Von der Medizin zur illegalen Droge, vom heiligen Rauch zum Satanswerk: Das Museum der Kulturen Basel widmet dem faszinierenden Phänomen Opium eine ebenso lehrreiche wie sinnliche Sonderausstellung.
Das Opium weitet aus, was ohne Grenz‘ und Schranken,
Es dehnt die Unermesslichkeit,
Es höhlt der Wollust Rausch, vertieft das Meer der Zeit,
Und mit Genüssen, schwarzen, kranken
Macht es die Seele übervoll und weit.
Charles Baudelaire «Das Gift» (aus «Die Blumen des Bösen»)
Der in Plastikfolie eingepackte bräunliche Klotz im Eingangsbereich zur Sonderausstellung wirkt auf den ersten Blick nicht sonderlich spektakulär. Das ändert sich aber, wenn man den handbeschriebenen Zettel liest: «Opium – Türkisch, MO-Gehalt = 14,13 %, Eingang: 2.3.1973». Der Klotz, die richtige, aber etwas missverständliche Bezeichnung lautet «Opiumbrot», ist über ein Kilogramm schwer und wäre sicherlich auch bei einem geringeren Gewicht hinter Glas ausgestellt worden.
Ein Klotz Opium mit einem Gewicht von mehr als einem Kilogramm enpfängt die Ausstellungsbesucher. (Bild: Dominique Spirgi)
Opium! Was für ein Begriff. Opium ist die wohl geschichtsträchtigste Rauschdroge überhaupt. Paracelsus, der berühmte Mediziner, der im 16. Jahrhundert in Basel lehrte, schuf mit der Opiumtinktur Laudanum ein Meilenstein der Pharmazie. Grosse Poeten und andere Persönlichkeiten aus verschiedenen Kulturen nutzten Opium als Inspirationsquelle, während das Proletariat daran zugrunde ging. Grossbritannien führte wegen Opium zwei Kriege, das Haus Yves Saint Laurent nannte ein legendäres Parfüm Opium…
Reise ins Reich der Sinne
Eine Ausstellung zum Phänomen Opium beinhaltet also theoretisch Kulturgeschichte, Handels- und Kolonialgeschichte, sie könnte von Literatur und Grenzerfahrungen handeln und Handwerkskunst präsentieren, die Medizingeschichte behandeln, Pflanzenkunde sein und ins Reich der phantastischen Sinne führen sowie die Aspekte von Drogenmissbrauch, Prohibition und Kriminalität beleuchten.
Das Faszinierende an der Ausstellung «Opium» im Museum der Kulturen ist, das sie dies alles tut. Sie ist ausgesprochen lehrreich, präsentiert aussergewöhnliche Objekte und vermittelt auf unaufdringliche aber durchdachte Art Sinneseindrücke. Nur «Probiererli» oder Probehäppchen gibt es keine, wie Museumsdirektorin Anna Schmid zu Beginn der Medienführung mit einem vieldeutigen Lachen feststellte.
«Ich richte nicht»
Die Ausstellung wurde von der Ethnologin und Wirtschaftswissenschaftlerin Doris Buddenberg kuratiert. Aus ihrer langjährigen Tätigkeit in der internationalen Zusammenarbeit mit dem Arbeitsschwerpunkt «internationale Drogenproblematik» unter anderen bei den Vereinten Nationen hat sie sich ein profundes Wissen zum Thema angeeignet.
Trotz ihrer Herkunft verzichtet sie aber erfreulicherweise auf den erhobenen Zeigefinger. Die Ausstellung hält sich, wie Museumsdirektorin Anna Schmid sagte, inhaltlich an Jean Cocteaus – auch er kannte die Wirkung der Droge gut – Devise: «Ich verteidige nichts. Ich richte nicht. Ich trage belastende und entlastende Urkunden zum Prozess des Opiums bei.»
Von der Produktion zum Rausch
Die Ausstellung zeichnet die verschiedenen Facetten des Phänomens Opium in neun Stationen nach. Es beginnt bei der Produktion und dem Handel und setzt sich über den Weg vom legalen Medikament zur illegalen Droge und die Präsentation, wie Opium konsumiert wurde (und noch wird) bis zum Versuch, Einblicke in den Zustand des Opiumsrauschs zu vermitteln, fort.
