Zeit seines Lebens war ihm in seiner sowjetischen Heimat die Anerkennung versagt. Heute zählt der Regisseur und Filmessayist Andrej Tarkowskij zu den bedeutendsten Filmemachern des 20. Jahrhunderts. Eine Festival-Ausstellung im Philosophicum Basel ehrt ihn in seinem 80. Geburtsjahr.
Sieben Spielfilme hat der sowjetische Regisseur Andrej Tarkowskij in seinem nicht allzu langen Leben – er starb 1986 im Alter von 54 Jahren – vollendet, und die überschaubare Zahl gründet in einem Motiv, das auch seinen Filmen stilistisch und metaphorisch unterlegt ist: die langsame Zerrinngeschwindigkeit der Zeit. Mehrere Jahre zogen sich die Dreharbeiten zu seinen Filmen hin, geschuldet den Einflüssen der sowjetischen Filmbehörde, die ihn wiederholt zur Überarbeitung seiner Drehbücher und ideologischer Einstimmigkeit mit der Staatsdoktrin zwangen.
Ästhetische Bilderwelten
Die wenigen Filme, die Tarkowskij so der nachstalinistischen Kulturbürokratie abwringen konnte, sind indes ohne jeden propagandistischen Wert und fallen aus ihrer Zeit heraus: als Bilderwelten bewegen sie sich, wie die Geschichte über den Ikonen malenden Mönch «Andrej Rubliow» zur Zeit der Tatarenstürme oder «Iwans Kindheit» als Schilderung einer Jugend während des Zweiten Weltkriegs, zwar in den Rahmenhandlungen teilweise innerhalb der russischen Geschichte. Aber Tarkowskijs Werk – «Film als Bildhauerei aus Zeit», so der Regisseur selbst über sein Schaffen – besticht weniger durch die Erzählinhalte als durch die Ästhetik und den Zugang zu universell-menschlichen Themen, die sich hinter den Figuren öffnen. Das poetische Element seiner Arbeiten, die Gewichtung formaler Gestaltung und reflexiven Traumbildern zuungunsten einer linearen Handlung, hat seine Filme zu einer Ausnahmeerscheinung der Kinogeschichte im 20. Jahrhundert gemacht – nicht nur in Sowjetrussland, wo er zu Lebzeiten ohne Anerkennung blieb, auch im westlichen Europa. Für «Iwans Kindheit» erhielt er 1962 den Goldenen Löwen in Venedig, für seine Interpretation des Science-Fiction-Romans «Solaris» von Stanislaw Lem ehrte ihn das Fimfestival Cannes 1972 mit dem Jurypreis, 1983 erhielt er dort ausserdem den Preis für die beste Regie für «Nostalghi».
Grosse Wirkung
Wie nachhaltig seine Arbeiten noch wirken, ermisst sich an der Ausstellung «Andrej Tarikowskij – Reflexionen», die gestern im Philosophicum Basel eröffnet wurde. Zu sehen sind unter anderem eine von Tarkowskij beeinflusste Zeichnungsserie des Schweizer Künstlers Andreas Hausendorf oder Videoarbeiten von Studierenden der HGK Basel, die sich ein Jahr lang intensiv mit Tarkowskijs Filmen auseinandergesetzt haben. Nachhören kann man seine Nachwirkung ausserdem in verschiedenen Sonderveranstaltungen in den kommenden Wochen zur Gegenwartsbedeutung Tarkowskijs.
Die Hauptlast der Ausstellung trägt biografisches Material zum Regisseur wie Übersetzungen von Gedichten des Vaters Arsenij, die ins Werk des Sohnes eingeflossen sind, Fotoaufnahmen von den Drehtagen, Briefe und Bilder aus dem Familienarchiv. Ermöglicht hat das Material Marina Tarkowskaja, Schwester des Filmemachers und an der Eröffnung als Ehrengast geladen. Heimliches Zentrum der Tarkowskij-Wochen dürfte indes das Stadtkino Basel sein: Es zeigt in einer Retrospektive die Filme des Regisseurs sowie zeitgeschichtlich verwandte Werke.
Philosophicum. Ackermannshof, Basel. St. Johanns-Vorstadt 19-21. Mo-So, 11 bis 19 Uhr. Bis 29. November. Heute Samstag, 3.11. um 19.30 Uhr, reden der langjährige Direktor der «Visions du réel» Nyon, Jean Perret, und der russische Dokumentarfilmer Vadim Jendreyko im Philosophicum über die Spuren Tarkowskijs in der Gegenwart. Am Sonntag, 4.11. um 17 Uhr eine Vorführung von Tarkowskijs autobiografischem Werk «Der Spiegel» mit anschliessendem Publikumsgespräch unter Beteiligung von Marina Tarkowskaja.