Die Schweiz beheimatet rund 300 Kulturfestivals – und jährlich werden es mehr. Bislang fehlte ein gemeinsamer Auftritt, eine spartenübergreifende Lobby. Das soll sich jetzt ändern.
Jurriaan Cooiman – ein Name, der Korrektorate herausfordert. Der Gründer von Culturescapes hat nicht Buch darüber geführt, wie oft sein Name in den letzten zehn Jahren falsch geschrieben wurde. Der gebürtige Holländer hat Wichtigeres zu tun, gerade dieser Tage: Soeben hat die diesjährige Ausgabe von Culturescapes begonnen, die in den kommenden Wochen in diversen Städten und Lokalen der Schweiz über die Bühne geht und Kultur aus Moskau in hiesige Säle führt. Daneben fliegt Cooiman mal eben nach Belgrad oder Zagreb, um den Balkan-Schwerpunkt des nächsten Jahres aufzugleisen. Und dazwischen lädt er auch noch zu einer Tagung in den Gare du Nord. Für einmal ein Katzensprung für den umtriebigen Kulturmanager, ist sein Büro doch im gleichen Gebäude untergebracht: Hier, im Badischen Bahnhof, begrüsst er am 24. Oktober die Teilnehmenden der ersten Jahreskonferenz von «swissfestivals».
Im Stillen aufgebaut
Der Name der Vereinigung ist zwar einfacher zu buchstabieren als jener des Präsidenten. Aber in den Medien tauchte «swissfestivals» bisher noch nicht auf. Im Stillen wurde diese Organisation in den letzten Monaten aufgebaut, auf Initiative von Cooiman, der mit «Culturescapes» Mitglied in der European Festival Association (EFA) ist und zur Erkenntnis gelangte, dass in der Schweiz eine gemeinsame Plattform der Festivalveranstalter fehle, dass der spartenübergreifende Austausch minimal ist, kurz: dass etwas unternommen werden müsse. Ein Dach, unter dem sich all die Festivalzelte versammeln, um sich besser Gehör zu verschaffen. Etwa beim Bundesamt für Kultur (BAK), das mit dem neuen Kulturfördergesetz die Möglichkeit hat, Festivals zu unterstützen.
Sobald sich 50 Festivals zusammengeschlossen haben, komme man ins Gespräch, habe ihm BAK-Chef Jean-Frédéric Jauslin signalisiert, sagt Cooiman. Für den Präsidenten von «swissfestivals» war das in den vergangenen Monaten zusätzlicher Ansporn, hinter den Kulissen zu weibeln und Mitglieder zu rekrutieren: Cooimans Wunsch ist es, dass sich das BAK künftig an den Kosten der Geschäftsstelle beteiligt.
Zum Zeitpunkt der ersten Jahreskonferenz zählt «swissfestivals» bereits 40 Mitglieder, darunter exotische wie der Seetaler Poesiesommer, aber auch namhafte wie das Filmfestival Locarno. Eines der Ziele der neuen Organisation ist es, Erfahrungen auszutauschen und Netzwerke aufzubauen. «Einzelne Festivals arbeiten versteckt in ihren Regionen, haben in ihren Sparten Know-how gesammelt, von dem andere profitieren können», ist Cooiman überzeugt.
Skeptische Stimmen
Doch gerade diese Absicht hält auch einige Festivalimpresarios davon ab, dem Verein beizutreten: Zu den Skeptikern gehört der Basler Kulturmanager Christoph N. Müller, der Führungsfunktionen beim Menuhin Festival (Gstaad), Interlaken Classics und beim Solsberg Festival innehat. Er hat sich gegen einen Beitritt entschieden. «Ich sehe den Nutzen nicht», sagt er – und schildert frühere Erfahrungen bei der European Festival Association: «Die Mitgliedschaft dort kostete mich viel Geld, brachte aber wenig ein. Zwar wurden an den Versammlungen Netzwerke gebildet und Projekte ausgetauscht, aber für mich waren diese zu wenig relevant, manchmal wähnte ich mich auf einer Künstlerbörse, ja, in einer Selbsthilfegruppe.»
