Roter Schnee und blaue Bohnen

Jahrelang hat uns Quentin Tarantino mit überglattem Trash bespielt. Jetzt ist er mit «The Hateful Eight» zurück – und egal, was alle sagen: Der Film rockt.

Ein Heidenspass: «The Hateful Eight», hier mit drei Exemplaren.

(Bild: © 2015 The Weinstein Company)

Jahrelang hat uns Quentin Tarantino mit überglattem Trash bespielt. Jetzt ist er mit «The Hateful Eight» zurück – und egal, was alle sagen: Der Film rockt.

Was machen zwei Kopfgeldjäger, eine Ganovin, ein Henker und ein paar andere zwielichtige Gestalten in einem Häuschen mitten in der verschneiten Pampa von Wyoming?

Was sich nach dem Anfang eines mittelmässigen Witzes anhört, ist in Wahrheit die Ausgangslage im neuen Tarantino-Streifen – und der ist alles andere als medioker. Nach den überästhetisierten Kostümschinken «Inglourious Basterds» und «Django Unchained» hat sich der amerikanische Regisseur nun endlich wieder etwas ungeschliffene Grobschlächtigkeit gegönnt und setzt seine Protagonisten ins Amerika der Reconstruction-Zeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sprich: Waffen, Galgen, Kutschen, Ganoven. Das perfekte Setting für einen Tarantino, der die Handlung trotz zahlreicher Möglichkeiten des Ausschweifens an nur zwei Orten festmacht: im Schnee und in der Hütte. 

Die ersten 40 Minuten spielen draussen: erbarmungsloses weisses Wüten, kaltes Tageslicht. Mittendrin Kopfgeldjäger Major Marquis Warren mit ein paar toten Prämien, der eine Mitfahrgelegenheit in der Kutsche seines Arbeitsgenossen John Ruth und dessen (lebendiger) Beute Daisy Domergue bekommt. 



Ohne Waffen kein Tarantino: Kurt Russell und Samuel L. Jackson in Wyominger Wildnis (übrigens in Colorado gedreht)

Kein Tarantino ohne Waffen: Kurt Russell und Samuel L. Jackson in der Wildnis Wyomings – dargestellt von der Wildnis Colorados. (Bild: © 2015 The Weinstein Company)

Daisy Domergue, die einzige weibliche Protagonistin des Films, kündigt in diesen ersten 40 Minuten das bald eintretende Spektakel an: Sie flucht und spuckt, bleckt die Zähne, fährt sich mit der Zunge über die Lippen, ihr irrer Blick sucht stets den des zugestiegenen Menschenjägers. Die Kamera klebt ihr im Gesicht, in Nahaufnahme saugt sie sich am Wahnsinn dieser Figur mit den teuflisch hochgezogenen Mundwinkeln fest. Man kann gar nicht anders als ihr zu folgen – und sich zu freuen.



So zerrupft habt ihr Jennifer Jason Leigh noch nie gesehen.

Daisy Domergue: So zerrupft haben wir Jennifer Jason Leigh noch nie gesehen. (Bild: © 2015 The Weinstein Company)

Denn Tarantino tut hier genau das, was er am besten kann: Er zeigt urdämonischen Charme, erstklassig umgesetzt. Es ist sein Steckenpferd und eine klare Ansage: Macht euch bereit für Wahnsinn und Unberechenbarkeit.  

Und die lassen nicht lange auf sich warten: Nachdem das ungleiche Trio im tobenden Schneesturm den labernden («da wird ja der Hund in der Pfanne verrückt!») designierten Sheriff Chris Mannix aufgegabelt hat, muss die Reisegesellschaft aufgrund des nahenden Blizzards in «Minnie’s Haberdashery» haltmachen – einem Gemischtwarenladen mitten in der Einsamkeit. Dort haben bereits einige zweifelhafte Figuren Schutz gesucht, die nicht immer das zu sein scheinen, was sie vorgeben. 

Es folgt ein Kammerspiel ohnegleichen, mit einem Cast wie frisch aus Agatha Christie goes postbellum Wyoming: 

Major Marquis Warren: Samuel Jackson wie immer. Gewissenloser Schwarzer mit schnellem Colt und fixen Hirnwindungen.

John Ruth: Kurt Russell mit massiven Pistolen, massivem Trucker-Schnauz und massivem Ego.

Daisy Domergue: So zerrupft haben wir Jennifer Jason Leigh noch nie gesehen. Verprügeltes Gesicht, rausgeschlagene Zähne, Hirnmasse auf Haut und Haar, das ganze Programm.

Sheriff Chris Mannix: Walton Goggins als Pedigree-Memme mit Sheriff-Allüren.

Bob: Demián Bichir als Quoten-Mexicano.

Oswaldo Mobray: Tim Roth als schwacher Christopher Waltz. Da muss man den Kritikern leider recht geben.

Joe Gage: «Mr. Blonde» Michael Madsen als verschwiegener Cowboy.

General Sandy Smithers: Bruce Dern ist grumpy grandpa.

O.B. Jackson: O.B. who? (James Parks).

(Richtig gezählt: Das sind neun. Einer zählt eben nicht so richtig. Und doch sinds eigentlich neun. Aber genug gespoilert.)

«The Hateful Eight» ist «Mord im Orient-Express» ohne Zug, Klasse und anständiges Volk. Im besten Sinne. Die hasserfüllten Acht sind Teil einer derben Mystery-Novel, in der es Menschen gibt, die die Wahrheit sagen, und andere, bei denen vor lauter Dreck der Stecken kaum mehr sichtbar ist. Es ist ein Kammerspiel par excellence: scharfe Dialoge, grossartige Kostüme, seltsame Plot-Twists und eine Spannung, die sich zwei Stunden lang konstant hochschaukelt, um dann in den letzten 20 Minuten in der gewohnt masslosen Gewaltorgie auszuarten. Wer Tarantinos Blutbad-Ästhetik mag, kommt hierbei besonders auf seine Kosten: Die Special Make-up Artists sind nicht umsonst im Abspann als Erste nach dem Regisseur aufgeführt. 

«Viel zu lang!», «Uninspiriert!», «Tim Roth versucht sich erbärmlich als neuer Christopher Waltz!», klang es nach der Pressevisionierung aus den Mündern der Kollegen. Okay, Tim Roth kommt tatsächlich nicht an Waltz’ meisterhafte Performance als SS-Standartenführer Hans Landa in «Inglourious Basterds» ran. Dafür ist seine Figur – ein vermeintlicher Henker – auch gar nicht gemacht. Tatsächlich an der Grenze zur Erträglichkeit sind hingegen die ewig langen Slow-Motion-Aufnahmen von Pferdenüstern zu Beginn des Films. 

Go, Tarantino!

Ist aber alles nichtig, denn: Seit «Jackie Brown» ist man bei Tarantino nie mehr so lange ohne den «WTF»-Faktor ausgekommen. Die Story ist stringent, das Massaker vergleichsweise unaufdringlich (überschwängliche Gewalt ist bekanntlich Tarantinos zweites Steckenpferd: je mehr, desto besser), und die Dialoge nachvollziehbar.

Um zurück zur Ausgangslage zu kommen: Was machen ein Henker, zwei Auftragskiller, eine Ganovin und ein paar andere zwielichtige Gestalten in einem Häuschen mitten in der verschneiten Pampa von Wyoming? Sie machen grandioses Kino, that’s what.

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«The Hateful Eight» läuft ab 28. Januar im Kino. 

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