Dieser Mann hat Geduld. Und die verlangt er auch von seinen Zuschauern, wenn er hochkonzentriert auf dem Barfüsserplatz seine Steinmännchen baut. Aber was heisst da Männchen? Riesen sind es. Mannsgrosse Granitblöcke, die der niederländische Performancekünstler Nick Steuer in mühevoller Präzisionsarbeit aufeinander zu schichten versucht. «A Piece of 2 – Balancing Human Sized Rocks» nennt er seine Performance. Trotz oder gerade wegen der Schwere der Objekte strahlt sie eine kontemplative Leichtigkeit aus.
So richtig schwer wird das Theaterfestival anderswo: In der Reithalle der Basler Kaserne wird das Publikum mit einem düsteren Potpourri von Kriegstänzen konfrontiert. Die deutsch-französische Künstlerin Eszter Salamon hat mit ihrer Totentanz-Performance «Monument 0: Haunted by Wars (1913-2013)» ein lebendiges Denkmal für die Kriege geschaffen, die «der Westen» in Ländern Afrikas, des Mitteleren Ostens, in Südostasien sowie in Zentral- und Südamerika geführt hat.
Schwere Kost für die geladenen Gäste
Das Programm, das Festivaldirektor Tobias Brenk für den Auftakt des Theaterfestivals Basel zusammengestellt hat, zeugt von seinem breitgefächerten Theaterverständnis – und von Mut.
Diesen beweist er insbesondere mit der Totentanz-Parade, die er den geladenen Gästen, den Politikern, Sponsoren sowie den üblichen Promis aus Kultur und Gesellschaft vorgesetzt hat. Denn «Monument 0» ist ein ausgesprochen düsteres und bedrückendes Stück Tanztheater, das keinerlei Feststimmung verbreitet.
Jemand anderes hätte wohl das am Sonntag programmierte Musiktheaterprojekt «Requiem pour L.» des gefeierten Festival-Superstars Alain Platel als offiziellen Auftakt gewählt. Auch das nicht unbedingt eine Wohlfühl-Produktion. Zusammen mit dem Komponisten Fabrizio Cassol lässt Platel Mozarts «Requiem» von Musikern aus dem Kongo, Südafrika, Brasilien und Europa zu einem interkontinentalen Kunstwerk des Sterbens verschmelzen. Das verspricht Spektakel mit Tiefgang.
Die tatsächlich programmierte Auftaktproduktion wird indes kaum als einer der Höhepunkte der Festivalausgabe 2018 in Erinnerung bleiben. Die Arbeit von Eszter Salamon, die in ethnologischer Akribie zum Teil verschwundene Kriegstänze aus ehemaligen Kolonien europäischer Mächte rekonstruiert hat, kann man als lobenswert bezeichnen. Der auf martialische Bedrücktheit getrimmte Abend wird mit der Zeit zum eintönigen und schwer geniessbaren Brei. Mit entsprechender Auswirkung auf die Stimmung im Publikum.
Dennoch taugt das Thema des Abends zur Illustration des diesjährigen Theaterfestivals. «Das Programm spiegelt wider, in welch komplexer Zeit das Festival entstanden ist», sagte Brenk in seiner Ansprache zur Eröffnung. Und: «Das Festival soll uns an Orte führen, die wir noch nicht kennen, raus aus den gewohnten Denkschemen.»
Mit unbekannten Orten spricht Brenk sowohl neue Theaterformen an als auch den Inhalt der angesetzten Produktionen. In vielen Fällen geht es um die Themen Krieg, Unterdrückung und Armut. Theater, das sich wieder politisch und engagiert gibt – und das zuweilen in überraschenden Formaten und Formen.
Auf Tuchfühlung mit der Aktualität
Ein gutes Beispiel dafür ist die Dokumentartheater-Produktion «Campo Minado/Minefield» der Argentinierin Lola Arias. Sie bringt auf der Bühne sechs tatsächliche Veteranen zusammen, die sich vor 36 Jahren im Falklandkrieg zwischen Grossbritannien und Argentinien gegenübergestanden haben. Damit wird Krieg auf beklemmende Art als ein Kapitel individueller Lebensgeschichte erzählt und nicht als propagandistisches Schlachtengemälde.
Auf eine ganz andere Art setzt sich das Theater Artemis aus den Niederlanden mit Krieg auseinander. Die Produktion «Oorlog 6+/Krieg ab 6» ist als Kinder- und Familienstück über den Krieg gedacht. Und das nicht mit didaktischem Ernst, sondern als absurd-wilde Slapstick-Show, die zeigt, wie Krieg alle Ordnung zerstört.
Diese Beispiele und weitere Programmpunkte des Festivals zeigen, wie das uralte und vermeintlich langsame Medium Theater immer wieder neue, überraschende und packende Mittel und Wege findet, um auf Tuchfühlung mit der Aktualität zu gehen.
Festivaldirektor Tobias Brenk hat sich bereits als Produktionsdramaturg der Kaserne Basel als jemand hervorgetan, der immer wieder gerne die Grenzen der Bühnenkunst auslotet. Dort, wo das Theater an die Schnittelle zur Realität stösst oder wo es die Grenzen zur Bildenden Kunst überschreitet.
Theaterfestival Basel. Bis 9. September 2018 an verschiedenen Spielorten. Festivalzentrum auf dem Kasernenareal.