Müller fühlt sich als Einzelgänger wohler. Er ist mit seinen Projekten stark dem Markt ausgesetzt und daher auch zurückhaltend, wenn es darum geht, Konzepte und Kontakte preiszugeben. «Ich kann aber nachvollziehen, dass eine solche Vereinigung für kleinere Festivals, die stark von der öffentlichen Hand abhängig sind, wertvoll sein kann.»
Matthias Müller von der AVO Session Basel hat zwar für die Teilnahme an einem Podiumsgespräch im Rahmen der Jahreskonferenz zugesagt, von einer Mitgliedschaft bei «swissfestivals» sieht aber auch er noch ab. «Ich begrüsse die Vernetzung und finde die Bestrebungen lobenswert», sagt er, «aber ich bin bereits im Verband der professionellen Schweizer Konzertveranstalter aktiv und derzeit genug ausgelastet.»
Bessere Koordination
Die Bestrebungen von «swissfestivals» führten im ersten Jahr der Konstituierung zu ersten runden Tischen, einem Newsletter, einer Website und nun zur Konferenz. Zudem wurde die Idee eines Festivalpasses angedacht und dem Wunsch eines spartenübergreifenden Kalenders Nachdruck verliehen. Rund 3000 Franken, rechnet Cooiman vor, müsste jeder Kanton locker machen, damit eine brauchbare Plattform auf nationaler Ebene realisiert werden könnte.
Diese Idee stösst beim Basler Kulturchef Philippe Bischof auf Zuspruch. Im November wird er sie zusammen mit seinem Baselbieter Kollegen Niggi Ullrich in die Kulturbeauftragten-Konferenz einbringen. «Ich begrüsse den Willen der Festivals, sich zu organisieren», sagt Bischof dazu. «Die Idee, via Intranet die Kommunikation und Planung untereinander zu verbessern, finde ich sinnvoll. Denn mitunter wundert man sich schon, wie schlecht sich Veranstalter untereinander absprechen.»
Tatsächlich reibt sich auch der Kulturinteressierte immer wieder erstaunt die Augen angesichts der Terminkollisionen und des Mangels an Koordinationen. So fanden das Basler Clubfestival BScene und das Zürcher M4Music in den letzten zwei Jahren zum selben Zeitpunkt statt: zwei Treffpunkte der Popbranche, ein Frühjahrswochenende. Bedauern auf beiden Seiten. Besserung erfolgt 2013. Immerhin.
Dass solche Kollisionen künftig vermieden werden, wünscht sich auch Bischof. Er sieht zudem Vorteile auf struktureller Ebene: den Austausch von Know-how, von Spezialisten auch, die von Festivals für kurze Zeit rekrutiert werden. «Die Widerstände sind zwar teilweise gross, weil jeder autonom bleiben möchte», sagt Bischof. Aber wie Vereinspräsident Cooiman (siehe Interview) glaubt er, dass die Zeit reif ist, über den Schatten zu springen und Synergien zu nutzen.
Das soll auch im Festivalkonzept stehen, das die beiden Halbkantone mit den beteiligten Akteuren erarbeiten wollen – sobald das Baselbieter Kulturleitbild veröffentlicht worden ist. Bereits jetzt lässt Bischof durchblicken, dass Festivals ermutigt werden, klare Profile auszuweisen, die Förderung voranzutreiben – was von den Kantonen honoriert würde.
Wie wichtig die Vermittlungsfunktion von Festivals ist, weiss Bischof: «Sie locken ja auch ein Publikum an, das vergleichbaren Institutionen fernbleibt, und haben kulturpolitisch an Bedeutung gewonnen», stellt er fest und verweist als jüngstes Beispiel auf den Erfolg des wiederauferstandenen Theaterfestivals Basel, das die Basler Regierung via Swisslos-Fonds mit 400 000 Franken unterstützt hat – und das nicht zuletzt Leute begeisterte, die unter dem Jahr selten ein Theaterhaus besuchen. «Festivals haben eine Sogwirkung, einen integrativen Ansatz, sie fördern oft Nachwuchstalente und Unbekanntes zutage. Das wollen wir unterstützen», sagt Bischof wohlwollend.
