Sam Lewitt: Schonungsloser Störenfried in der Kunsthalle

Sam Lewitt ruiniert Erwartungen, stört Gleichgewichte und macht grauenhafte Ausstellungsplakate. Alles Absicht. Und alles genial.

Es sieht vielleicht auf den ersten Blick nicht so aus, aber hier wird ein komplettes System umgekrempelt: Sam Lewitts «More Heat Than Light».

(Bild: Philipp Hänger)

Sam Lewitt ruiniert Erwartungen, stört Gleichgewichte und macht grauenhafte Ausstellungsplakate. Alles Absicht. Und alles genial.

Sam Lewitt verbündet sich mit dem Feind. So steht es zumindest in der kleinen Publikation, die die aktuelle Ausstellung «More Heat Than Light» in der Kunsthalle begleitet. Und weiter:

His work adds weight and materiality 
to systems that would otherwise prefer to run smoothly and invisibly. This exhibition generates heat – it maximizes friction and minimizes flow.

Die Ausstellung generiert Hitze – metaphorisch und wörtlich gemeint: Sie erzeugt Wärme und erhitzt gleichzeitig die Gemüter, sie erzeugt Spannungen und stört reibungslose Abläufe.

Sam Lewitt, ein Störenfried? «I like to unsettle things», meint dieser bei der Presseführung. Dinge aus dem Gleichgewicht bringen, das interessiere ihn. Lewitt lacht zurückhaltend. Auf den ersten Blick wirkt er alles andere als wie die Art Mensch, die gerne das Gegenteil von dem tut, was von ihm erwartet wird: Unauffällige Kleidung, dunkle Haare, normale Statur. 

Plötzlich dieses Plakat

Dieser Eindruck ändert sich schlagartig, sobald man das Ausstellungsplakat sieht: Grellgelb mit violettem Schriftzug, 1980er Metal-Ästhetik, schmerzhaft hässlich. «Irgendwie geil», sagt da der Arbeitskollege und recht hat er: Es hat was. Man stellt sich die Rentner vor, die sich auf einen properen Kulturbesuch in der Kunsthalle freuten, das Plakat neben dem Eingang sehen und schockiert kehrtmachen. Mission accomplished. Das erste Gleichgewicht ist hin.

Hübsch ist anders.

Hübsch ist anders.

Dann der Titel: «More Heat Than Light» heisst es im Englischen, wenn eine Diskussion keine vernünftigen Antworten hervorbringt und die Involvierten zur Weissglut treibt. Mehr Hitze als Erhellung. «Viel Lärm um nichts», wenn man so will. Kunst, die sich bereits in der Ankündigung als lautes Nullum entlarvt? Zweites Gleichgewicht gestört.

Schonungslose Unterwanderung

Die ersten beiden ruinierten Gleichgewichte sind nur der Anfang: Wer den Oberlichtsaal der Kunsthalle betritt, der setzt den Fuss in die logische Fortsetzung und Kumulation dieser gebrochenen Erwartungen – ein einziges riesiges unterwandertes System, schonungslos und zart zugleich.

Klartext? Nicht einfach.

Im Saal und kleineren Raum dahinter liegen spezialangefertigte Heizkreisläufe aus Kunststoff, mit Kupfer ummantelt. Sie sind mit langen Kabeln mit der Beleuchtung an der Decke verbunden. Die Heizelemente sind vergrösserte Versionen von jenen Teilen, die in elektrischen Geräten für die Temperaturregulierung zuständig sind. Sie sorgen beispielsweise dafür, dass iPhones nicht überhitzen oder erkalten. 

Nun liegen sie also umfunktioniert im grossen Saal in der Kunsthalle und versorgen den Raum mit der Wärme, die sie als Energie dem Licht abzwacken. Ein überdimensionales Kontrollsystem, das mit geklautem Licht – ein essenzieller Bestandteil eines jeden Kunstraums – angetrieben wird.



Regulieren die Wärme, stören den Betrieb: Sam Lewitts spezialangefertigte Heizkreisläufe.

Regulieren die Wärme, stören den Betrieb: Sam Lewitts spezialangefertigte Heizkreisläufe. (Bild: Philipp Hänger)

Was Kunst also üblicherweise sichtbar macht, wird dem Raum entwendet und in Wärme umgewandelt, mit Elementen, die wiederum ständig damit beschäftigt sind, diese zu justieren. Die Energie im Raum ändert sich ohne Unterlass durch die Wärme der Besucher oder jener der Sonneneinstrahlung – die Heizelemente müssen also pausenlos die Temperatur im Raum ausgleichen. Und schaffen eine subtile Gereiztheit: Der Raum ist leicht dunkler und wärmer, als er sein sollte. Ihm wurde ein wesentlicher Teil seiner Funktion geraubt, und gleichzeitig wird er zur konsequentesten Ausführung seiner Aufgabe: Er wird zur Kunst.

Wenig Lärm um alles

Ihm gefalle die Vorstellung, dass ein Kunstwerk seinen Ort prägen kann: ihn strukturell bestimmt und ihn nicht nur ästhetisch aktiviert, sagte Lewitt einmal. Seine Kunst schafft nicht viel Lärm um nichts, sie schafft wenig Lärm um alles. Leise und kaum fühlbar unterwandert sie die Systeme, in denen sie üblicherweise funktionieren muss, wie ein Virus, der kaum sichtbar beeinflusst und behindert.

Wer genau hinschaut, der erkennt in den technischen Skulpturen subtile Hinweise, die Einblick in Lewitts Absichten gewähren: in den eingeätzten Linien auf den Heizelementen stehen Mantras des 21. Jahrhunderts, wie «belong anywhere» (überall dazugehören), «get connected» (sich verbinden), «custom profiling» (individuelle Profilierung), oder «flexible control» (flexible Kontrolle). Und die seltsamen Sockel unter den Heizelementen sind Volkswagen-Motorblöcke, Relikte des Abgasskandals von 2015.



Dieser Motorblock war mal in einem Volkswagen.

Dieser Motorblock war mal in einem Volkswagen. (Bild: Philipp Hänger)

Spätestens jetzt wird klar, dass es Lewitt nicht nur um die Irritierung der Kunstwelt geht – seine Installation mag konkret bloss den Ausstellungsraum stören, beziehen tut sie sich aber auf die grossen Systeme, die scheinbar hieb- und stichfesten «Wahrheiten», nach denen wir fraglos unsere Leben richten.

Klartext? Sam Lewitt verbündet sich nicht mit dem Feind. Er ist der Feind. Ein kreativer Feind der Welt, in der er agiert, ein drahtziehender Störenfried, ein Künstler, wie man ihn sich wünscht: als Augenöffner. In einer Ausstellung, die den Blick erst beleidigt (Rentner, lasst euch nicht abschrecken!) und kurz darauf dafür umso nachdrücklicher klärt. 

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«More Heat Than Light», 1. April bis 29. Mai, Kunsthalle Basel.

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