Qu’elle est belle!

Kann man Romy Schneider vergessen? Kaum. Aber können junge Menschen sie noch kennenlernen? Unbedingt. Ein Roadmovie zum Grab der grossen Schauspielerin.

Zeitlos schön: Schauspielerin Romy Schneider. (Bild: Keystone)

Kann man Romy Schneider vergessen? Kaum. Aber können junge Menschen sie noch kennenlernen? Unbedingt. Ein Roadmovie zum Grab der grossen Schauspielerin.

Kurz nach Paris, mit dem rasenden Wahnsinn der mehrspurigen Peripherie-Autobahn im Nacken, falle ich in meinem Peugeot in die totale Provinz zurück. Französische Provinz, diese unnahbare Weite von Feldern, Wiesen, Wäldern, Strommasten, Himmel. Diese phantastische Zufallsarchitektur der Kleinlandstrassen, kurz nach dem Wegblinken von der Autobahn.

Doch dann schraubt sich über Boissy-sans-avoir – dem 500-Seelennest ohne Bar, ohne Läden, ohne Auberge, Post, Tankstelle oder Anglerladen – ein monumentales französisches Gewitter zusammen. Le grand orage. Der weite Himmel drückt sich mit schwarzen, schweren Wolkengletschern auf die Landschaft, bis nur noch ein schmaler Schlitz heller Horizont bleibt. Die Sonne ist plötzlich verschwunden, aber wohin.

«Es sei eine Tiefe, eine Jungfräulichkeit und auch Sünde in meinem Wesen – etwas, das unglücklichen Männern keine Furcht mache.»

Luchino Visconti über Romy, in ihren Worten

Ich parke das Auto neben der Kirche in Boissy, das Tor zum Friedhof steht offen, der Regen hämmert auf die Gräber, die Steinmauern umklammern die Toten. Das Grab von Rosemarie Albach – so ist Romy Schneider seit 31 Jahren hier begraben, neben ihrem Sohn David – ist nicht grösser als andere. Aber es ist das einzige, weshalb ich hier bin.

Wenig später reisst der Himmel auf, grauschwarze Wolkenvorhänge ziehen eilig weg, die Sonne taucht wieder auf und nun holt der Herrgott – oder ist es Romy? – die dicksten Pinsel aus der Kiste, zaubert mit Rosa, Violett, Orange, Gelb und Rot ein Bild in die Landschaft, ob dem sich Vincent Van Gogh vor Begeisterung auch das andere Ohr abgeschnitten hätte. Ja Romy, das war ein spektakulärer, archaischer Empfang in Boissy-sans-avoir, merci beaucoup! Du hattest tatsächlich ein Haus hier gekauft, hier wolltest Du leben. Aber als Du ankamst, warst Du schon tot. 43 Jahre und 8 Monate alt. Gestorben in Paris, am 29. Mai 1982, begraben eben hier in diesem Kaff, das übersetzt heisst: «Ein Ort mit Buchsbaum (Buxetum, oder Buxiacum) bepflanzt, der keine Angst hat» (sans avoir peur), oder eben auch, im Lateinischen (sine censu): nichts hat, kein Glück.

«Schon wenn geprobt wurde, begann sie zu spielen, total, als wäre es ihr eigenes Leben.»

Claude Sautet

Die immer noch berühmteste Szene aus Romy Schneiders fast 60 Filmen ist diejenige aus «Der Swimmingpool» (La piscine): Romy und Alain Delon – im richtigen Leben längst kein Paar mehr – zelebrieren ein tödliches Dolce far niente an und in einem hochsommerlichen Villen-Pool in Südfrankreich. Romy schwimmt, steigt aus dem Wasser, steht über Alain, das Wasser tropft an ihr, auf ihn runter und dann küssen und wälzen sie sich leidenschaftlich am Beckenrand, Alain öffnet Romys schwarzen Bikini und man weiss dann recht genau, was im richtigen Leben, falls es das gibt, kommen wird. Doch: Das Telefon klingelt und als Romy aufspringt und ins Haus gehen will, packt Alain sie derb und wirft sie im hohen Bogen ins Wasser. Romy flucht und schlägt auf Alain ein.

«Sie ist eine Mischung aus tödlichem Charme und tugendhafter Reinheit. Sie ist gleichzeitig strahlend selbstsicher und voll innerer Zweifel.»

Claude Sautet

Alice Schwarzer, Feministin und Bekannte von Romy, schreibt in ihrem Buch «Romy Schneider – Mythos und Leben» etwas typisch Deutsches über den Film: «Von Erotik jedoch keine Spur, Schneider ist nur viel im Bikini zu sehen. Romy, die sonst ein sehr genaues Gespür für die Qualität ihrer Rollen hat, liegt diesmal daneben.» – Tatsächlich? Und geht es wirklich um Erotik in diesem Film, der gedreht wurde, als Paris brannte, 1968? Oder wie sanft und wonneflirrend müsste denn Erotik dargestellt sein, um Schwarzers Geschmack zu treffen? Schneider und Delon treffen in Swimmingpool zum ersten Mal seit Jahren wieder aufeinander. Delon wollte sie unbedingt im Film haben. Eine bessere hätte es auch nicht gegeben.

Der Film ist voll von kaputter Begierde, vom heftigen Anziehen und Wegstossen. Es knistert nicht, es kratzt. Erotik? Ja, das geht auch so. Amour fou, amour froid. Delon ist ein kalter, berechnender Rohling, ein Scheisskerl, das war er immer. Schliesslich bringt er im Film jemanden um. Romy deckt ihn. Weil sie ihn verachtet.

«Ich arbeite, und ich tue mein Bestes, das ist alles. Ohne Rollen kann ich nicht leben.»

