Rock den Jesus

Ohrwürmer, Lichteffekte, und ein deutscher Popstar in der Hauptrolle: «Jesus Christ Superstar», die Rockoper von Andrew Lloyd Webber feiert am Theater Basel eine umjubelte Premiere.

Jesus' Anhänger (Chor des Theater Basel) fordern seine Kreuzigung. Pontius Pilatus (Matthias Pagani) will Jesus (Alexander Klaws) helfen – doch dieser schweigt.

(Bild: Theater Basel / Sandra Then)

Ohrwürmer, Lichteffekte, und ein deutscher Popstar in der Hauptrolle: «Jesus Christ Superstar», die Rockoper von Andrew Lloyd Webber feiert am Theater Basel eine umjubelte Premiere.

Amerika, Ende der 1960er Jahre. Die Hippie-Bewegung hat ihren Höhepunkt erreicht. Gemeinschaft, Menschlichkeit und Freiheit – all das treibt auch zwei junge Männer um: Andrew Lloyd Webber und Tim Rice. Sie wollen ihr Lebensgefühl auf die Bühne bringen. Nur wie? «Make love, not war», sagt die Friedensbewegung 1967 zum Vietnamkrieg. Und was sagt Jesus? «Liebt eure Feinde», findet Tim Rice heraus. Das passt. Eine neue Kultfigur ist geboren.

1971 ist es soweit: In New York City hat am Broadway das Musical «Jesus Christ Superstar» Premiere. Darin feiern Jesus-Anhänger Party, sie tanzen sich in Extase, folgen ihrem charismatischen Führer überallhin – nur: Wohin soll es überhaupt gehen, Jesus? – fragen sie, und tanzen weiter. An über 700 Aufführungen.

Zuletzt in Weissrussland verboten

Ein unvergesslicher Erfolg für den damals noch unbekannten 23-jährigen Briten Andrew Lloyd Webber, der damit nicht nur den Grundstein zu seiner beispiellosen Karriere legt, sondern auch eine Diskussion um religiöse Themen im Theater eröffnet – denn er ist nicht der einzige, der Jesus auf die Bühne bringt. Christliche Gruppen kritisieren Webbers Rock-Oper, manche Länder verbieten das Musical, zuletzt 2012 Weissrussland. Doch Radio Vatikan spielt die Musik.

Jetzt rockt Jesus auch in Basel. Mit einem «echten Star» auf der Bühne, wie Regisseur Tom Ryser betont: Alexander Klaws, der Gewinner der ersten Staffel der RTL-Show «Deutschland sucht den Superstar», verkörpert die Rolle des Jesus. Die Öffentlichkeitsarbeit des Theater Basel hat alle Hände voll zu tun, die anreisenden Fanclubs zu kanalisieren. Doch die Premiere ist in festen Händen der Abonnenten. Haben die überhaupt gemerkt, dass hier ein Star auf der Bühne ist? Wie wird man das eigentlich: Star?

Alexander Klaws: eindimensionaler Gesang

Genau darum dreht sich das Libretto von Tim Rice. Jesus ist ein Superstar geworden, die Zahl seiner Anhänger steigt und steigt. Seine Botschaft aber – die wird nicht einmal genannt. Nur ihr Fehlen wird kritisiert, von Judas. Aus seinen Augen sehen wir auf Jesus, der immer stiller und verzweifelter wird. «Geht weg, ihr Armen, ihr seid zu viele. Ich kann Euch nicht alle heilen», sagt Jesus zu den Kranken im Tempel, der Jesus, der behauptet, Gott zu sein. Er will sein Brot und seinen Wein mit seinen Jüngern teilen, die längst besoffen am Boden liegen. «Du warst unser Held!» schreit Judas ihm zu – und verrät Jesus an den Hohepriester Kaiphas. Der Tod ist Jesus nun sicher.

Dieser Judas, der Buhmann der Jesus-Geschichte, der Kritiker, Verräter – aus seiner Sicht erzählt Andrew Lloyd Webber die Geschichte. Und gibt ihm die dramatischsten Rock-Songs und den Hit: «Jesus Christ, Superstar, who are you what have you sacrificed?». Judas ist in der Basler Produktion mit dem Musical-Sänger Patrick Stanke hervorragend besetzt: ein stimmlich starker Tenor mit viel Power, Farbe und Charisma in der Darstellung. Neben ihm wirkt Klaws oft eindimensional, ein zarter, zweifelnder Jesus, der seine besten Momente in den leisen Songs hat, bevor er im Schoss von Mary (mit grossartiger Stimme: Andrea Sánchez del Solar) wie ein kleines Kind einschläft.

Mutlose Inszenierung

Diese Doppelbödigkeit um die Star-Frage in der Basler Produktion ist amüsant – aber leider auch die einzige in der recht deskriptiven Inszenierung von Tom Ryser. Das Bühnenbild (Stefan Rieckhoff) ist schlicht gehalten: mal steht die grosse Show-Treppe im Zentrum, mal der grosse Sternenhimmel, mal die typische, schwenkbare Musical-Brücke, an der sich die aufgepeitschte Menge gut festkrallen und die mächtigen Herrscher ihre Dominanz abschreiten können. Die Kostüme könnten aus einer 70er-Jahre-Jeanswerbung stammen und die Personenführung ist – wie man es beim Musical, nicht aber bei der Oper gewohnt ist – nachvollziehbar, aber wenig spannend.

Fantastisch hingegen die Choreographien von Lillian Stillwell, die den Groove der Musik in Bewegungen umsetzt: Sie lässt den Chor des Theater Basels und den Gospelchor des Münsters – beide Formationen als einzige an diesem Abend ohne elektronische Verstärkung – als wogende Massen agieren, greift einige als armwedelnde Backround-Girls heraus, engagiert akrobatische Tänzer und choreographiert für König Herod (ein neues Musical-Talent: Ensemblemitglied Karl-Heinz Brandt) eine wunderbar komische Stepptanzeinlage.

Publikum ausser sich

Insgesamt hätte die grossartige Idee, den Spielplan eines traditionsreichen Drei-Sparten-Hauses mit einer Rock-Oper zu bestücken, mit mehr Mut und Wagnis umgesetzt werden können. Die Musiker der Band «Jesus-Allstars» unter der Leitung von Ansi Verwey hätte man gerne auf der Bühne gesehen – sie waren, wie sich das eben für eine echte Oper gehört, in den Graben verdammt worden.

Auch das Publikum hatte es zwar bequem in den neuen Sesseln – doch nicht wenige fingen bald an, rhythmisch zu zucken. Webbers Musik fährt ein, bietet fast nonstop temporeiche Rock-Songs. Wer würde da nicht gerne mittanzen? Ein Setting im Foyer des Theaters wie einst bei Jan Bosses Inszenierung von Claudio Monteverdis «Orfeo» hätte auch ein neues Licht auf das vielleicht gar nicht so konservative Opernpublikum werfen können.

Neue Standards hat diese Produktion aber in der Verbeugungschoreographie gesetzt, bei der die Darsteller zur wiedereinsetzenden Musik die ganze Bühne betanzen. Das Publikum ist nicht mehr zu halten. Standing Ovations und viel Jubel. Mit dieser Produktion hat sich das neue Theaterteam vermutlich endgültig in die Herzen der Basler gespielt.

Jesus Christ Superstar, Theater Basel. Aufführungen bis Juni 2016.

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