Heute nimmt die Schweizer Filmwelt auf dem Zürcher Friedhof Nordheim Abschied von Georg Janett. 50 Jahre lang war er als Regieassistent, Nebendarsteller, Filmemacher, Kritiker, Verbandspräsident und vor allem Dramaturg und Cutter aktiv. Ein Cinéast, dessen unbedingte Liebe zum Film viele angesteckt hat. Ein Abschiedsbrief an einen Freund.
Es war vor 16 Tagen. Du stehst auf – der Espresso schwarz mit drei Säckchen Zucker, die Zeitung und die erste Parisenne carrée ohne Filter angezündet – doch die Luft ist knapp. Anders wie sonst. Was dir allerdings nicht unbekannt ist. Das Herz. Dreimal schon hast du dich mit einem Infarkt rumschlagen müssen. Du wartest ab. Doch die Situation wird nicht besser. Atemnot. Beschliesst ins Krankenhaus zu gehen.
Es muss alles ganz schnell gegangen sein, berichtet deine Schwester später. Dein Hemd sei aufgerissen gewesen. Der Arzt stellte eine massive Verstopfung der Arterien im Bein fest und wollte umgehend eine Notoperation zur Amputation einleiten.
Du sagst nein. Nein, das Bein bleibt dran. Ob du weisst, was das heisst, wirst du gefragt. Du sagst ja. Sie verlegen dich auf die Sterbestation. Zwei Tage später stirbst Du, Georg Janett, mit 76 Jahren.
Das war Deine Haltung als Cutter – mit dem Regisseur auf gleicher Augenhöhe … und sei er noch so bedeutend oder gar der Tod selber. Diesem Selbstverständnis liegt dein filmisches Credo zu Grunde. Das Drehbuch als Kritik der Realität, die Dreharbeiten als Kritik des Drehbuches, und dann die Montage als Kritik der Dreharbeiten. Die Montage als Moment deiner Wahrheit, da wird es eng. Der Regisseur, wenn er denn dabei ist, liegt auf dem Sofa und frönt dem wohlverdienten Schlaf nach den ekstatischen Dreharbeiten. Du entreisst ihm das Material, reduzierst schonungslos und lässt keine, wie du empört feststellen konntest, feuilletonistischen Umwege gelten, suchst den Kern. Und wenn dann keiner da ist, selber schuld. Wer das von dir am Schnitttisch gehört hat, war erst mal schockiert. Aber wenn sich der Rauch gelegt hat, war die Sicht wunderbar klar. Für diese Momente danke ich dir.
Janett in Zürich, 1987, ab Min. 01.23 – 03.41 Uhr.
Reingewachsen bist du in den Film Ende der 1950er-Jahre, als du erste eigene Kurzfilme realisiert und immer wieder bei der Koryphäe des Schweizer Films der Nachkriegszeit, Kurt Früh, gearbeitet hast. In dieser Zeit ziehst du von Basel nach Zürich. Es gab keinen Ausbildungsweg, sondern nur die Praxis der konkreten Tätigkeit. Mitte der 1970er-Jahre pochte die neue Generation von Filmschaffenden unmissverständlich auf ihre Gestaltungshoheit. Bei Richard Dindos «Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S.» warst du für die Montage zuständig und ebenso hast du beim an der Kinokasse bisher erfolgreichsten Schweizer Film «Die Schweizermacher» von Rolf Lyssy als Regieassistent und Cutter mitgearbeitet.
Die Liste deiner filmischen Arbeit lässt von da an kein Jahr aus, bis 2013 «In einem halbdunklen Raum – ein Gespräch mit Georg Janett» von Fred von der Kooijs.
Gesehen habe ich dich das erste Mal vor 15 Jahren in der Ringvorlesung «Film ist Arbeit» von Viktor Siedler an der ETH Zürich. Gestaunt habe ich wie selbstverständlich du auf meine zaghafte Frage, ob Zeit und Lust vorhanden sei beim Schnitt an meinem Kinodokumentarfilm «Sammlerglück & Mehrwegflaschen» mitzuarbeiten, ohne Zögern mit Ja geantwortet hast. Allerdings unter der Bedingung, dass du zuerst Material sehen wolltest.
Als ich nach getaner Arbeit am Abend mit einer Nikotinvergiftung – hatte ungefähr ein Drittel deiner Ration geraucht – zitternd am Küchentisch sass, hast du mich darüber aufgeklärt, dass Film eine athletische Disziplin ist. Das habe ich mir bis heute gemerkt und fahre gut damit.
Georg, Du warst ohne Dünkel, hast dich der Arbeit schonungslos ausgeliefert und das von deinem Gegenüber am Schnitttisch ebenso verlangt. Du wolltest niemandem die Liebe zum Film beibringen. Aber wehe, wenn jemand deine unbedingte Hingabe nicht ernst nahm. Denen, deren unmässige Selbstverliebtheit ihnen selber im Weg stand, bist du mit Verachtung begegnet. Auch wenn Du in der Filmszene manchmal als unerbitterlicher Kritiker wahrgenommen wurdest, war dies nur eine Facette, denn dahinter stand ein von Dir reflektierter Anspruch auf Gleichberechtigung.
Georg Janett in der Cinemateque, ab Minute 9:45.
Wie wir dann zehn Jahre später mit Adrian Aeschbacher gemeinsam meinen ersten Spielfilm ‚Chicken Mexicaine‘ (2008) geschnitten haben, habe ich anfänglich gelitten.
Bei unserer Arbeit am Spielfilm Chicken Mexicaine konnte und wollte ich partout nicht in jenes Kampfverhältnis einsteigen, welches sich oft zwischen Regie und Montage aufbaut. Wir haben das in einem ehrlichen Gespräch geklärt. Deine Bemerkung, dass Du nicht gewusst hattest, dass ich so empfindlich sei, klingt mir noch nach. Hatte ich es vielleicht selber nicht gewusst.
Als du in den Pausengesprächen über das gute Essen und die schönen Menschen in Vietnam geradezu ins Schwärmen geraten bist, zeigte sich ein anderer Georg. Einer der seit fast fünfzig Jahren mit seiner Lebenspartnerin zusammen lebt und gerne mit ihr zusammen reist.
Unbeantwortet lässt Du heute meine Frage, was Du zu meinen Experimentalfilm «maavälimaa – shooting a picture» sagst, den ich dir vor drei Monaten geschickt habe, nach unserem – wie ich nun weiss – letzten Telefongespräch. Wäre spannend gewesen zu hören, was Du meinst. Der offensichtliche Schnitt, die Zwischenräume sind es, die mich in dieser Arbeit interessieren. Hätte Dich das herausgefordert; aber lassen wir das Georg.
Wenn ich nun heute an der Montagearbeit meines zweiten Spielfilms «venez avec moi» mit den 26 Stunden Material sitze, denke ich oft an Dich. Die Tage manchmal im fiktiven Zwiegespräch. Hatte auch vor, Dich um deine Kritik zu bitten, aber ich wollte erst etwas Zeigbares vorlegen.
Zurück bleibt auch Deine unvollendete Arbeit am eigenen Drehbuch. Eine Geschichte um ein Klassentreffen. Als junger Mann kehrst du Deiner Bündner Arbeiterfamilie in Basel den Rücken. Bist vor fünfzig Jahren in Zürich zum Film gegangen und dort gestorben. Wirst in der ersten Märzwoche nach Basel zurückkommen auf deinen Schulweg vom Glaibasel uf’s Münschter ufe, wenn deine Angehörigen deine Asche von der Münsterfähre in den Rhein streuen werden. Schorsch, das ist dann deine grosse Reise: viel Glück.