Schöner sündigen mit Sydni und Scotty

Sydni Deveraux und Scotty The Blue Banny gehören zu den Stars der amerikanischen Burlesque-Szene. Am Samstag treten sie erstmals im Basler Sud auf. Die TagesWoche hat die zwei bezaubernd schrägen Diven vorab getroffen.

Sydni Deveraux (Bild: zvg)

Sydni Deveraux und Scotty The Blue Bunny gehören zu den Stars der amerikanischen Burlesque-Szene. Am Samstag treten sie erstmals im Basler Sud auf. Die TagesWoche hat die zwei bezaubernd schrägen Diven vorab getroffen.

Erst vor wenigen Tagen dachte Sydni Deveraux, sie müsse elendiglich erfrieren. Nach ihrem Auftritt am Helsinki Burlesque Festival hatte sich die afroamerikanische Schönheit auf dem Weg zurück zum Hotel verlaufen, stand mitten in der Nacht plötzlich mutterseelenallein bei Temperaturen im zweistelligen Minusbereich irgendwo auf einer menschenleeren, finnischen Strasse und spürte ihre langen Glieder nicht mehr. Was tun? Weinen, um Hilfe schreien, fluchen? Weit gefehlt: «Ich dachte, wenn ich schon sterben muss, dann wenigstens mit Stil. Also habe ich eine Zigarette nach der anderen angezündet und versucht, sie so verführerisch wie möglich zu rauchen.»

Nun, selbstredend, dass Sydni rechtzeitig gefunden wurde. Und doch nimmt man der Gazelle aus der amerikanischen Grossstadt Seattle die Geschichte ab – nicht nur, weil sie beim Treffen in der Basler Fischerstube Pelzmütze und Mantel, die sie sich am nächsten Morgen nach dem Nahtoderlebnis kaufte, den ganzen Abend nicht auszieht. Sydni Deveraux, 28 Jahre alt, 1.88 gross, genannt «The Golden Glamazon», ist schlicht eines der glamourösesten Geschöpfe, die man je gesehen hat: Eine Diva durch und durch, mit unglaublich grossen, leuchtenden Augen und unglaublich strahlendem Perlmuttlächeln. Eine Dame mit Stil, die einem alten Film entstiegen sein könnte, und eigentlich ein wenig dem Superstar Beyoncé ähneln würde, hätte sie nicht so wenig mit dem klinisch cleanen Image der Popqueen gemein.

Spärlich bekleidet singen

Denn Sydni ist in ihrer Heimat USA ebenfalls ein kleiner Star, aber keiner, der die Titelseiten der Hochglanzmagazine ziert. Ihre Welt ist der Untergrund der mittlerweile riesigen amerikanischen Burlesque-Szene, wo sie in abgedunkelten Cabarets vor roten Samtvorhängen singt, tanzt – und sich dabei langsam auszieht, bis ihr kurviger, von Tätowierungen übersäter Körper nur mehr spärlich von Stringtanga, Nippelschutz und Federboa verhüllt bleibt.

Eigentlich ist Sydni allerdings ausgebildete Jazzsängerin. Während ihrer Ausbildung wurde sie bei Auftritten öfters von einer Burlesque-Formation namens «Suicide Girls» begleitet. «Als eines Abends eine der Tänzerinnen ausfiel, bin ich spontan eingesprungen – so hat alles angefangen», erzählt Sydni den klassischen amerikanischen Aufstiegsmythos. Wahr oder gut erfunden?

Jedenfalls merkte Sydni rasch, dass sich ihr hier ganz andere Karriereoptionen eröffneten. Heute gehört sie zu den «Top 100 Burlesque Entertainers», den Aushängeschildern der Szene, nimmt regelmässig an den grossen Wettbewerben des Landes teil und führt mit «The Golden Glamazon» einen vielbeachteten Blog über die Szene. Der Reiz am Burlesque? «Das schalkhafte Spiel mit der Sünde, die Freiheit dieser Szene, die fast unbeschränkten Möglichkeiten.»

Absurd hohe Stilettos

Es ist ihre erste Europatournee, und Sydni ist begeistert. Bereits überlegt sie, mit ihrem Ehemann, einem Grafikdesigner, nach Amsterdam umzusiedeln. «Wonderful», sei Europa, sagt sie, während sie am Cüpli nippt, sie liebe die Leute, die Partys, die elektronische Musik.