Das freut Cooiman natürlich. Seine Hoffnung reicht aber noch weiter: Er wünscht sich, dass die bisherigen Geldflüsse hinterfragt werden, so wie in Pius Knüsels «Kulturinfarkt»-Polemik, die er mit Interesse gelesen hat. «Knüsel fordert ja nicht weniger Kultur, sondern eine Umverteilung der Gelder – weg von der Institutionalisierung, vom ‹courant normal›, hin zu flexiblen Geldflüssen und Gestaltungsmöglichkeiten.»
Nicht dass sich Cooiman selber beklagen kann: Mit Culturescapes macht er vor, wie geschickt Gelder generiert werden können: Aus der russischen Hauptstadt fliesst Geld, zahlreiche Schweizer Stiftungen unterstützen die Reihe, allein Basel-Stadt steuert 150 000 Franken aus dem Swisslos-Fonds bei.
Culturescapes ist gut bedient – aber keine Ausnahme: Auch wenn 95 Prozent der Basler Kultursubventionen gebunden sind, muss kaum ein renommiertes Festival auf einen kantonalen Zustupf verzichten, wie der Blick auf die diesjährigen Leistungen des Swisslos-Fonds zeigt: Die Strassenparade des Basel Tattoo erhielt ebenso Geld (25 000 Franken) wie das Gässli Film Festival (15 000), «Im Fluss» (120 000), das Stadtmusik Festival (60 000) oder das Literaturfestival BuchBasel (100 000).
Ja, selbst eine hoch kommerzielle Reihe wie die AVO Session Basel darf sich über einen Beitrag des Stadtkantons freuen (90 000 Franken). «Aber nicht auf Empfehlung durch die Abteilung Kultur», klärt Philippe Bischof auf. Vielmehr sei es das Standortmarketing, das damit die Leistung honoriere, den Namen Basel mit TV-Übertragungen in die Welt hinauszutragen.
Flexibilität als Vorteil
Eine völlige Umverteilung der Gelder, eine Verschiebung von Millionenbeträgen zugunsten der Festivals, so weit mag Bischof bei allem Goodwill nicht gehen: «Darüber nachdenken kann man ja. Aber an Subventionsverträge sind klare Leistungen gebunden, was eine Institutionalisierung der Festivals zur Folge hätte.»
Natürlich verstehe er den Vorteil einer Subvention in Bezug auf die Planungssicherheit. Aber Subventionen führten schnell zu Verfestigungen, und der Vorteil von Festivals sei ja gerade ihre Flexibilität. «Eine Institutionalisierung könnte schnell eine lähmende Wirkung haben, dabei ist es doch gerade eine Stärke der Festivals, dass sie sich ständig verändern und erneuern können», so Bischof weiter. «Das gehört zur Natur der Festivallandschaft, ebenso, dass auch mal ein Festival stirbt.» Letztlich sei es ja auch so, dass viele regionale Festivals auf ein grosses Vertrauen und auf Kontinuität zählen könnten, auch ohne Subventionsvertrag – aber mit Mitteln des Swisslos-Fonds.
Basler Festivalherbst
Culturescapes setzt nach zehn Jahren erstmals einen Städte-Schwerpunkt: Moskau. Bis zum 11. Dezember gibt es – mehrheitlich in Basel – Konzerte, Diskussionen, Lesungen, Filmvorführungen und mehr.
Die AVO Session Basel (26. 10. bis 15. 11.) weicht heuer ins Musical Theater Basel aus (der neue Messesaal ist noch im Bau). Die Konzertreihe beginnt mit Dionne Warwick und endet mit zwei Konzerten von Rod Stewart.
BuchBasel: Die Buchmesse gibt es nicht mehr, das Internationale Literaturfestival hingegen schon: Vom 9. bis 11. November gehen in Lokalen der Grossbasler Innenstadt Lesungen, Diskussionen und, als krönender Abschluss, die Verleihung des Schweizer Buchpreises über die Bühne.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 19.10.12