Sadie Benning ist nicht zu fassen

Sadie Benning stellt in der Kunsthalle aus und ist dabei unbeschreiblich. Wir habens trotzdem versucht.

It's He-Man! Ah nein, Sadie Benning.

(Bild: Nils Fisch)

Sadie Benning stellt in der Kunsthalle aus und ist dabei unbeschreiblich. Wir habens trotzdem versucht.

Sadie Benning möchte weder als Frau noch als Mann bezeichnet werden. Das ist wichtig. Für die, die sich fragen, wieso in diesem Text immer nur dieser Name auftaucht, ohne geschlechtliche Zuweisung. Für die, die sich selten fragen, wieso man Menschen immer über ihr Geschlecht definiert. Wieso es nur zwei Geschlechter gibt oder überhaupt Geschlechter.

Dieser Text ist für das Dazwischen. Über jemanden, der weder das Eine noch das Andere ist, eigentlich nicht mal das Dazwischen, denn das würde ja bedeuten, dass dieser Mensch beide Kategorien als gegeben ansieht. Was Sadie Benning nicht tut. Sadie Benning bewegt sich woanders, nicht nur, was Sadie Bennings Geschlecht angeht, sondern auch Bennings Art zu denken und die Welt wahrzunehmen. 



Wer bin ich? In Sadie Bennings Fall eine schwer zu beantwortende Frage.

Wer bin ich? In Sadie Bennings Fall eine schwer zu beantwortende Frage. (Bild: Nils Fisch)

Wieso muss ich da bereits in der Einleitung ein so grosses Ding daraus machen?

Weil Sie Schwierigkeiten haben werden, diesen Text zu lesen, vielleicht fast so sehr wie ich sie hatte, ihn zu verfassen. Weil Sie wissen wollen werden, was los ist. Weil es Teil von Sadie Bennings Kunst und Wesen ist, uns mit einer Welt bekannt zu machen, die nicht in den üblichen Kategorien denkt, wenn überhaupt.

Weil in dem Moment, wo die Grenzen spürbar werden, die Tür zu dieser Kunst aufschwingen wird. «Like a portal», wie Benning mehrere Male auf unserem Rundgang sagen wird und man erst dann wirklich begreift, was das bedeutet, wenn man einen Text aufsetzen will und sich die Personalpronomen überall aufdrängen, diese anstrengenden kleinen Wichte, die uns nur helfen wollen, die Welt zu ordnen, jetzt aber bloss dumm im Weg rumstehen.

Als hänge da gar nichts

Also einatmen, loslassen – und die Kunsthalle betreten, zusammen mit Sadie Benning in den ersten Raum gehen, wo an der linken Längswand neun kleinformatige, auf Holzplatten aufgezogene Fotos hängen. Der Rest des Raumes ist leer. Benning nickt. Das sei Absicht, die Räume sollen aus gewissen Blickwinkeln so aussehen, als hänge da gar nichts. Und einen Weg vorgeben, der die Besucher leitet, ähnlich wie das Videoarbeiten machen, indem sie einem Zeitstrahl folgen. «Wie ein Wanderweg, weisst du?»



Wie eine Wanderung: Sadie Benning hat die Kunstwerke in der Kunsthalle als Weg gehängt.

Wie eine Wanderung: Sadie Benning hat die Kunstwerke in der Kunsthalle als Weg gehängt. (Bild: Nils Fisch)

Benning wuchs im Mittleren Westen auf, endlos weite Felder, Blizzards im Winter und Baden am See im Sommer. Dazwischen freundliche, eher konservative Menschen, für die die Welt in Ordnung war, so wie sie war.

Auf Sadie Benning traf diese konforme Behäbigkeit weniger zu: Geboren als Mädchen, fühlte sich Benning im zugewiesenen Geschlecht unwohl. «Meine Grossmutter steckte mich immer in glänzende Mädchenkleider und schleppte mich voller Enthusiasmus in Fotostudios, um eine adrette Aufnahme von mir machen zu lassen. Auf allen Fotos sieht man mich mit zerheultem Gesicht.» Sadie Benning lacht. Es war nicht einfach, für beide nicht.