Begleitet wird Sydni auf der Reise von «einem meiner besten Freunde»: Scotty, einem der alten Hasen der Szene. Im wahrsten Sinne des Wortes: Denn der New Yorker ist nicht nur seit den Anfängen des Burlesque-Revivals an vorderster Front dabei – als «Scotty The Blue Bunny» führt er als Host und Conférencier nämlich auch im exzentrischen, blauen Hasenkostüm und auf absurd hohen Stilettos durch die Nächte.

Doch wie kam der heute 45-jährige Performance-Künstler auf diese zugegebenermassen ausgefallene Idee? «Schätzchen, frag nicht, wie ich zum Hasen kam», antwortet Scotty mit ausladender Geste, hält sich den Zeigefinger vor den Mund – und fügt schliesslich nach einer Kunstpause hinzu: «Frag, wie der Hase mich gefunden hat!»

Abgestürzt aber sexy

Früher war Scotty im schwulen New Yorker Underground als Zirkus-Clown und Drag Queen unter dem Namen «Scott & The Flaming Faggots» (zu deutsch etwa: «Scott und die glühenden Schwuchteln») unterwegs. Ungefähr 15 Jahre sei es her, als hier – in zwielichtigen Nachtschuppen, unter Strichern, Alkoholikern und Abstürzen – das Party-Potential des «Burlesque»-Spektakels der 20er und 30er Jahre wiederentdeckt wurde, als schräg-schwule Kunst- und Ausdrucksform, welche dem konfektionierten Perfektionismus der Mainstream-Erotik etwas eigenes entgegensetzte. «Plötzlich konnten alle sexy sein, egal was für seltsame Geschöpfe wir waren», erinnert sich Scotty: «Daraus wurde überraschenderweise eine funktionierende Subkultur liebenswerter Bösewichte.»

Sydni und Scotty beim Treffen in der Basler Fischerstube

Sydni und Scotty beim Treffen in der Basler Fischerstube (Bild: Tara Hill)

Heute, wo er zur «Burlesque Hall of Fame» gehört und für Auftritte um die Welt reist, fehle ihm manchmal «diese schlampige, spontane Energie» der Anfangszeit. «Dann frage ich mich schon ein wenig, wer heute eigentlich Publikum und Zielgruppe dieser Bewegung ist», meint er – und fügt augenrollend und mit kehligem Gelächter dazu, dass er selber, ausgerechnet er!, kürzlich sogar eine Pilates-Stunde absolviert habe: «Can you believe that?»

Dann, wiederum nach einer künstlerischen Pause, fügt er hinzu: «Aber was beklage ich mich? Es war ein weiter Weg zum Profi, zum erfolgreichen Künstler. Und schliesslich ist die Szene weltweit gesehen nach wie vor überschaubar, alternativ – und sehr freundlich.»

Ungewöhnlich kleiner Auftritt

Diesen Samstag geben Scotty und Sydni ihre Variante des «Schöner Sündigens» erstmals im Basler Sud zum besten – ein für sie und ihre erst kurzfristig anreisende Kollegin «Indigo Blue», die aktuell amtierende amerikanische «Queen of Burlesque», ungewöhnlich kleiner Rahmen. Die Szene hier sei halt erst im Aufbau, relativiert Scotty grosszügig.

Freuen tun sie sich trotzdem – nicht nur auf den Auftritt, sondern auch auf den Auftakt der Basler Fasnacht. Dafür haben sie extra ihren Rückflug in die USA verschoben. «Es soll ja um-wer-fend sein», haucht Sydni mit Augenzwinkern. 

«Bitte schreib, dass wir die Schweiz lieben», betont Scotty zum Schluss: «Und dass ich unbedingt vor meiner Rückkehr ein Alphorn kaufen will.» Warum? «Ich liebe grosse Organe», antwortet er – und lässt nochmals sein lautes, kehliges Lachen hören.

  • Sud, Basel. Sa, 25.02., 20 Uhr: «An Opulent Night of Burlesque, Absinth und Swing», weitere Infos hier.

 

 

Quellen

www.sud.ch

www.glitterwonderland.com

thegoldenglamazon.wordpress.com

www.scottybunny.com

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