Plädoyer für die Banalität

Jeff Koons liebt den Kitsch, und dafür schämt sich der US-Künstler nicht. Sein Schaffen ist mit Absicht frei von Ironie und polarisiert gerade deshalb.

«Ushering in Banality» (1988). (Bild: ©Jeff Koons, © Taschen GmbH)

Jeff Koons liebt den Kitsch, und dafür schämt sich der US-Künstler nicht. Sein Schaffen ist mit Absicht frei von Ironie und polarisiert gerade deshalb.

Jeff Koons? Kitsch, ist da der erste Gedanke, und ganz unrecht hat man damit nicht – wenn auch mancher Kitsch schon längst zur Kunst geadelt wurde. Zu dieser Entwicklung hat gerade der Amerikaner Jeff Koons ein ­beträchtliches Scherflein beigetragen. Viele seiner Arbeiten tragen die typischen Merkmale von Kitsch: Sie sind gegenständlich, opulent, die Körper schön und glatt. Lieblingsmotive sind Helden, Heilige und Plüschtiere.

Koons’ Werke verkaufen sich und sind in Museen gern gesehene Gäste. Immer noch aber polarisiert sein Schaffen. Und immer wieder musste der Künstler seine Intentionen erklären – so lange, bis es für ihn zur Selbstverständlichkeit wurde, über seine Kunst zu reden. Er wolle über seine Werke mit den Menschen kommunizieren, sagt er, und Kitsch scheine ihm als einzige Sprache geeignet. «Ich weigere mich, an Komplexes und Bedeutsames zu glauben, und versuche auch nicht, mich selbst als bedeutende, komplexe Persönlichkeit auszugeben», gab er Anfang der 1990er-Jahre zu Protokoll.

Alles also doch nur Oberflächlichkeit bei Jeff Koons? Dies zu behaupten, würde dem Amerikaner nicht ganz gerecht. Hinter seinem künstlerischen Konzept steckt durchaus ein kritisches Hinterfragen – obwohl er dieses in seinen Werken explizit ausblendet.

Unkritische Readymades

Künstlerisch geprägt wurde Koons in New York. Er arbeitete im Museum of Modern Art und besah sich täglich die Readymade-Objekte von Marcel Du­champ – im Alltag vorgefundene und in den Kunstkontext überführte Gegenstände wie etwa ein Velorad auf einem Sockel.

Bald wollte Koons selbst einen Beitrag zum Thema Readymade leisten. Ein Resultat dieser Beschäftigung war seine Serie «The New», die ab Sonntag zusammen mit den Werkgruppen «Banality» und «Celebration» in der Fondation Beyeler zu sehen ist. «The New» besteht aus einer Reihe von fabrikneuen Staubsaugern, die in Vitrinen präsentiert werden. In ihnen zeigen sich bereits Koons’ Grundideen, die auch seine späteren Arbeiten prägen sollen: die Verwendung von Alltagsgegenständen, die inszenatorische Sorgfalt sowie Referenzen auf die Kunstgeschichte.

Doch während die Anspielung auf die Readymades eines Duchamp offensichtlich sind, grenzt sich Koons gleichzeitig klar von ihnen ab, indem er jegliche kritische Reflexion ausschliesst. Er wolle nicht, dass das Publikum vor seinen Staubsaugern über das Konsumverhalten der Amerikaner nachdenke, sagte er in einem Interview.

Doch genau dies geschah, und ­Koons sah sich zu einer leichten Konzept­korrektur gezwungen, um seine Anliegen klarer zu machen. Er legte den eher strengen Umgang mit dem Gedanken des Readymade ab und nahm sich gewisse Freiheiten heraus: Er verzichtete auf die direkte Wiedergabe von Vorhandenem, arbeitete zwar weiterhin damit, manipulierte es jedoch und formulierte es um. «Banality» war geboren, eine Serie von Objekten aus Porzellan oder Holz, die in traditionellem Kunsthandwerk gefertigt waren und die kunsthistorische Motive mit solchen aus der Populärkultur verschmelzen liessen. Die schiere ästhetische Präsenz dieser Arbeiten sollte die Menschen verführen, so die künstlerische Absicht.

«Ich hatte das Gefühl, mein Inneres schon genügend erforscht zu haben», erklärt Koons den Konzeptwechsel. Stattdessen habe er gelernt, auf die äus­sere Welt zu schauen und sei fasziniert gewesen vom visuellen Reiz, der von alltäglichen Objekten und Situationen ausgehe. Wichtig wurde für ihn, dass seine Arbeiten dem Publikum vertraut vorkommen, damit sie schnell einen Zugang zu ihnen finden. Sonst würden sie sich nicht an sie rantrauen, ist der Künstler überzeugt. Und im Kitsch fand er die ideale Sprache für dieses Anliegen.

