Pfusch, Streit, offene Rechnungen – die Theater-Sanierung gerät zum Debakel

Die Sanierungsarbeiten im Theater Basel sind gestoppt. Zwischen Kanton und dem zuständigen Elektrounternehmen tobt ein erbitterter Streit ums Geld. Mehrkosten und weitere Verzögerungen sind die Folge, Firmenkonkurse drohen. Beim Millionenprojekt lief bislang vieles schief.

Kein Zutritt zum Theater? Wär das schlimmstmögliche Szenario, wenn die Arbeiten nicht fertiggestellt werden können.

(Bild: Dominique Spirgi)

Die Sanierungsarbeiten im Theater Basel sind gestoppt. Zwischen Kanton und dem zuständigen Elektrounternehmen tobt ein erbitterter Streit ums Geld. Mehrkosten und weitere Verzögerungen sind die Folge, Firmenkonkurse drohen. Beim Millionenprojekt lief bislang vieles schief.

Dem grossen Tag sind lange Nächte vorangegangen. Es ist Oktober 2015, Saisoneröffnung im Theater Basel, Inauguration von Andreas Beck als neuem Leiter des Hauses. Bis zur letzten Stunde arbeiten die Handwerker, Proben müssen verschoben werden, die Bühne liegt unter Baustaub. 

Beck ätzt tags vor der Premiere von Mussorgskis wuchtiger Oper «Chowanschtschina», wäre der Regisseur kein Russe, er hätte längst das Weite gesucht. Nicht mal die Heizung funktioniert, zwei Sänger leiden deswegen an einer Erkältung. «Die Zustände sind unhaltbar», schimpft Beck, der aus Wien nach Basel gelotste Theaterchef.

Anders ist die Stimmungslage an jenem Tag bei Marc Keller, dem Sprecher des Bau- und Verkehrsdepartements. Keller sagt heute, er habe im Oktober 2015 gezittert, dass alles rechtzeitig fertig wird: «Nicht auszudenken, was passiert wäre, hätten wir die Eröffnung verschieben müssen.»

Das Publikum bekommt davon nichts mit. Als der Vorhang fällt, hallt lange Applaus durch den Saal. Doch die Probleme sind noch immer da, und sie sind gewaltig.

Verlängerte Sommerpause in der Diskussion

«Bei der Elektrosanierung ist vieles schlecht gelaufen», bilanziert ein Jahr später Thomas Blanckarts, Leiter des verantwortlichen Hochbauamts. So schlecht, dass jetzt, im zweiten Jahr der auf fünf Jahre ausgelegten Sanierung, die Schlampereien und Versäumnisse des ersten Jahres aufgearbeitet werden. So, dass über eine weitere verlängerte Sommerpause 2017 diskutiert wird. Dass das Hochbauamt mit dem Theater darüber verhandeln will, wo bei den ausstehenden Sanierungsarbeiten gespart werden kann.

«Wir holen den Rückstand in den kommenden Jahren auf», verspricht Blanckarts. Noch im Juli hatte er gegenüber «Onlinereports» geäussert, es gebe keine Indizien dafür, dass die Mehrkosten höher als drei Prozent des Budgets von 72 Millionen Franken betragen werden. Heute relativiert er die Aussage: «Falls es zu Mehrkosten kommen sollte, werden wir einen Nachtragskredit beantragen.»

Projektleiter zweimal ausgetauscht

Blanckarts spricht von einem der schwierigsten Projekte, die er je zu verantworten hatte. Zweimal musste sein Amt seit Baubeginn den Projektleiter auswechseln. Der erste wechselte innerhalb dreier Monate zur Roche. Die überforderte Nachfolgerin wurde vom Amt nach einem weiteren halben Jahr ausgetauscht. Der Zeitbedarf des Projekts habe ihr Arbeitspensum überstiegen, sagt Blanckarts. Auch der jetzige Projektleiter hat einzelne Firmen bereits gegen sich aufgebracht. «Es ist nicht alles ideal gelaufen, auch von unserer Seite aus», räumt der Amtsleiter ein.

