Ritterspiele und Drachentöten für Anfänger: Das Kulturfestival Spectaculum in Weil am Rhein zieht scharenweise kostümierte Mittelalterfans und Schaulustige an. Eine Zeitreise.
Harte Mannen am Slapstick-Fechten.
(Bild: Roland Schmid)Lanzenstechen für Anfänger, nichts für Zartbesaitete.
(Bild: Roland Schmid)Der Wahl-Mittelalter-Schotte machts vor: Gemütlichkeit und Genuss kommen nicht zu kurz.
(Bild: Roland Schmid)(Freiwillige) öffentliche Schmähungen am Pranger gehören zum Festivalalltag.
(Bild: Roland Schmid)Eindrückliche Flügel-Akrobatik beim Zelt der Falknerzunft.
(Bild: Roland Schmid)Besucher aus der Antike im Mittelalter.
(Bild: Roland Schmid)Folklore auf der Bühne...
(Bild: Roland Schmid)...Ausgelassenheit vor der Bühne. Mittelalter meets Goa: raven zu Dudelsack.
(Bild: Roland Schmid)Was nicht passt, wird passend gemacht: Ein Zylinder hat noch niemandem geschadet, auch keinem Mittelalter-Gentleman.
(Bild: Roland Schmid)Trio Infernale in Aktion.
(Bild: Roland Schmid)Fantastisches wird einem beim Besuch des Mittelalter Phantasie Spectaculums (MPS) versprochen, seines Zeichens das grösste Mittelalterkultur-Festival der ganzen Welt: Gaukler, Feuerspucker, Ritterspiele bei authentischer mittelalterlicher Atmosphäre. Seit 1994 zieht das MPS von Frühling bis Herbst durch Deutschland, und dieses Wochenende machten die fahrenden Gaukler und Barden Halt in Weil am Rhein. Es ist ein beliebter Treffpunkt für Mittelalterfans und Fantasy-Rollenspieler.
Wie dem Mittelalter fälschlicherweise nachgesagt wird, eine finstere Zeit gewesen zu sein, haben auch Mittelalterfans mit Stigmata zu kämpfen: Ein Haufen Träumer, welche das «Früher-war-alles-besser!»-Spiel ins Extreme treiben, noch dazu mit einem Faible für schlechte Musik. Höchstwahrscheinlich sind sie gar Dudelsackliebhaber.
Noch schwerer haben es die LARPer (= Live Action Role Playing), also Leute, die sich eine fiktive Persona aneignen, welche sie dann verkörpern, solange sie sich als diese kostümiert in der Öffentlichkeit aufhalten. Der Schwierigkeitsgrad des «In-Character»-Bleibens erschwert sich bei steigendem Promillegrad, soviel sei für Festivals dieser Art noch anzumerken.
Und wie viele Nicht-Mittelalterfans bin auch ich nicht davor gefeit, solche Vorurteile zu fällen. Eine gute Gelegenheit also, Berührungsängste zu verlieren und eine kleine Zeitreise zu wagen.
Willkommen im Paralleluniversum
Der Dreiländerpark in Weil, wo das Mittelalterfestival stattfindet, bietet die perfekte Kulisse. Abgeschottet von der Hauptstrasse und umringt von Bäumen eröffnet sich einem gleich nach der Kasse ein buntes Paralleluniversum aus Marktzelten, Esständen und Jahrmarktbuden. Beim Schlendern über das Grün und den kleinen Kanälen entlang fühlt man sich mal wie in Mittelerde, auf einem mittelalterlichen Dorfplatz, wo man dem Dorftrottel zuschaut, wie er öffentlich an den Pranger gestellt wird, oder in einem Zeltlager in den schottischen Highlands – Braveheart inklusive.
Wenige Augenblicke nach Türöffnung füllt sich das Gelände mit Besuchern. Die meisten sind verkleidet. Jeanne D’Arc wettet mit beim Mäuseroulette, Braveheart versucht sich in der 600 n.Chr.-Variante von Hau-den-Lukas. Gummiäxte, Schottenröcke, Perücken, Ohrenprothesen, Ritterrüstungen, wallende Umhänge, Blechhelme und Zauberstäbe verschwimmen zu einem wirren Kaleidoskop von Kostümierten.