Letzteres ist eine lobenswerte Besonderheit der Ausstellung. In einem langgezogenen Raum beispielsweise durchschreitet man einen Lichterweg, der die Farbempfindungen erfahren lässt, wie sie Poeten mit Opiumkonsumerfahrungen – «Opiomanen», wie Buddenberg sie nennt, beschrieben haben. Der Weg, der mit Literaturzitaten gesäumt ist, führt unter anderem an einer «Wall of Fame» vorbei, auf der zahlreiche berühmte «Opiomanen» aufgelistet sind.
Aber auch andere Sinneseindrücke vermittelt die Ausstellung. In einem Iglu aus Glas, in dem eine reizende Miniaturszene aus einem Opiumsalon zu sehen ist, lässt sich das geschärfte Geräuschempfinden nachspüren. An zwei Duftstationen des Künstlerduos Les Christophs (Christophe Laudamiel und Christoph Hornetz) kann man am süsslichen Opiumduft schnuppern, und eine Filmprojektion zeichnet das verlangsamte und nicht-lineare Zeitempfinden nach.
Die Ikonen des Opiumkonsums
Detail einer kunstvoll verzierten Opiumpfeife (Bild: Derek Li Wan Po)
Und natürlich fehlt auch die «Ikone des Opiums», wie Buddenberg sagte, nämlich die Opiumpfeife, nicht. Die Sammlung des Museums der Kulturen hat ein paar ganz prächtige Exemplare, die mit einer Haut als Schildpatt überzogen sind oder in einem filigran verzierten Silbermantel stecken. Daneben gibt es auch einfachere Exemplare zu bestaunen sowie all die anderen Gerätschaften, die für das Opiumrauchen nötig sind, wie Pfeifenkopf, Opiumdosen, Opiumlampen und dergleichen mehr.
Ausgestellt sind auch Werkzeuge, die zur Opiumproduktion nötig sind: Kleine mehrklingige Spezialmesserchen zum Aufritzen der Samenkapseln des Schlafmohns und Schaber, mit denen der angedickte Saft schliesslich geerntet wird. Zahlreiche Leihgaben aus dem Pharmazie-Historischen Museum der Universität Basel verdeutlichen überdies, wie wichtig und verbreitet einst Opiumpräparate in der Medizin waren. Vor allem das Laudanum, das einst sogar Bestandteil von homöopathischen Reiseapotheken war.
Faszination und Elend
Die Ausstellung ist sinnlich und lehrreich. So ist unter anderem zu erfahren, dass die nationalen und internationalen Versuche, den Opiumanbau, -handel und -konsum zu kontrollieren erst 1961 in das «Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel» mündeten, das unter anderem die legale und illegale Opiumproduktion definiert. Im 19. Jahrhundert gehörte das Opiumrauchen auch in der Basler Oberschicht zum Savoir-vivre. Bis ins frühe 20. Jahrhundert war zum Beispiel Laudanum noch rezeptfrei erhältlich.
Noch immer wird unter anderem in Australien, Frankreich, Indien, Spanien, der Türkei und in Ungarn legal Opium angebaut. 2014 betrug die Erntemenge für die legale Morphingewinnung etwa 7000 Tonnen. Im Vergleich dazu: im selben Jahr wird die illegal produzierte Opiummenge in Afghanistan auf 6400 Tonnen geschätzt.
Opiumraucher in Laos (Bild: Alessandro Scotti)
Stichwort Illegalität: Die Ausstellung beleuchtet auch die brutale Wirklichkeit des illegalen Handels und Konsums von heute. Auf unaufdringliche, aber eindrückliche Art mit einer Fotostrecke des Mailänders Alessandro Scotti, der die Händler und Konsumenten in Südostasien jahrelang begleitet hat.
«Anregende Sonderausstellung»
Wenn die Verantwortlichen ihr Projekt im Medientext selber als «anregende Sonderausstellung» anpreisen, so versprechen sie nicht zuviel. Zu erleben ist ein vorbildliches Beispiel, wie ein ethnologisches Museum ein gesellschafts- und kulturgeschichtliches Phänomen anschaulich und eben anregend vermitteln kann.
Es ist eine Ausstellung, die man nicht verpassen sollte. Und für diejenigen, die noch mehr über Opium erfahren möchten, sei der Kauf der 200-seitigen, schön gestalteten Begleitpublikation aus dem Christoph Merian Verlag nahegelegt.
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«Opium». Eine Ausstellung im Museum der Kulturen Basel. Bis 24. Januar 2016