Schön und schönfärberisch

Der Film «Schweizer Geist» von Severin Frei setzt die alpine Bergwelt mit überwältigenden Bildern in Szene. Da der Film die Schweiz jedoch nur auf den Postkartenmotiven sucht, zementiert er Mythen und Klischees, anstatt sie zu sezieren.

Schöne Bilder, aber leider wenig Tiefgang: «Schweizer Geist» zementiert Klischees, statt sie zu hinterfragen. (Bild: © MovieBizFilms)

Der Film «Schweizer Geist» von Severin Frei setzt die alpine Bergwelt mit überwältigenden Bildern in Szene. Da der Film die Schweiz jedoch nur auf den Postkartenmotiven sucht, zementiert er Mythen und Klischees, anstatt sie zu sezieren.

Schön ist es oberhalb des nebelverhangenen Jammertals. Oben, auf den Maiensässen und Alpengipfeln, in den fetten grünen Weiden, wo der blaue Enzian blüht, klare Bergseen schlummern und die einzigen Töne, die der Mensch in diese Idylle hineinwirft, vom Jodelchor, Alphorn oder Helikopter der Rega stammen.

Nicht verwunderlich, dass der Schweizer Tourismusverband diesen Film bewirbt: Nach dem Kinogang will man sofort die Wanderschuhe schnüren und an den Bahnhof rennen, um auf den Klausenpass, ins Toggenburg oder in die Tessiner Kastanienwälder zu fahren, so majestätisch strahlt die Schweiz in dieser Bilderflut. Severin Frei, filmischer Autodidakt, hat sich während einer knapp zweijährigen Produktionszeit vom Bergparadies überwältigen lassen und ist mit Aufnahmen von den Gipfeln heruntergestiegen, die in ihrer Opulenz zu Tränen rühren können.

Einen schalen Nachgeschmack hinterlässt Freis Film dennoch, weil er Reflektionen verspricht, um deren Einlösung er sich nicht bemüht. Was visuell wie ein üppiger Werbefilm daherkommt, ist als Essay über den «Schweizer Geist» angekündigt, als Erkundigungsgang quer durchs Land, auf der Suche nach – laut Untertitel – Mythen, Klischees, wahren Werten.

Steuern und Selbstmordrate

Tatsächlich verspricht die Eröffnungssequenz eine Annäherung über die klischierten Bilder, die im Ausland die Schweiz prägen. Frei ist nach Paris und Berlin gefahren, nach Rom und Vaduz, um dort auf der Strasse nach dem Bild des Alpenlandes zu fragen, und erhält neben den traditionellen Säulen Schokolade, Uhren und Bankenplatz ein paar anknüpffähige Stichworte: die fragwürdige Neutralität, die hohe Selbstmordrate, die Sicherheit vor dem Steuerzugriff des Staates. Als Ergänzung durchmisst Frei die Schweiz an ihren vier geografischen Extremen. Im schaffhausischen Bargen sagt ihm einer, das benachbarte Deutschland habe keinen Einfluss auf das Selbstverständnis. An der Südspitze Chiasso fühlt sich der Gesprächspartner primär als Tessiner. Und in Müstair, im äussersten Osten, wird ihm das Wesen der Schweiz pragmatisch mit solider Wertarbeit erklärt: Schweizer Maschinen gehen nie kaputt.

Damit hätte Frei nach den ersten 15 Minuten ein paar Stichworte beisammen, mit denen sich der «Schweizer Geist» vor den schönen Naturaufnahmen kontraststark sezieren liesse. Stattdessen klappert er ein Personal ab, das stereotypisierter kaum sein könnte: Eine Alphornbläserin, ein Bergsteiger, ein Landwirt beim Alpaufzug in traditioneller Tracht, ein Schnapsbrenner, ein Mitarbeiter der Sackmessermarke Victorinox. Der Nachwuchsbanker vom Zürcher Paradeplatz und sein Hinweis, dass ohne Finanzplatz und Geldströme die Schweiz zusammenbreche, wirkt in dieser Reihe wie ein Exot.

Entdeckungsreise

Der Film sei seine persönliche Entdeckungsreise durch eine Schweiz, die ihm bisher wenig bekannt gewesen sei, sagt Frei nach der Filmvorführung. Erfahren habe er die Schönheit, die Wertbeständigkeit und die Erkenntnis, dass es viel Gutes gebe in der Alpenrepublik, die trotz Viersprachigkeit und föderalistischem Geist einen starken Zusammenhalt entwickelt hat.

Für eine Auseinandersetzung mit dem «Schweizer Geist» sind das magere Resultate. Einmal nur klingt kurz ein reflexiver Ton an, als der Off-Sprecher Christoph Schwegler die Frage formuliert, ob die pittoresken Traditionen denn auch gelebt oder schlicht zelebriert werden, und ob sie nur konserviert oder auch verändert werden dürfen. Kurz bleiben die Fragen im Raum hängen, bis sie vom nächsten Alphorn hinweggeblasen werden. Die «wahren Werte» wie Zuverlässigkeit, Beständigkeit und Qualität, die Frei verspricht und in den Bergen abholt, sind von den PR-Organisationen längst okkupiert und als Attribute einer «Swissness» besetzt worden. Dieser «Swissness» geht Frei unbewusst auf den Leim, indem er sie zuungunsten einer tieferen Annäherung an tatsächliche Realitäten erhöht.

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