Robert Mapplethorpe, der Fotograf zwischen Kunst und Kontroverse

Mit Bildern aus dem S&M-Milieu machte er die Fotografie zu einer anerkannten Kunstform. Am 4. November hätte Robert Mapplethorpe, 1989 verstorben, seinen 70. Geburtstag gefeiert. Zum Jubiläum kommt ein Dokumentarfilm ins Kino, der sein Leben zeigt.

Das wohl berühmteste Selbstporträt von Robert Mapplethorpe, für einmal als Projektion.

(Bild: Getty Images / The Washington Post)

Mit Bildern aus dem S&M-Milieu machte er die Fotografie zu einer anerkannten Kunstform. Am 4. November hätte Robert Mapplethorpe, 1989 verstorben, seinen 70. Geburtstag gefeiert. Zum Jubiläum kommt ein Dokumentarfilm ins Kino, der sein Leben zeigt.

Als Robert Mapplethorpe am 9. März 1989 an Aids starb, hinterliess er eine Zeitbombe. Wenige Monate vor seinem Tod eröffnete er seine letzte grosse Ausstellung «The Perfect Moment», eine Retrospektive von 125 Bildern aus über 20 Jahren fotografischen Schaffens. Sie beinhaltete Porträts, schwarzweisse Stillleben von Blumenblüten, Aktfotos von schwarzen Männern. 

Und jene Handvoll Fotos aus seiner Reihe «X», die ein Jahr nach seinem Tod den Direktor eines renommierten Museums für Gegenwartskunst vor Gericht brachte: Fotos von Männern, die sich in den Mund urinieren. Oder die Faust in den Anus stecken. Und ein Selbstporträt von Mapplethorpe, der Kamera den Hintern zugewandt, darin steckt eine Reitpeitsche.

Schaut euch das an!

«Look at the pictures!» heisst der Film der Dokumentarfilmer Fenton Bailey und Randy Barbato (u. a. «Inside Deep Throat») über den amerikanischen Fotografiekünstler Robert Mapplethorpe, der diesen Monat in die Schweizer Kinos kommt. Und führt mit dem Titel gleich in den Skandal hinein, den «The Perfect Moment» auslöste: «Look at the pictures!» – mit diesem Aufruf warb der homophobe US-republikanische Senator Jesse Helms im Herbst 1989, kurz nach Mapplethorpes Tod, für ein Verbot der Vermächtnisausstellung.

Die Brandrede zeigte Wirkung: Wurde «The Perfect Moment», als Wanderausstellung konzipiert, an ihren ersten Gastorten Philadelphia und Chicago von der Presse noch enthusiastisch gefeiert, übernahmen danach konservativ-christliche Familienorganisationen den Diskurs.

Zunächst mit Erfolg: In Washington sagte eine Galerie die bereits geplante Ausstellung wieder ab, in Cincinnati liess die Staatsanwaltschaft durch die Polizei das örtliche Museum für Gegenwartskunst schliessen, nachdem «The Perfect Moment» dort im März 1990 eröffnet worden war. Und zitierte Museumsdirektor Dennis Barrie vor Gericht. Der Vorwurf: öffentliche Zurschaustellung von Obszönität.

Es war ein Novum – nie zuvor war in den USA ein anerkanntes Museum wegen einer Ausstellung verklagt worden. Bei einer Verurteilung drohten Barrie zwei Jahre Haft.

Konservativ vs. liberal

Der Aufruhr, den «The Perfect Moment» verursachte, spiegelt den moralischen Kulturkampf der USA in den 1980er-Jahren wider, eingeläutet durch die konservative Wende in der Präsidentschaft Reagans und gekennzeichnet durch christlichen Rigorismus, traditionelle Familienbilder, Abtreibungsverbote – und den Kampf gegen Pornografie, die durch den Videomarkt und die Liberalität der Siebzigerjahre ein beispielloses Wachstum erfuhr.

Erschwerend im Fall Mapplethorpe kam für das Rückzugsgefecht des weissen Puritanismus sein Spätwerk «Black Males» hinzu, eine Aktserie über afroamerikanische Männer. Dessen bekanntestes Bild «Man in a Polyester Suit» zeigt einen Mann in Anzug, dessen Penis zur Hose raus hängt.

Das Bild, wie die ganze Serie in «The Perfect Moment» eingegliedert, erreichte später ikonischen Status in Mapplethorpes Gesamtwerk, stachelte in der beiläufig kühlen Arrangierung des Objekts jedoch den rassistisch motivierten «Penisneid» des weissen Mannes vor dem schwarzen Konkurrenten an. So vermutete es der Anwalt H. Louis Sirkin, der 1990 das Museum für Gegenwartskunst von Cincinnati vor Gericht verteidigte.

Mapplethorpe, der sich offen in der Gay- und S&M-Szene von New York bewegte, wurde postum zu einer Zielscheibe, und mit ihm die Freiheit der Kunst. Nach einer weniger als zwei Stunden dauernden Beratung kam die Jury – in der weder Kunstsachverständige sassen noch sonst jemand, der Einblick in Mapplethorpes gesamtes Werk genommen hatte – zum Schluss: Die Fotos sind Kunstwerke – und nicht blosse Pornografie. Das Museum und dessen Leitung wurde in allen Punkten freigesprochen.

MAPPLETHORPE: LOOK AT THE PICTURES, Ab dem 10. November im Kino. from cineworx gmbh on Vimeo.

 

Zum Film «Mapplethorpe: Look At The Pictures»
«Everything from flowers to fistfucking», sagte Robert Mapplethorpe einmal auf die Frage, was seine Kunst darstelle. Dass er vom Jugendalter an dazu entschlossen war, Künstler zu werden (ohne eine genaue Vorstellung davon zu haben), macht das detailreiche Porträt als Dokumentarfilm deutlich.

Aufschlussreich ist das Archivmaterial aus seiner frühen Beziehung mit der Künstlerin und Musikerin Patti Smith, die ihn genauso wie er sie zur Kompromisslosigkeit anstachelte (er fotografierte unter anderem das Cover ihres epochalen Albums «Horses»), und die Einblicke in sein Frühwerk, das ihn eher beiläufig zur Fotografie brachte. In jungen Jahren sah er sie noch als «minderwertige Kunstform» an, später wurde er zu einem ihrer wichtigsten Geburtshelfer.

Am stärksten herausgeschält aus diesem kurzen Leben (er erlag im Alter von 44 Jahren seiner Aidserkrankung) ist der unbedingte Wille Mapplethorpes, es als Künstler «schaffen zu wollen»: Seine Weggefährten bezeugen in ausführlichen Interviews, wie Mapplethorpe die Menschen um ihn herum mit seinem Aussehen wie seiner Aura zu bezirzen vermochte, sofern sie ihm nützlich sein konnten: Kunstkritiker oder Herausgeber von Gay-Magazinen, Pornostars oder Menschen mit Geld – und auch der eigene Bruder.

Am meisten kommt indes, und das verleiht dem Film seine tiefsten Einsichten, Mapplethorpe selbst durch bisher kaum bekannte Originalstatements zu Wort. «Die Menschen, die mich am meisten beeinflussten, waren die Beziehungen, die ich führte», sagt er einmal, «denn ich habe sie alle fotografiert.» Der Mensch und der Künstler Mapplethorpe – sie waren nicht voneinander zu trennen.
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«Mapplethorpe: Look At The Pictures» läuft bereits jetzt im Mittagskino und ab dem 10. November regulär im Kultkino Atelier, Basel.

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