Die Allschwiler Autorin Sandra Hughes hat den Spartenpreis Literatur des Kulturpreises BL gewonnen. Der Preis überrascht nicht: Wer ihren Roman «Zimmer 307» einmal zur Hand genommen hat, legt ihn nicht wieder weg. Aus aktuellem Anlass nochmals die Buchrezension.
Seit Montag schreibt sie wieder, nach einer fast fünfmonatigen Pause. Einer Zwangspause, weil der Broterwerb sie stärker beanspruchte. Und jedes Mal habe sie Angst, dass das Schreiben nach einer Pause nicht mehr gehe, sagt Sandra Hughes (*1966). Doch immer geht es wieder, auch dieses Mal.
Dieser Artikel erschien erstmals am 23. Februar 2012 anlässlich der Veröffentlichung des Romans. Nun hat der Kanton Basel-Landschaft die Autorin mit dem Spartenpreis Literatur des Kulturpreises BL honoriert. Aus diesem Anlass erscheint die Buchrezension nochmals.
Neben Hughes hat der Kanton folgende Kulturschaffende 2013 ausgezeichnet: Anet Corti (Theater/Kabarett); Kaspar Ewald (Musik) und Anna Maria Thommen (Förderpreis Film). Das Kulturpreisfest findet am 25. September in der Hanro in Liestal statt. Mehr zu den Preisen und den Gewinnern finden Sie auf der Rückseite des Artikels in der Einladung zum Kulturpreis.
Während die Autorin an ihrem Pult in Allschwil über einer neuen Geschichte brütet, lassen wir uns noch von der letzten behexen. «Zimmer 307» heisst ihr kürzlich erschienenes Buch. Man liest es zügig – nicht, weil es kurz ist, sondern weil es flüssig geschrieben ist und weil die Geschichte einen nicht loslässt. Da stört es auch nicht, wenn man sich mit den Hauptfiguren nicht identifizieren will. Mit Felicitas, die sich gleich im ersten Kapitel umbringt, eines Mannes wegen. Domenico, ein Gigolo, den wir bald durchschauen. Der Frauen braucht wie die Luft zum Leben. Der das Abenteuer sucht, weil ihn das Gewohnte bald langweilt. Der die Frauen das Geld verdienen lässt, damit er seine Theaterstücke schreiben kann, die nie zur Aufführung gelangen. Domenico – nein, er ist uns nicht wirklich sympathisch.
Karrieristin
Und Felicitas? Sie lässt sich vom strahlenden Domenico verzaubern. Folgt ihm, wohin er geht. Man würde sie manchmal gerne schütteln, damit sie aufwacht. Bevor sie tot ist. Denn nach dem Tod, da geht es für sie weiter. Sandra Hughes erfindet für sie eine Art Vorhölle, eine Institution, in der Frauen und Männer sich den Aufstieg verdienen müssen. Durch Worte, aber auch durch das Flechten von Körben oder das Zerlegen von Elektroschrott. Felicitas, im Leben Receptionistin in diversen Hotels, sieht ihre Chance gekommen. Geschickt macht sie hier Karriere und wartet auf ihre Chance, sich im Tod noch an Domenico zu rächen.
Hughes verortet die Vorhölle an keinem bestimmten Ort. Sie könnte im Kopf der Protagonistin liegen. Irgendwo zwischen Leben und Tod, was auch immer letzteres bedeutet. Es gibt darin kein Draussen, die Institution ist ein geschlossener Raum. «Zimmer 307» entstand aus dem Anfang einer Geschichte heraus, die im Fegefeuer spielt, wie es uns als Kindern beschrieben wird. Der Ansatz, den Hughes schliesslich für das Buch wählte, dünkt uns der spannendere zu sein, weil er vieles offen lässt. Als Leser muss man sich ein eigenes Bild machen.
Bereits in ihrem ersten Buch, «Lee Gustavo», das 2006 erschien, liess Hughes der Leserschaft viel Spielraum: Lee ist ein Frauen- wie auch ein Männername. «Es war interessant zu sehen, wie die Leser die Hauptfigur interpretierten, und wie man ihnen einen anderen Blickwinkel auf die Geschichte eröffnen konnte, wenn man sie darauf aufmerksam machte», erzählt Hughes.
(Un-)Sympathen
In ihrem zweiten Roman «Maus im Kopf» (2009) probte die Autorin den Umgang mit einer unsympathischen Hauptfigur. Mit dem verhinderten Amokläufer Finn Linder mag sich keiner identifizieren. Trotzdem verfolgt man seine Geschichte über die 200 Seiten hinweg. In «Zimmer 307» schwankt man nun zwischen Sympathie, Mitleid, Wut und Abscheu gegenüber den beiden Hauptpersonen.
Dieser Mix der Gefühle fesselt den Leser ans Buch, und dass dies gelingt, ist dem Einfühlungsvermögen der Autorin zu verdanken: Sie schafft es, die Figuren ausgewogen und nachvollziehbar zu zeichnen. Sie schaut nicht wertend von aussen auf ihre Protagonisten, sondern beschreibt sie von innen heraus.
Für Sandra Hughes ist der glücklichste Moment beim Schreiben jener, wenn die Figuren «loslaufen», wenn sie sich selbstständig machen und die Worte fast automatisch von den Fingern auf die Tastatur zu fliessen beginnen. Dann geniesst die Autorin ihr «stilles Glück am Pult» und versinkt in ihrer Geschichte. Wir warten gespannt auf die nächste, die kommt.
- Sandra Hughes: «Zimmer 307». Dörlemann Verlag, Zürich, 2012. ISBN 978-3-908777-76-2.