Porno für den Kopf

Würden Sie vor laufender Kamera die Nacht mit einem Fremden verbringen? Manuel Gübelis Kurzfilm «Sexperiment» hat Antworten. Und die Fragen dazu.

Hat einen Sexfilm gemacht, der eigentlich keiner ist: Manuel Gübeli.

Würden Sie vor laufender Kamera die Nacht mit einem Fremden verbringen? Manuel Gübelis Kurzfilm «Sexperiment» hat Antworten. Und die Fragen dazu. An der Kurzfilmnacht am Freitag ist Basler Premiere.

Am Anfang war dieser Film. «Ich sass alleine im Kino und fühlte mich wie noch nie zuvor in einem Film: traurig, glücklich und hoffnungsvoll zugleich. Ich hatte mich in jede einzelne dieser Figuren verliebt.» Manuel Gübeli setzt seine Kaffeetasse ab und schaut auf. «Ich weiss noch, wie ich danach hinauslief und dachte: Wenn ich je einmal etwas erzeugen kann, das ein solches Gefühl in den Menschen auslöst, dann habe ich es geschafft.»

Seit jener Kinonacht im amerikanischen Film «Shortbus» sind fast zehn Jahre vergangen und heute ist Gübeli auf dem besten Weg, seinen Gedanken in die Tat umzusetzen: Am Freitag zeigt er an der Kurzfilmnacht in Basel seinen Film «Sexperiment», knapp 12 Minuten über 5 Menschen, die als Experiment für eine Nacht zusammenkommen. «Shortbus» diente ihm dabei als wichtige Inspirationsquelle. – Ein Film, in dem es um Sex geht, aber auch um Beziehungen, um Liebe, um jenes intensive Zwischenmenschliche, das nur die Filmkunst mit ihrer Lebensnähe hervorbringen kann. 

Schulverträgliche Regeln

Der Regisseur und Student für Dokumentarfilm an der Hochschule Luzern hat für sein Projekt im zweiten Studienjahr ein Thema gewählt, das allen Menschen nah und vielen gleichzeitig sehr fern ist: Sex. Ein mutiges Thema für einen Film im Studium, das zeigten auch die Reaktionen. Während die Kommilitonen begeistert waren, fiel die Reaktion der Hochschule vorerst etwas skeptischer aus. Man einigte sich schliesslich auf klare Regeln, die schulverträglich schienen.

Dabei ging es Gübeli gar nicht darum, Menschen beim Sex zu zeigen, sondern einen Sexfilm für den Kopf zu machen. «Mich interessiert, was im Kopf passiert, bevor es zum Sex kommt. Hier liegt die Spannung, das Erlebnis.» Der Film solle die Zuschauer anregen, sich über ihre eigene Sexualität und den selbstbestimmten Umgang damit Gedanken zu machen. Für Gübeli ein Thema, das jeden betrifft: «Wir leben in einer übersexualisierten Gesellschaft, Sex ist überall präsent, und doch tun wir uns schwer damit, Sexualität darzustellen.»

Wo die Magie ist

Aber wie lässt sich die Sexualität anderer erzählen? Indem man sich auf die Suche nach Menschen macht, die neugierig und mutig genug sind, von ihr zu berichten: Gübeli verfasste einen Aushang, ein A4-Blatt mit allen wichtigen Informationen («Ich mache einen Film, es geht um ein Experiment, es geht um Sex»), und hängte ihn an diversen Orten auf.

Es ging darum, wie weit man in einer Nacht mit einem Fremden gehen würde, wenn man dabei gefilmt wird. Interessierte mussten in ein paar Sätzen ihre Motivation für das Projekt beschreiben und wurden zu einem Vorgespräch eingeladen. Danach konnten sie entscheiden, ob sie mitmachen wollten oder nicht. 

«Ich wollte Leute, die das Thema reizt, die neugierig sind und ein bisschen Angst haben. So wie ich auch», sagt Gübeli. Es sei wie in diesem berühmten Schema mit der Blase, in dem «Your Comfort Zone» steht. Und dem Kreuzchen weit ausserhalb: «Where the Magic happens.» Der Filmemacher suchte nach den Menschen, die sich aus der Blase wagen wollten.




Entstanden ist ein Kurzfilm, der sich wie seine Protagonisten aus der Blase hinaus traut: Er handelt von Menschen, die für eine Nacht zusammenkommen wollen. Die sich aber noch nie gesehen haben und nicht wissen, was sie erwartet.

Es geht um Sex, so viel ist klar. Viel mehr wissen sie jedoch nicht. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sitzen nacheinander vor dem Regisseur und reden mit ihm über ihre Erwartungen. Es sind aufrichtige, schöne Gespräche, wie sie in weinseligen Nächten unter Freunden passieren. Man redet über sexuelle Vorlieben, über Hemmungen und Wünsche. Der eine Teilnehmer wünscht sich einen Dreier mit zwei Frauen, die andere spricht über ihre polyamoröse Beziehung.

Der Zuschauer sitzt derweil vor der Leinwand und denkt: Wie schön, dass mal jemand die Klappe aufmacht. Wie schön, dass diese Menschen ungeniert über ein Thema reden, das bei uns sonst nur spätabends auf Balkonien auf den Tisch kommt. Und grübelt: Hätte ich es auch gemacht? 

Fünfmal verliebt in 12 Minuten

Anderen Menschen scheint es ähnlich ergangen zu sein: «Sexperiment» wurde an Festivals in Barcelona, Berlin und Wien gezeigt und löste überall positive Reaktionen aus. Am meisten berührte Gübeli die Reaktion eines älteren Herrn, der nach der Vorführung an den Solothurner Filmtagen mit Tränen in den Augen zu ihm kam und meinte, er sei momentan in einer Umbruchphase und die Protagonisten hätten ihm Stoff zum Nachdenken und Dranbleiben gegeben. «Und dann umarmte er mich. Da wusste ich: Irgendwas habe ich richtig gemacht.» Der Kreis, der mit «Shortbus» acht Jahre zuvor seinen Anfang nahm, hat sich geschlossen.

(Wie weit die Teilnehmer im Film dann tatsächlich gehen, wird an dieser Stelle nicht verraten. Nur so viel sei gesagt: Es sind 12 intensive Minuten mit fünf Personen, und am Ende ist man in alle ein wenig verliebt. Kopfporno eben.)

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«Sexperiment», Kurzfilmnacht, 22. Mai 2015, kult.kino atelier, ab 20.45 Uhr.

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