Schöne Erinnerungen

Für Koons ist Kitsch nicht einfach nur das, was man im Laden am Flughafen noch schnell kauft. «Was du als Kitsch erlebst, ist deine Vergangenheit», sagt er. Der Kitsch generiert zudem neben seinem Erinnerungswert eine eigene Ausdrucksform für jene Gefühlswelten, die keine Moderne je wegzurationalisieren vermochte: Schönheit, Liebe, Glaube oder Hoffnung.

Gleichzeitig schäme sich der moderne Mensch dafür, Kitsch schön zu finden, meint ­Koons. Mit den Objekten der «Banality»-Serie wolle er dem Publikum helfen, diese «Schuld- und Schamgefühle abzubauen», die ihm die eigene Banalität einflössten, erklärt er in einem Interview. Die Leute sollen sich mit dem, was sie bewegt und anspricht, auch identifizieren können – mit ihrer eigenen Geschichte. «In meiner Banality-Präsentation wollte ich nur sagen: Egal, worauf du reagierst, es ist perfekt, deine Geschichte und dein eigener kultureller Hintergrund sind perfekt.»

Dafür kreierte Koons einen eigenen Glaubenssatz: «to be baptized in ba­nality», getauft zu werden in der Banalität, im Mainstream. Dies gilt für das Publikum im selben Masse wie für den Künstler selbst. Damit entsagt Koons aber auch dem Tiefsinn, ist doch Banalität die Kulturform des Unwissens. Doch während der Kitsch in den Souvenirläden banal sein darf, erwartet die Kunst vom Kitsch ein ironisches und damit kritisches Zitat. Koons ­jedoch verwehrt dieses und betont ­immer wieder, seine Kunst sei iro­niefrei. Seine Arbeiten frönen stattdessen einer hemmungslos affirmativen Kitsch-Ästhetik. Dem, was lange Zeit als Musterbeispiel für schlechten Geschmack galt.

Koons umarmt damit sozusagen das ästhetisch Böse – im Wissen darum, dass dies nur zum Skandal gereicht, ­solange die Unterscheidung zwischen Kunst und Kitsch funktioniert. Gerade diese Unterscheidung jedoch wurde, wie schon eingangs erwähnt, in den vergangenen Jahrzehnten aufgeweicht. In seinem Buch «Kitsch!» schreibt der Kultur­publizist Konrad Paul Liessmann, wer gegen Kitsch noch zu polemisieren wage, mache sich nicht nur des Kulturpessimismus verdächtig, sondern generell des ästhetischen Banausentums. Denn nur dieses habe noch nicht begriffen, dass der schlechte Geschmack heute der eigentlich gute ist. Das Hirschgeweih über dem Sofa oder die bunte Plastikmadonna neben der Toilette sind heute hip.

Ästhetische Potenz

Eine ästhetische Komponente allein genügt manch einem jedoch nicht, um Kitsch zu Kunst zu erheben, und so tut man sich als Kunstkritikerin noch immer etwas schwer mit der Einordnung. Doch, wie Liessmann anmerkt, es könnte sein, dass gerade erst im Verzicht auf Ironie das Prinzip des Kitsches seine ästhetische Potenz in der Kunst entfalten kann. Unter diesen ­Voraussetzungen stünden Koons’ Werke an vorderster Front.

Bei Koons ist Kitsch eine Wunsch­erfüllung – wie der Traum. Menschen sollen sich darauf einlassen, denn der Kitsch gehöre zu ihrer Tradition. Und sie sollen sich nicht dafür kritisieren lassen. Im Katalog zur Ausstellung in der Fondation Beyeler äussert sich ­Koons dahingehend: «Es gibt keine Rechtfertigung für Kritik – für niemanden –, denn die Dinge sind nun einmal so, wie sie sind, und damit hat sichs. Wenn man sich kritisch gegenüber etwas verhält, distanziert man sich automatisch davon und die Sache steht einem nicht mehr zur Verfügung. (…) Kritik tut so, als gebe es einen übergeordneten Spieler, irgendeine Struktur, die korrekt ist oder korrekter und in der Lage wäre zu urteilen. (…) Das heisst nun aber keineswegs, dass man nicht der Meinung sein könnte, manche Dinge seien bedeutsamer und relevanter für einen selbst, sondern es heisst einfach nur, dass man sich in diesem Augenblick aus einem bestimmten eigenen Interesse heraus entscheidet, dieses oder jenes zu verwenden.»

In diesem Sinne: Betrachten wir ­Koons’ Werke in der Fondation Beyeler unvoreingenommen. Schauen wir, ob die Verführung gelingt: Kitsch bleibt schliesslich Geschmackssache. Und falls ja, werden wir uns nicht dafür schämen.

Fondation Beyeler, Riehen, 13. Mai bis 2. September. www.fondationbeyeler.ch

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 11.05.12

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