Die serbischen Künstler Maja Pelević und Milan Marković traten führenden serbischen Parteien bei, begeisterten sie mit einer Marketing-Strategie aus der Feder von Joseph Goebbels und brachten mitgeschnittene Sitzungsgespräche auf die Bühne. Skandal? In Serbien wurde die Aktion totgeschwiegen.
Die serbischen Künstler Maja Pelević und Milan Marković hatten vor drei Jahren eine zündende Idee, ohne zu wissen, wohin sie führt. Nun berichten sie davon in einer szenischen Lesung und nennen es Reality Drama. So einfach kann Kunst sein. Doch die Geschichte der beiden hat es in sich.
Das Projekt: Pelević und Marković traten sieben Parteien in Serbien bei mit dem heimlichen Vorhaben, die internen Abläufe zu dokumentieren. «Wir gingen ins Sekretariat, legten unseren Lebenslauf vor und waren dabei», sagt Marković. Kurz darauf sassen sie wichtigen Gremien bei und schnitten die Gespräche unbemerkt mit. Nach wenigen Wochen konnten sie gar bei Fragen der Kaderbesetzung mitentscheiden.
Doch damit nicht genug. Pelević und Marković legten allen Parteien eine Marketing-Strategie vor. Die Parteien waren ohne Ausnahme sehr angetan. Was sie nicht merkten, war, dass sie sich für eine Rede von Joseph Goebbels begeisterten, dem Propagandaminister der Nazis. Pelević und Marković hatten lediglich einige Namen und Stichworte geändert. Goebbels spricht darin von der zeitlosen Kraft grosser Ideen und macht Vorschläge, wie man ein ganzes Volk dafür gewinnen kann – eine religiöse Vision. Schliesslich sei es unwichtig, ob Propaganda (Pelević und Marković ersetzten das Wort durch «Marketing») niveauvoll ist oder nicht, brutal oder sanft, sondern wichtig sei allein, dass sie ihr Ziel erreicht.
Politik beschränkt sich auf Machtvermehrung
Wie kann es sein, dass dieser Coup unbemerkt blieb? Eine der Parteien setzte ein Zitat der Goebbelsrede auf ihre Homepage, ganz vorne oben. Die Übersetzung der Rede haben die Künstler dem Internet entnommen; eine Googlesuche hätte genügt, um das Spiel zu entdecken. «In Serbien gibt es keinen politischen Diskurs», sagt Marković. Es geht, auch bei den linken Parteien, um Machtvermehrung, der Rest ist Fassade. Daher zog auch Goebbels Text so gut: «Er kennt sich in diesen Abläufen bestens aus», sagt Pelević.
Im April 2012 brachten Pelević und Marković eine Performance auf zwei serbische Bühnen, in denen sie die transkribierten Mitschnitte aus den Sitzungen vorlasen. Die Reaktion der Öffentlichkeit war jedoch verschwindend. Ein paar Besucher verliessen den Saal, darunter Politiker aus den Parteien, deren Sitzungsgespräche Pelević und Marković soeben wiedergaben – sie erkannten ihre eigenen Worte wieder. Es gab einige mediale Aufmerksamkeit, doch die blieb vage.
Zum Skandal kam es nicht. Weder die entblösten Parteien, noch die Gesellschaft begehrten auf. In Serbien herrscht eine Kultur des Schweigens und Vergessens. Nach einer Woche verstummte die Berichterstattung und niemand sprach mehr darüber. «In Serbien kommen andauernd Undinge ans Licht», sagt Marković, «wenn zwei Wochen nach unserer Performance irgendwo ein riesiger Geldbetrag veruntreut wird, dann interessiert sich niemand mehr für unser Projekt.» Das kurioseste ist jedoch, das Pelević und Marković nach wie vor Mitglieder in sechs der sieben Parteien sind, deren interne Gespräche sie veröffentlichten.
Anstrengende Performance
Die Performance selbst, welche Pelević und Marković am 20. November in der Kaserne aufführten, war anstrengend. Man könnte auch sagen: minimalistisch. Pelević und Marković sitzen auf der Bühne, bis auf zwei Schreibtischlampen ist alles dunkel, sie tragen Sonnenbrillen (macht anonym), haben einen Laptop aufgeschlagen, trinken Whisky und essen Schoggi. Was ist das? Die Nachstellung eines Skypedialogs, den sie vor drei Jahren geführt haben. Darin planen sie ihre Aktion: den Parteien beizutreten, Gespräche mitzuschneiden, diese zu transkribieren und auf der Bühne vorzutragen, das alles ummantelt von eben diesem Skypegespräch – extrem viel Text, maximale Authentizität, raw and uncut.
Ist das Kunst? Die leidige Frage wird hier wieder interessant. «Die serbischen Theater sind Marionetten der Politik. Umgekehrt ist die serbische Politik nichts als Theater», sagen die Künstler. «Wenn uns die Politik verbietet, Theater zu machen, dann gehen wir halt in die Politik und machen das Theater dort.» So gesehen ist die Arbeit von Pelević und Marković mehr Aktionskunst als Theater. Das schiere Projekt, das die beiden durchgezogen haben, ist umwerfend. Mehr als das, so scheint es, braucht man als serbischer Künstler in diesen Zeiten nicht zu tun. Der minimalistische Bericht auf der Bühne entspricht dem.