien während den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs noch blieb. De facto von den deutschen Nationalsozialisten beherrscht, war die «Republik» ein Willkürstaat, in dem die alte faschistische Elite für kurze Zeit der totalen Macht frönte, bevor die Achsenmächte vollends zusammenbrachen.
Klerus und Bürgertum in einem barbarischen Akt der Wollust
Pasolinis verstörende Bilder nähren sich aus jener Untergangserwartung: Die alte Führungsschicht, repräsentiert durch Klerus und Bürgertum, reisst jede noch bestehende Verbindung zu ihren Mitmenschen nieder, indem sie diese zur Ware, zum Gebrauchsgegenstand degradiert und sie am Ende ihrer Nutzbarkeit in einem barbarischen Akt der Wollust zu Tode foltert.
Der italienische Regisseur eckte in den 70ern bei vielen Mächtigen an, seien es die Faschisten, Kommunisten oder Katholiken: Dass der 17-jährige Stricher Pino Pelosi den Filmemacher im Alleingang ermordet haben soll, daran gab es schon 1975 berechtigte Zweifel. Ein Mitarbeiter von Pasolini will nun neue Beweise dafür haben, dass PPP einem Komplott zum Opfer fiel, wie der «Spiegel» berichtet.
«Saló» wurde schon von zeitgenössischen Kritikern als Parabel auf die Todesherrschaft in den Konzentrationslagern verstanden. Die Allgegenwart abendländischer Kulturkraft, Poesie von Baudelaire und Benn, Musik von Chopin und Beethoven und architektonische Symbiosen aus Jugendstil und Bauhaus sind jedoch deutliche Hinweise darauf, dass Pasolini nicht alleine den historischen Faschismus kommentierte.
Die Kälte der erbärmlichen quasi-staatlichen Herrschaftsrituale, die Reduzierung von männlicher Sexualität auf Gewaltorgien – all diese Verbindungen hat Pasolini erkannt, im Faschismus wie in der Nachkriegszeit, und er versucht gar nicht erst, sie in einer stilisierenden Bildsprache zu verbergen. Die Perversion der Macht, Pasolini zeigt sie in entsetzlichem Ernst.
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«Pier Pablo Pasolini: Passion–Poesie–Provokation»: Stadtkino Basel, 19., 21. und 23. November.