Reise hinter den Bildschirm im HeK

Was hat digitale Kunst mit unserer Lebenswelt zu tun? Das Haus der elektronischen Künste liefert in seiner aktuellen Ausstellung «Digitale Abstraktionen» poetische Antworten.

Grellbunt: So sieht eine Webseite aus, wenn man Rafaël Rozendaals Plugin einsetzt. 

Was hat digitale Kunst mit unserer Lebenswelt zu tun? Das Haus der elektronischen Künste liefert in seiner aktuellen Ausstellung «Digitale Abstraktionen» poetische Antworten.

Medienkunst ist etwas Kompliziertes. Sogar für Menschen, die wie unsereins permanent unter dem Bann des Phantom-Vibrierens stehen und jeden Abend mit dem Smartphone auf dem Kissen neben sich einschlafen. Die ganzen Pixel, Webseiten, Glitches und posthumanen Entitäten sind längst Teil unseres Selbstverständisses – nur blicken wir selten genug durch, wie genau sie funktionieren, geschweige denn, was für Mechanismen für ihr Funktionieren zuständig sind.

Medienkunst kann versuchen, jene Mechanismen des Digitalen zu durchleuchten und uns zugänglich zu machen – nur leider resultiert dies häufig in überkomplexen Ausstellungen, die vor lauter Virtual Enthusiasm den Bezug zum Menschen verlieren, der sich nicht stundenlang für Codezeilen und Pixelwelten begeistern kann.

Wie also findet die Netzkunst den Weg vom Netz zum Menschen?

Na:

Durch engagierte Kuratoren. Und davon hat das Haus der elektronischen Künste in seiner aktuellen Ausstellung gleich zwei: Alexandra Adler und Reinhard Storz. Die Direktionsassistentin des HeKs und der Kunstwissenschaftler haben sich für «Digitale Abstraktionen» zusammengetan, um den abstrakten Systemen hinter den glatten Oberflächen unserer digitalen Welt auf den Grund zu gehen und unsere Wahrnehmung jener Welt zu befragen: «Wie wirkt programmierte Bewegung, Ton und Farbe auf uns? Wie kann klassische Schönheit digital dargestellt werden?», fragen sie in der Ausstellungsbeilage.

Die erste Frage wird noch vor dem eigentlichen Eintritt in die Ausstellung zum Thema gemacht: Hier hat das Schweizer Kollektiv Gysin-Vanetti ein Busschild angebracht, bei dem sie das Punkte-Raster manipuliert haben, das ursprünglich Ortsnamen und Verkehrslinien anzeigte. Über das Schild flitzen Schwarz-Weiss-Kombinationen und es klackert leise mit jeder Veränderung. Storz sagt: «Das Analoge sagt oft mehr über das Digitale als das Digitale selbst.»

Hier sagt das Analoge: Das Digitale beunruhigt dich, wenn es in einen physischen Körper wie dieses Busschild eindringt und es seiner Funktion beraubt. Das Busschild war noch nie streng analog, aber erst jetzt wirst du dir seiner digitalen Komponente bewusst und es stört dich, du willst das Busschild wieder an seinen ursprünglichen, seinen richtigen Ort bringen.

Künstliche Hände begrüssen zur Ausstellung

Aber wir sind hier in einem Kunsthaus, und da wird nicht einfach so abgehängt. Also weiter. Im Eingangsbereich hängt eine nicht minder beunruhigende Arbeit von Karin Lustenberger, in der zwei künstliche Hände mit angebrachten Funkkameras den Raum unter sich sondieren, aber letztlich nichts als ein verzerrtes Bild an die Wand projizieren. Hier sagt das Analoge: Ich weiss, was du denkst, du denkst an Überwachung und Gefahr und «Ex Machina», aber in Wahrheit übertrage ich nichts als ein paar grellbunte Verzerrungen.

So wie Lustenbergers Arbeit mit konkreten Erwartungen bricht, lenkt auch die Schweizer Medienkünstlerin Esther Hunziker den Blick da hin, wo die Aufmerksamkeit oder Vorstellungskraft üblicherweise nicht hinreicht: In «Earth» dreht sie die Perspektive von Google Earth um und lässt uns für einmal nicht von oben auf eine Landschaft blicken, sondern stellt uns auf den Boden, direkt in die virtuelle Landkarte hinein, den Blick nach oben in den Kosmos gerichtet. Hier verhält es sich umgekehrt: Das Digitale kommentiert das Analoge. Welches Weltbild vermittelt uns Google Earth? Wie sehen wir die echte Welt, wenn wir sie jederzeit quasi-real in Klicknähe haben?

Und vice versa?

Wie sieht uns ein Computerprogramm? Das hat sich der Amerikaner Zach Blas gefragt. Er stellt eine pinkfarbene Maske auf weissem Sockel vor eine Videoarbeit, auf der 45 männliche Gesichter abwechselnd eingeblendet werden. Die Daten der Gesichter hat er in der pinken Maske vereint, die selber nichts mehr mit einem Gesicht zu tun hat: Wie ein deformiertes Gummibärchen liegt sie auf dem Sockel, die Auswertung und Nutzung der gesammelten Daten zur Unmöglichkeit degradiert: 



Wer erkennt was? Zach Blas' Masken versammeln die Daten von 45 Gesichtern.

Wer erkennt was? Zach Blas‘ Masken versammeln die Daten von 45 Gesichtern.

Ästhetische Übersetzung ist auch bei Rafaël Rozendaal Programm: Der Niederländer hat mit «Abstract Browsing» ein Google Chrome-Plugin entwickelt, das Webseiten in bunte abstrakte Bilder verwandelt. Der Aufbau der Webseite dient dabei als Kompositionsmasstab: Jedes Element der Seite hat eine eigene Form und Farbe. Damit werden aus besuchten Webseiten abstrakte Gemälde, die Rozendaal wiederum zu konkreter Kunst macht: Die schönsten Kompositionen liess der Künstler als Wandteppiche produzieren, von denen zwei Exemplare im HeK hängen.

Der italienische Künstler Quayola geht ähnlich poetisch vor – allerdings vom Analogen zum Digitalen: Er wandelt Kompositionen alter Meister mittels Software in fliessende Animationen um, die sich entlang der malerischen Oberfläche bewegen. Bei einem Tiepolo sieht das dann beispielsweise so aus:

Man denkt wieder an die Ausgangslage: Wie findet Netzkunst den Weg zum Menschen? Trotz unterschiedlichster Ausführungen behandeln Quayola, Hunziker, Blas und Rozendaal und der grösste Teil der restlichen 14 Arbeiten* in der Ausstellung die Frage letztendlich mit derselben Antwort: Indem sie sich an der realen Lebenswelt orientiert und diese explizit einbezieht. Sei das als Busschild, als Maske, Landkarte, Teppich oder animierte Barock-Malerei – der Abstraktion liegt immer die Realität zugrunde. Vereinfacht, aber nicht banalisiert.  

Wie sagte Storz zu Beginn nochmal so schön? Das Analoge sagt oft mehr über das Digitale als das Digitale selbst. Dasselbe gilt fürs HeK: Ein Ausstellungshaus kann in einer guten Ausstellung mehr über Netzkunst sagen, als diese allein jemals über sich selbst sagen könnte.

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«Digitale Abstraktionen», 7. April bis 22. Mai 2016, Haus der elektronischen Künste Basel

 

*Am Schluss ist man geschafft. 18 Werke auf solch kleinem Raum sind zugegeben etwas zu viel des Guten. Virtual Enthusiasm – your bad.

 

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