Romy Schneider

Mit «Swimmingpool» kehrt «La Schneider» nach Frankreich zurück und macht zehn Jahre lang ihre erfolgreichsten Filme: «Die Dinge des Lebens» (1969, Regie: Claude Sautet), «Das Mädchen und der Kommissar» (1970, Sautet), «Cesar und Rosalie» (1972, Sautet), «Eine einfache Geschichte» (1978, Sautet) … Romy Schneider ist das Gesicht des französischen Autorenfilms der 70er-Jahre. Und der bringt Millionen ins Kino. La Grande Nation. «Qu’elle est belle!» – wie schön sie ist! ruft das Publikum am Filmfestival in Cannes. Deutschland aber möchte Sissi zurück, doch die gibt es nicht mehr.

Dafür gibt es das:

Szene I: Romy liegt nackt im Rasen in der Sonne von St. Tropez, im Park einer feudalen Villa. Sie trägt nichts als eine Sonnenbrille. Der Wind zerrt einen raubvogelförmigen Papierdrachen über den blauen Himmel, plötzlich stürzt der Drachen ab und landet auf dem Hintern von Romy, bedeckt ihre Nacktheit nur wenig. Ein junger Mann (Paolo Giusti) kommt ins Bild, zögerlich. Romy: «Wollen Sie Ihren Papierdrachen zurück?» – Mann: «Aber ja.» – «Also gut, dann holen Sie ihn sich doch.» – «Merci …» Er nimmt den Drachen von ihrem Hintern. Romy, lasziv: «Und sonst, brauchen Sie sonst noch etwas?». Schnitt. («Les innocents aux mains sales»/Die Unschuldigen mit den schmutzigen Händen, 1974, Regie: Claude Chabrol). Romy ist 36 Jahre alt.

Szene II: Romy wird von SS-Soldaten in einem Haus im besetzten Frankreich brutal vergewaltigt. Sie versucht, ein Mädchen zu retten, beide rennen nach draussen. Ein SS-Offizier erschiesst zuerst das Mädchen, dann richtet ein SS-Mann Romy mit einem Flammenwerfer hin. Sie verbrennt bei lebendigem Leib. («Le vieux fusil»/Das alte Gewehr, 1975, Regie: Robert Enrico). Romy ist 37 Jahre alt.

Szene III:  Romy und Michel Piccoli sitzen im Auto, er lädt sie zu Hause ab, es ist das letzte Mal, dass sie sich sehen, er wird sterben. Romy: «Ich sehe dich an und ich könnte weinen, weil ich so müde bin. Müde, dich zu lieben.» Piccoli, rauchend: «Steigst du aus, Hélène?» («Les choses de la vie»/Die Dinge des Lebens, 1969, Regie: Claude Sautet.). Romy ist 31 Jahre alt.

«Die ‚Dinge des Lebens‘ ist einer meiner liebsten Filme, er berührt mich immer wieder, ohne in seiner Wirkung nachzulassen … weil er nicht veralten kann.»

Romy Schneider

Kann man 2013 die Person Romy Schneider überhaupt fassen? Die Person, die mit 14 die Schule verlässt und als 16-jährige mit den Sissi-Filmen zum Superstar wird? Deren Eltern durch Abwesenheit glänzen und Theater spielen? Deren Stiefvater Hans-Herbert Blatzheim eine undurchsichtige Managerrolle spielt und Geld verprasst? Deren beide Ehemänner entweder herrischer Versager (Harry Meyen) oder grossspuriger Playboy (Daniel Biasini) sind? Die als 24-jährige mit Orson Welles dreht? Deren grosse Liebe Alain Delon sie mit 19 Jahren kennenlernt? Die über ihre Arbeit, die ihr Leben ist, sagt: «Was sollte ich denn machen, ich habe ja nichts anderes gelernt.» Und am Ende mit fast nichts da steht, weil Meyen die Hälfte ihres Vermögens bei der Scheidung rauspresst und Biasini die andere einfach nimmt? Romy die Mutter, die durch einen schrecklichen Unfall ihren geliebten 14-jährigen Sohn David verliert? Kann man das fassen?

«Ich werde meine Arbeit so gut wie möglich fortsetzen. Es muss weitergehen, man kann nicht stehenbleiben. Stehenbleiben ist für mich nicht möglich.»

Romy Schneider

Nein, kann man nicht. Muss man auch nicht. Es ist so leicht, ihr einfach zuzuschauen, wenn sie spielt, das Leben spielt. Alles ist da. In den Farben und Formen der 60er- und 70er-Jahre, vollgequalmt mit Zigarettenrauch, Pariser Smog und dem Glauben an die Zukunft. Es ist, hat man sie gesehen, unmöglich, Romy zu vergessen. Man schaut ihr in die Augen und wird das Gefühl nicht mehr los, dass dort mehr Leben ist als im eigenen Platz hat. Was wollt ihr mehr? Dass sie noch lebt?

Man steht am Grab und weiss, wie hart alles ist, wenn man keine Ruhe findet. Und wie ruhig es hier ist, in Boissy-sans-avoir. Die Dinge des Lebens, sie sind manchmal plötzlich so klar, wild, einzig, innig, pur. Und im nächsten Moment ist es vorbei. Wie ein Gewitter. Dann macht man das schmiedeiserne Tor des Friedhofs zu, steigt ins Auto, zündet sich eine Zigarette an, schaut zum aufgeräumten Himmel hoch und dreht den Zündschlüssel und fährt weiter.

 Buchtipps:

Filmtipp:

  • «Die Hölle von Henri-Georges Clouzot» (L’Enfer, unvollendet), Arthaus Premium (2 DVDs).

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