Mit 16 verliess Sadie Benning die Schule wegen homophober Äusserungen der Mitschüler. Benning fing an, eine Art Video-Gedankenbuch zu führen, mit einer billigen Fisher-Price-Videokamera, die Bennings Vater (seinerseits Filmregisseur) Benning zum Geburtstag geschenkt hatte. Das Resultat waren stark verpixelte Schwarzweissbilder, Fragmente von Bennings Umgebung, Bennings Gesicht, Erzählungen und geliebte Objekte. Die schonungslos persönlichen, experimentellen Videoarbeiten trafen genau den Nerv der frühen Neunzigerjahre und wurden keine vier Jahre später an der Whitney Biennale gezeigt. Nie zuvor hatte jemand in diesem jungen Alter an der prestigeträchtigen Biennale ausgestellt.

Weg von den Normen

Das Filmemachen begleitete Benning durchs Studium am Bard College im Bundesstaat New York, bei der Gründung der Riot-Grrrl-Band «Le Tigre» und beim Rumtingeln in Amerikas Kunstwelten. Heute ist es ruhiger geworden um die Filmarbeiten, das Interesse Bennings gilt jetzt der Fotografie, die auch die Ausstellung in der Kunsthalle ausmacht: Besagte Fotografien auf Holzplatten, versetzt mit kleineren Fotografien oder Figürchen, die Benning online oder in Antiquariaten aufstöbert und in die grossen Aufnahmen hineinplatziert.



A frame in a frame in a frame: Sadie Bennings Werke sind Bilder in Bildern in Bildern.

Sadie Bennings Werke sind Bilder in Bildern in Bildern. Oder: Fenster in Fenstern in Fenstern. (Bild: Nils Fisch)

Die Kombinationen wirken auf den ersten Blick amüsant, stellenweise vielleicht sogar willkürlich. Aber auch hier gilt: Weg von den Normen. Was macht die goldene Eule mit den rotfunkelnden Augen in der Nachtaufnahme einer riesigen blinkenden Stadt? Was tanzt ein geschmeidiger kleiner Tänzer vor einem riesigen Leo-Print-Teppich? Wer ist diese schöne Frau mit Sonnenbrille, so lieblos in das Bild mit dem ganzen Abfall reingesetzt? Wieso sitzt die fiese Eule nicht im Abfall? Wo sind wir hier eigentlich?

Ja, wo sind wir hier eigentlich?

Wir sind im Universum von Sadie Benning. Und Sadie Benning interessiert sich für Wahrnehmung. Nicht Wahrnehmung im Sinne von: Ich schaue aus dem Fenster und sehe einen Baum. Wobei – «die kleinen Fotografien sind durchaus wie Fenster, durch die man in die grösseren Aufnahmen blicken kann. Oder umgekehrt.» Aber eben: keine fixfertigen Aussichten. Sondern Möglichkeiten, Konstellationen, Verbindungen. Die sich nicht nur in den Werken selbst manifestieren, sondern in der ganzen, sorgfältig kuratierten Ausstellung.

Sadie Bennings Kunst erfüllt den Zweck, den gute Kunst erfüllt: So verschroben und ausserweltlich und berührend zu sein, dass wir durch sie uns und der Welt neu begegnen. 

Wie eine kleine Reise, oder genau, wie du gesagt hast, Sadie – eine Wanderung, auf der Gipfel und Schluchten zum Vorschein kommen, von denen man nicht annähernd ahnte, dass sie existierten.



Und der schmucke Mann vor der Scherben?

Und der schmucke Mann vor der Scherben? (Bild: Nils Fisch)

Wenn wir aufgeregt darüber diskutieren, was der Abfall mit der wunderschönen Frau zu tun hat, wenn wir verzweifelt versuchen, die verdammte Eule in diesem ganz und gar uneulischen Habitat anzusiedeln, wenn wir am Schluss wieder beim Anfang landen – dann hat Sadie Bennings Kunst ihren Zweck erfüllt. Den Zweck, den Kunst zu erfüllen hat und gute Kunst erfüllt: So verschroben und ausserweltlich und berührend zu sein, dass wir durch sie uns und der Welt neu begegnen. 

Und wer am Ende nicht weiss, wie er oder sie oder nichts oder alles von beidem dieses Erlebnis in der Kunsthalle beschreiben soll, der begreift glücklich, dass Worte eben nicht immer ausreichen müssen. Nicht bei Personen und noch weniger bei Kunstwerken. Wer trotzdem eine Beschreibung will, kann sich auf den Ausstellungstitel beziehen. Sadie Benning hat ihn ausgewählt, er lautet: «Shared Eye» – geteilter Blick.

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«Shared Eye», Kunsthalle Basel, 10. Februar bis 30. April. Vernissage: Donnerstag, 9. Februar 2017, 19 Uhr.

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