Von Altersmilde keine Spur: Bob Geldof spielte zum Final des «Stimmen»-Festivals ein furioses Konzert im Rosenfelspark und gab vorab eine bemerkenswerte Pressekonferenz.
So sieht ein Rockstar in Sommerlaune aus: Mit apart gemustertem Hemd, verspiegelter Sonnenbrille und sandfarbenem Zylinder gibt sich «Sir Bob» die Ehre zum Pressegespräch im Burghof Lörrach vor seinem Auftritt im Rosenfelspark am Sonntag. Draussen brütet die schwüle Hitze, drinnen, im abgedunkelten und klimatisierten Tagungsraum lauschen die Journalisten gespannt, was der 61-jährige zu sagen hat. Er sei hier, um noch ein bisschen Geld für den anschliessenden Urlaub zu verdienen, scherzt er mit seiner gepflegten Nasalstimme.
Mit der Stimme eines Weltverbesserers
Es ist diese Stimme, die ihn unverkennbar gemacht hat im Rockzirkus, doch die Frage nach ihr führt gleich übers Musikalische hinaus. «Ich bin Ire, und Iren lieben Worte, deshalb habe ich meine Stimme immer weitschweifig eingesetzt, um über das zu reden was mich beschäftigt und verstört. Als Singstimme ist sie ganz OK, vor allem auf der Bühne verschmelze ich als Person mit meinen Worten, da ist die Überzeugung für das, was ich sagen will, ganz direkt.»
Diese Überzeugungen haben ihn in seiner fast 40-jährigen Karriere immer begleitet: Mit seinen Boomtown Rats rebellierte er punkig gegen das konservative Irland, in seiner Solokarriere breitete er schonungslos die Achterbahnfahrten seines Privatlebens aus, und als Initiator der Live Aid-Projekte setzte er sich für die Bekämpfung von Hunger und Armut ein.
«Berühmtheit ist eine Währung, und du musst sie wohlüberlegt ausgeben.»
Immer noch ist er als Weltverbesserer unterwegs, doch heutzutage ist der Feind nicht primär der Hunger, es sind die Weltkonzerne und die Banken. Der Kampf ist dezenter geworden: «Bei Live Aid ging es darum, das Bewusstsein von 3,2 Milliarden Leuten übers Fernsehen zu ändern, heute arbeiten wir über die sozialen Netzwerke. Wir versuchen jüngere Künstler dafür zu gewinnen, es geht nicht immer nur um Sting, Bono und mich. Leider spüre ich da eine grosse Apathie. Für mich war Rock’n’Roll immer eine ’suggestion of change‘.» Und dann sagt er einen Satz, der für viele der aktuellen Popgeneration fremd klingen muss: «Berühmtheit ist eine Währung, und du musst sie wohlüberlegt ausgeben.»
Nur ein bisschen Gitarre spielen
Dabei ist Geldof selbst nicht frei von den glamourösen Insignien des Rockzirkus. Für die Reunion seiner Boomtown Rats, mit denen er gerade auf vier Festivals gespielt hat, liess er sich ein Kostüm aus Schlangenleder schneidern, um wieder in die Rolle des juvenilen Boomtown Bob zu schlüpfen.
«Hier brauche ich so was nicht, hier spiele ich ja nur ein bisschen Gitarre», sagt er im Hinblick auf den bevorstehenden Stimmen-Auftritt. Und beendet das Gespräch mit den Worten «Ich muss jetzt noch ein Nickerchen machen, denn ich bin ja alt jetzt.» Sechs Stunden später im Rosenfelspark, die Schleusen des Himmels haben sich geöffnet. «We’re the band that brings the rain», stellt Geldof sich und seine fünf Mitstreiter vor.
Nur ein bisschen Gitarre spielen? Von wegen. Mit dem grauen Wuschelkopf, rudernden Bewegungen, seinem Dauerkaugummi mutet er an wie eine perfekte Kreuzung aus Kinski, Jagger und einem sympathischen Kobold, energisch wühlt er in den Saiten, charismatisch setzt er seine immer noch rebellisch tönende Vokalkraft ein, die in den Höhen so schön spektakulär bricht. Dieser Mann wird nie ein gesetzter Elder Statesman der Rockmusik werden.
Die Band, irisch, englisch und simbabwisch, heizt zu Beginn mit brausendem Partysound von der grünen Insel ein, «The Great Song Of Indifference», ein perfekter Opener, und tatsächlich ist den 1500 Begeisterten der Regen gleich völlig einerlei. Alan Dunn, der Tastenmann mit der Melone lässt sein Akkordeon wirbeln, und Vince Lovepump – welch ein Name für diesen grobschlächig wirkenden Kerl, der aus einem Flann O’Brien-Roman stammen könnte – pumpt wirklich mit viel Herzblut die Tonkaskaden aus seinem Bogenstrich.
Fulminante Bühnenshow
Mit «Systematic 6-Pack» leitet Geldof eine Passage mit aktuellen Songs aus dem selbstironisch betitelten «How To Compose Popular Songs That Will Sell» ein: Zu einem beinharten Bluesrock zeichnet er das Bild eines Gealterten, der seine Virilität mit absurden Mitteln erhalten möchte, gefolgt vom sanften, liebestrunkenen Gospel-Walzer «Dazzled By You». Der Ausflug in die Jetztzeit wird kurz gehalten, spätestens bei «When The Night Comes» ist klar: Das ist – auch wenn mit Bassist Pete Briquette nur einer aus der Band auf der Bühne steht – auch ein Boomtown Rats-Abend.
Ohne jegliche Nostalgie: «Banana Republic», 1980 auf ein bigottes Irland geschrieben, würde auch auf den heutigen Zustand seiner Heimat passen, sagt Geldof. Ein zynischer Reggaesong, zu dem passenderweise die Scheinwerfer grün-orange flackern, während das Weiss der irischen Flagge vom Feinripp Lovempumps ergänzt wird, der kettenrauchend mittlerweile seine Bierkutscherfigur enthüllt hat.
Ob poppig-balladesk («Walking Back To Happiness», mit einem glühenden Gitarrensolo von Paul Cuddeford), dörflich-schlagerhaft («Harvest Moon») oder sperrig-spukig («Screaming in Vain»): Geldof und Band bilden eine packende Einheit. Und schliesslich der Showstopper: Zum berühmten Intro mit den Pianokaskaden mäandert Sir Bob über die Bühne wie ein gereizter Tiger im Käfig und liefert mit seinem Quintett dann eine Version von «I Don’t Like Mondays». Aus dem Gestein der Rockgeschichte zu neuem Leben herausgemeisselt, bekommt sie mit den paukenartigen Drums von Jim Russell noch mehr pompöse Präzision.
Das wäre ein würdiger Abschluss gewesen, doch die Akteure legen mit einem furiosen Rockfinale noch eine Schippe drauf: Nahtlos folgen das von Lovin‘ Spoonful inspirierte «How I Roll On», ein intensiver Seitenpfad zu John Lee Hookers «Boom Boom» und schliesslich der zornige Nummer Eins-Hit der Rats, «Rat Trap». Kein Zweifel, eines der unvergesslichsten Stimmen-Finals der letzten Jahre. Und wer keine Montage mag, der wird sich umso lieber noch lange an diesen Sonntagabend im Park erinnern.