Komplett schief gingen die Sanierungsarbeiten im Elektrobereich. Seit Monaten wird hinter den Kulissen erbittert ums Geld gestritten, die meisten Arbeiten im Theater sind deswegen gestoppt. Im Zentrum der Diskussionen steht der Elektroinstallateur Elektronorm-Falconi. Das Unternehmen aus dem Tessin ist ein neuer Player auf dem Basler Markt, angelt sich aber mit seinen tiefen Preisen Auftrag um Auftrag. Im neuen Biozentrum arbeiten ebenso Techniker von Elektronorm wie im Kirschgarten-Schulhaus. Das lokale Gewerbe beäugt das mit Misstrauen.




Runterhängende Kabel – die Elektroarbeiten sind ausstehend. (Bild: Dominique Spirgi)

Im Theater war Elektronorm ursprünglich nur Juniorpartner des spanischen Konzerns Emte (heute Comsa Emte). Weil Emte keine Schweizer Niederlassung besitzt, spannte es Elektronorm mit ein. Gemeinsam sicherte man sich den Auftrag für die Elektroarbeiten – das Konsortium verlangte fast 20 Prozent weniger als der einzige Mitbewerber, die Basler K. Schweizer AG.

«Wir hätten früher die Reissleine ziehen können.»
Thomas Blanckarts, Leiter Hochbauamt 

Was dann geschah, wurde durch die TagesWoche bereits bekannt: Emte schickte zu spät zu wenig Personal, das zudem kaum deutsch sprach. Sechs Monate lang schaute der Kanton zu, bis die Situation auf der Baustelle im Sommer 2015 eskalierte. Schliesslich zog sich Emte im August 2015 zurück, die Arbeiten übernahm vollständig Elektronorm-Falconi. Rückblickend sagt Blanckarts: «Im Nachhinein ist man immer klüger. Wir hätten früher die Reissleine ziehen können, aber in den ersten Monaten durften wir davon ausgehen, dass wir mit Emte auf einen guten Weg gelangen.»

Als der Weg von Emte endete, standen die Tessiner gehörig unter Druck. Im Zeitplan lag man Monate zurück, das Personal fehlte an allen Ecken und Enden. Deshalb griff die Firma auf Personalverleiher zurück, mietete sich quasi die Fachkräfte dazu. Die Notübung schien aufzugehen. Nach der Premiere bedankte sich das Bau- und Verkehrsdepartement öffentlich bei Elektronorm: «Mit viel Engagement aller Beteiligten konnte ein Grossteil des Verzuges aufgearbeitet werden.» Das Unternehmen erhielt sogar einen Bonus dafür, dass man rechtzeitig eröffnen konnte.

Trotzdem wartet die Firma bis heute auf ihr Geld und mit ihr mindestens ein vom Konkurs bedrohter lokaler Subunternehmer.

Vorwürfe im Raum

Als es darum ging festzustellen, welche Arbeiten Elektronorm ausgeführt hat und was diese kosten, eskalierte die Lage erneut. Die Tessiner überwarfen sich mit dem mandatierten Elektroplaner Scherler AG. Immer wieder wies der Planer die Unterlagen von Elektronorm zurück. Was den Bruch in der Arbeitsbeziehung verursacht hat, ist unklar. Es stehen massive Vorwürfe im Raum, die sich aber nicht belegen lassen. Klar ist allein: Den Untergang von Elektronorm würde im lokalen Gewerbe niemand betrauern.

Im März 2016, ein halbes Jahr nach der Neueröffnung, wartete Elektronorm noch immer auf 2,2 Millionen Franken aus der ersten Bauphase. 7,6 Millionen Vorschuss hatte das Unternehmen erhalten. Bis im Juni wurde weiter gestritten, wurde ein Gutachten eingeholt. Schliesslich einigten sich Planer und Elektronorm auf 9,8 Millionen Franken, die Elektronorm zugute hätte.

