Preisverdächtig: Der Basler Filmer hat den «Grozny Blues»

Der Filmemacher pendelt zwischen Basel und Italien. Für den Schweizer Filmpreis ist er aber mit «Grozny Blues», einem Dokumentarfilm über Tschetschenien nominiert. Eine Begegnung mit Nicola Bellucci.

Ein Fremder zu sein, «diesen Zustand empfinde ich als befreiend», sagt Nicola Bellucci.

(Bild: Nils Fisch)

Der Filmemacher pendelt zwischen Basel und Italien. Für den Schweizer Filmpreis ist er aber mit «Grozny Blues», einem Dokumentarfilm über Tschetschenien nominiert. Eine Begegnung mit Nicola Bellucci.

Nicola Bellucci sitzt auf der Terrasse des Restaurants Rostiger Anker, bestellt einen Espresso und sagt leicht entschuldigend: «Ich bin die ganze Nacht Auto gefahren und erst heute morgen wieder in Basel angekommen.» Es ist Nachmittag um halb vier. Bellucci blinzelt in die Sonne. Wo sind denn seine «Occhiali da sole»? «Ich habe keine Sonnenbrille dabei», antwortet er und bemerkt mein Erstaunen. «Ich bin halt kein typischer Italiener», sagt er und lächelt.

Tatsächlich ist er ein Grenzgänger, der im Gespräch zwischen den Sprachen pendelt wie im Leben zwischen zwei Ländern. Im Unterschied zu vielen Landsleuten führte ihn nicht die Arbeitssuche in die Schweiz. Nicola Bellucci, Jahrgang 1963, wuchs in der Toskana auf und kam dort in Kontakt mit «Figli di fiori», wie er sagt.

Von Florenz nach Basel

Die Blumenkinder aus der Schweiz hatten in seiner Heimat eine Kommune gegründet. Bellucci verliebte sich in eine Schweizerin, und die Liebe führte ihn nach Basel, wo er sich in den 90er-Jahren niederliess. In der Tasche hatte er nicht nur einen Abschluss in Philosophie, Literatur und Film von der Universität in Florenz, sondern auch ein Regiediplom.

In Basel traf Bellucci auf die treibenden jungen Kräfte der hiesigen Filmszene, allen voran auf den Regisseur und Produzenten Vadim Jendreyko. «Mit ihm habe ich viele Projekte realisiert», erzählt er. Alle Facetten des Filmschaffens lernte er kennen, vom Ton über die Kamera bis zum Schnitt.

Der grosse Durchbruch mit «Nel giardino dei suoni»

Als Filmemacher aber nimmt man ihn als Spätzünder wahr. Denn erst 2010, mit 48, gelang ihm der Durchbruch. «Nel giardino dei suoni» klingt vielen, die den Film gesehen haben, bis heute nach. Aus gutem Grund: «Im Garten der Klänge» ist ein feinfühliger Dokumentarfilm über den Therapeuten und Klangforscher Wolfgang Fasser, der als Jugendlicher das Augenlicht verlor und seinen Hörsinn schärfte. Belluccis berührende Annäherung wurde unter anderem mit dem Prix de Soleure ausgezeichnet. Und war damit auch ein Erfolg für Soap Factory, die Basler Produktionsfirma von Frank Matter.

Jetzt steht Bellucci wieder im Rampenlicht – was ihm fast ein bisschen unangenehm ist, wie es scheint. «Ich bin schüchtern», sagt er einmal im Gespräch. Bescheiden auch, möchte man anfügen. Denn dass er mit dem Film «Grozny Blues» für den Schweizer Filmpreis nominiert ist, erstaunt, ja, erfreut ihn. Er erachtet diese Würdigung keineswegs als selbstverständlich.

Ein schwieriges, heikles Unterfangen in Tschetschenien

Drei Jahre lang arbeitete er an diesem Dokumentarfilm, worin er allen voran starke, mutige Frauen begleitet, die die beiden Tschetschenienkriege überlebt und dokumentiert haben und erstaunlich offen über die schwierige Situation in ihrem Land erzählen. So offen, dass Bellucci manchmal schlecht schläft. Denn sein Film, aus dem er zur Sicherheit der Protagonisten viele Aussagen rausgeschnitten hat, ist nicht ungefährlich. So, wie er auch nicht leicht zu realisieren war. Denn de facto herrschen in Tschetschenien diktatorische Verhältnisse.

«Es war ein Kampf, es gab Momente, in denen ich komplett verzweifelt bin», offenbart Bellucci. «Aber weil ich wusste, dass ich etwas Wichtiges mache, gab ich nie auf. Das hat mich in schwierigen Situationen stimuliert.»

Ihm war bewusst, dass die Einblicke in den Alltag der Menschen in der kriegsversehrten Stadt Grosny in unseren Längengraden unser Bewusstsein öffnen können. Und dass es sich daher lohnt zu insistieren, auch wenn kritische Aussagen für die Involvierten heikel werden können. «In den letzten Jahren hat es niemand in Tschetschenien gewagt, offen über die Situation in Tschetschenien zu reden.»

«Man muss sich verlieren, um sich zu finden.»

Weniger riskant scheint sein nächstes Projekt zu sein: «Der Steingänger» wird Belluccis erster Spielfilm, eine italienisch-schweizerische Koproduktion (mit der federführenden Produktionsfirma cineworx), die von der Basler Kulturpolitik profitieren konnte: Diese hat 2015 eine substanzielle Erhöhung der Filmfördergelder durchgebracht. Belluccis nächster Film wird nun mit insgesamt 200’000 Franken subventioniert.

«Der Steingänger» basiert auf dem Buch des italienischen Schriftstellers Davide Longo und handelt von einem Schlepper im Grenzgebiet zum Tessin. Eine Geschichte, die in den Bergen spielt, wie so viele grosse Filme aus der Schweiz. Mit diesem Setting dürfte Bellucci endgültig in seiner zweiten Heimat ankommen, auch wenn es ihm durchaus gefällt, ein Fremder zu sein. Fremder in Italien, Fremder in der Schweiz. «Diesen Zustand empfinde ich als befreiend. Man muss sich verlieren, um sich zu finden», sagt er, ganz Philosoph.

Zu trivialerem, denn seien wir ehrlich, es nimmt uns doch alle wunder: Ist er verwandt mit Monica Bellucci, der weltbekannten Schauspielerin? «Früher scherzte ich immer, dass sie meine Cousine sei», sagt Nicola Bellucci.«Kürzlich stellte ich fest, dass wir tatsächlich über sieben Ecken verwandt sind! Aber das musst du nicht erwähnen.» Zu spät. Scusa! Und vor allem: Buona fortuna, wenn am Freitag in Zurigo der Filmpreis vergeben wird!

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Basler Premiere von «Grozny Blues»: 23. März, um 20.30 Uhr, im kult.kino atelier 2. Anschliessend Podiumsgespräch mit Nicola Bellucci, Christoph Wiedmer von GfbV (Gesellschaft für bedrohte Völker) und der Schriftstellerin und Tschetschenienexpertin Irena Brežná. Moderation: Peter Gysling.

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