Mittelalter und viel Fantasy sind zu finden (viel Rollenspiel, etwas «Herr der Ringe», kein «Game of Thrones»), vereinzelt haben sich auch Kämpfer der kaiserlichen Garde aus der Edo-Zeit ans MPS verirrt. Der eine oder andere Römer schaut auch vorbei, wobei es das Imperium Romanum ja nicht über die Spätantike hinaus geschafft hat. Wahrscheinlich sind es verfrühte Zeitreisende auf dem Weg ans Römerfest in Kaiseraugst.
Hintergrundbeschallung als nervliche Zerreissprobe
Und: Laut ist es. Nicht nur das penetrante Tröten der Dudelsackworkshops wird zur Herausforderung für meine Ohren. Auf zwei Bühnen spielen tagein, tagaus Grössen der europäischen Mittelaltermusikszene. Das Signatur-Instrument? Sie ahnen es: Der Dudelsack. Wenigstens spielt hin und wieder zur Auflockerung eine Drei-Mann-Blasband vor den Verpflegungsständen für die Besucher Dudelsack.
Eines der Vorurteile, welches sich heute also bestätigt: Der Dudelsack ist allgegenwärtig und definitiv nicht mein Freund. Wobei, über Geschmack lässt sich schwer streiten, und was des einen Leid, ist des anderen Freud. Für einige der Festivalbesucher ist das Wochenende beim MPS der Ersatz für ein Openair, wie sie mir gegenüber erklären.
Donald Trump im Mittelalter
Händler und Handwerker säumen den Hauptweg. Zwischen Kitsch und Kunst ist die Auswahl gross. Geschäfte wie die mittelalterliche Buchbinderei legen Wert auf Authentizität. Andernorts werden Zylinder und chiffonbestückte Corsagen angeboten, wohl eher Grundbestandteil der Ausrüstung des moderneren Mittelaltermenschen.
Auf den Wiesen ein wenig abseits finden dann die eigentlichen Attraktionen statt – Lanzenstechen, Fechtkämpfe und Gesellschaftstanz. Die skurrilste Darbietung liefert allerdings der Falkner während der Raubvogelshow.
Achim Hafner, selbsternannter Donald Trump des Mittelalters, ist ein Showtalent, das weiss, wie man das Publikum zum Mitmachen bewegt, nämlich mit schlechtem Humor. Im Schnellzugverfahren haut er einen Altherrenwitz nach dem nächsten raus, niemand ist vor ihm sicher, Frauen, Dicke, Dünne, Schwule, Schweizer, Bayern. Kleine Scherze unter Freunden, versteht sich. Gekonnt mobbt er das Publikum in die Kooperation hinein, nach fünf Minuten hat er sich dann auf Frauenwitze eingeschossen. Alles mit einem «Wir sind hier ja im Mittelalter, ne! Da kann man das noch sagen!» Mit einer Mischung aus Langeweile und Antizipation harre ich ganze 15 Minuten aus – vielleicht wirft ja doch noch eine Metze ihren Bierkrug in Richtung Bühne. Aber nein, zivilisierte Zurückhaltung und Grösse zeichnet den modernen Mittelalterfan aus.
Das Zelt des letzten Aufrechten
Beim letzten Rundgang treffe ich auf eines der bekannten Originale des MPS, Sensei Sri Ruja Kalinanga. Als Veteran der ersten Stunde zieht er mit seinem Zelt von April bis Oktober mit dem Festival mit und bietet Besuchern seine Wahrsagerdienste an. Zu einem vernünftigen Preis von 20 Talern, die Währung des MPS, was umgerechnet 20 Euro sind, wirft er einen Blick in die Zukunft, in der mittelalterfreien Zeit spezialisiert er sich auf seine Praxis. Als ich höflich ablehne, setzt er, ganz der Verkäufer, der er ist, noch nach, dass das Geschäft durchaus floriere und er auf der Suche nach Hilfskräften ist. «Für den Auf- und Abbau oder den Verkauf von Waren. Ich könnte dir aber auch Handlesen beibringen.» Ein verlockendes Angebot, welches ich leider ausschlagen muss.
Etwas reizüberflutet verlasse ich das Festivalgelände nach vier ereignisreichen Stunden. Ja, Mittelalterfans sind ein eigenes Völkchen und ja, Dauerdudelsackbeschallung ist Folter. Der Aufenthalt im Mittelalter und ein Schritt aus der eigenen Komfortzone hinaus sind trotzdem immer eine Reise wert.