Schaden nicht der Versicherung gemeldet

Doch der Kanton zahlte nicht, sondern tätigte Rückstellungen für allfällige Mängel. Etwa für einen Serverschaden, den Handwerker der Tessiner verursacht hatten. Wer schuld trägt am Schaden, war unumstritten, nicht aber das Ausmass des Schadens. Das konnte auch nicht mehr festgestellt werden, denn das Hochbauamt tat etwas, was kein Autofahrer nach einem Unfall tun würde. Es ersetzte den Server, ohne die Versicherung den Schaden begutachten zu lassen – und zog Elektronorm dafür 400’000 Franken ab. «Wir mussten schnell handeln, damit das Theater seinen Betrieb sicherstellen konnte», rechtfertigt Blanckarts das eigentümliche Vorgehen. Ein später beigezogener Versicherungsexperte meinte, so etwas habe er in seiner Berufslaufbahn noch nie erlebt. 




Chaotische Kabelverläufe überall. (Bild: Dominique Spirgi)

Ende Mai musste Elektronorm ein Drittel seiner Belegschaft am Standort Basel entlassen, angeblich weil in der Kasse die Entschädigung für die Theatersanierung fehlte. Am Geschäftssitz stapelten sich bis vor Kurzem Betreibungen über 600’000 Franken. Lieferanten verlangten von den Tessinern plötzlich für alles Vorauskasse. Weitere Arbeiten in Basel gerieten ins Stocken: Im Kirschgarten-Schulhaus sollten neue Lampen installiert werden – und Elektronorm hatte nicht genügend Bargeld, diese zu bestellen.

Subunternehmer vor dem Konkurs

Das alles wusste der Kanton, auch, dass die Tessiner vom Konkurs bedroht waren. Mehrfach wiesen die Verantwortlichen darauf hin. Doch das Amt weigerte sich zu zahlen. Obwohl beigezogene Experten die geleisteten Arbeiten begutachteten und die Summe, die Elektronorm veranschlagte, für plausibel hielten. Blanckarts sagt dazu: «Die Aufzeichnungen von Elektronorm waren nicht nachvollziehbar, so dass weder unser externer Planer noch wir sie akzeptieren konnten. Wir waren gezwungen, einen Teil des Entgelts zurückzubehalten. Alles andere wäre unverantwortlich gewesen.»

Weil Elektronorm nicht entschädigt wurde, gerieten auch die Finanzen der beigezogenen Subunternehmer in Schieflage. Nun wurde man im Amt erstmals nervös, den Kollaps von Basler Firmen wollte man nicht riskieren. Schliesslich einigte man sich auf eine direkte Auszahlung der Ausstände der Subunternehmer durch das Hochbauamt. Mindestens ein Personalverleiher wartet aber immer noch auf mehrere Hunderttausend Franken und ist akut vom Konkurs bedroht. Auch der Elektroplaner Scherler hat offene Rechnungen über 600’000 Franken und deshalb alle Arbeiten auf der Theater-Baustelle eingestellt. 

Auftrag soll neu ausgeschrieben werden

Derweil wird weiter verhandelt. Und nach bald einem Jahr Stillstand haben sich die beiden Parteien angenähert. Das erstaunliche Ergebnis: Nachdem monatelang die Ansprüche von Elektronorm bezweifelt worden waren, liegt man nun nur noch 200’000 Franken auseinander. Der Kanton anerkennt Leistungen über 10,8 Millionen Franken, Elektronorm fordert 11 Millionen. Mit den bereits überwiesenen Geldern konnten die Tessiner ausstehende Löhne bezahlen.

Trotzdem wäre auch bei einer Einigung das letzte Kapitel des Debakels um die Sanierung des Basler Theaters nicht geschrieben. Man verhandelt derzeit über einen vorzeitigen Ausstieg von Elektronorm-Falconi aus dem Vertrag. Die restlichen Elektroarbeiten sollen neu ausgeschrieben werden. Mehrkosten und Zeitverlust sind die wahrscheinliche Folge. 

Ob dann alles rund läuft, ist ungewiss. Die Möglichkeit besteht, dass sich Elektronorm-Falconi auch auf die neue Ausschreibung bewirbt. «Wir werden neue und schärfere Eignungskriterien formulieren und gehen davon aus, dass sie aufgrund der jüngsten Erfahrungen diese Kriterien nicht erfüllen werden», betont – und hofft – Blanckarts. 

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