Guy Krnetas Theatermonolog «Ursle», der am Samstag auf der Kleinen Bühne des Theaters Basel zur Aufführung kommt, besticht durch seine konzise und kunstfertig rhythmisierte schweizerdeutsche Sprache. Damit ist das Stück aber die grosse Ausnahme am Theater Basel, das wie die anderen Schweizer Stadttheater praktisch keine Mundart-Texte im Spielplan hat.
«Won i bi uf d Wäut cho, isch dr Urs scho im Himu gsi. Dr Urs isch drü gsi, i bi sächsi. Dr Urs isch en Ängu gsi, säge myni Aut. Aber won’r usem Fänschter gflogen isch, het’r nid chönne flüge.»
Sehr direkt und unsentimental legt der Einstieg zum Theatermonolog «Ursle» von Guy Krneta gleich ganz zu Beginn fest, um was es in diesem Stück für Kinder und Erwachsene geht: Um das Mädchen Ursle, das unter der Allgegenwart ihres Bruders leidet, den sie nur als erdrückende Erinnerung ihrer Eltern und als Aufschrift auf dem Grabstein kennt. Einnehmend an diesem Stück ist die ausdrucksstarke und stark rhythmisierte Sprache: Ein Text, der kunstvoll, aber nicht gekünstelt daherkommt, der die Rotzigkeit und naive Direktheit der kindlichen Ausdrucksweise wiedergibt, ohne einer anbiedernden Nachäffung der Kindersprache zu verfallen.
«Ursle» wurde 1994 vom Berner Ensemble uraufgeführt und ist Krnetas erfolgreichstes Stück, ein eigentlicher Dauerbrenner in seinem dramatischen Werk. «Genau weiss ich nicht, wie oft das Stück bis heute nachgespielt wurde, es dürften mittlerweile um die 40 bis 50 Inszenierungen sein», sagt der Autor. Viele davon in Deutschland, in der hochdeutschen Fassung des Textes, der zudem ins Holländische und Englische übersetzt wurde. «Ursle» wurde als Monolog aufgeführt, in Dreierbesetzung mit Frauen und/oder Männern, als Puppentheater, Tanztheater und als Theater mit Musik.
Als «musikalische Geschichte» ist das Stück nun am Samstag, 21. September, auf der Kleinen Bühne des Theaters Basel zu erleben. Mit einer Schauspielerin (Franziska von Fischer) und dem 13-köpfigen Orchester «Ensemble Kreis 13» unter der Leitung von Till Löffler, der auch die atmosphärisch dichte Musik zum Text komponiert hat. Regie führt Krnetas Lebenspartnerin Ursina Greuel.
Schweizerdeutsche Ausnahmen
Dieses einmalige Gastspiel der «Matterhorn Produktionen» reicht aus, um die Mundart-Quote des Theaters Basel bereits spürbar zu heben. Denn mit zwei Ausnahmen steht sonst keine Produktion auf Schweizerdeutsch auf dem Spielplan, der übrigens mit einem Stück in englischer Sprache («Isolde») begonnen hat. Die Ausnahmen sind das traditionelle Familienstück (dieses Jahr: «Pinocchio») und das Projekt mit dem Titel «Die Klasse», eine Koproduktion mit dem Jungen Theater Basel. Bei «Die Klasse» wurde das Schweizerdeutsch durch den Koproduktionspartner bzw. durch die Jugendlichen, die mitwirken, quasi aufdoktriniert. «Als Institution, die mit Jugendlichen Theater für Jugendliche macht, ist es wichtig, dass wir die Themen in der Sprache abhandeln, welche die Beteiligten und das Publikum selber sprechen», sagt der Leiter des Jungen Theaters Basel, Uwe Heinrich, der die Produktion als Dramaturg betreut.
Das Junge Theater Basel ist trotz seiner Produktionen in schweizerdeutscher Sprache im deutschsprachigen Raum zu einer Art Referenzgrösse für ein professionelles Haus geworden, das mit jugendlichen Laien arbeitet. Das zeigt sich unter anderem in den Einladungen an wichtige Festivals, wie etwa die Wiener Festwochen und die Ruhrtriennale, oder an renommierte Bühnen in Deutschland, etwa an die Münchner Kammerspiele, ans Berliner Maxim Gorki Theater oder an das Staatsschauspiel Stuttgart. Dort werden die Produktionen der Basler Bühne mit deutschen Übertiteln gezeigt.
Viel Schweiz, aber auf Hochdeutsch
Auf die Frage, warum das Schweizerdeutsche am Theater Basel etwas stiefmütterlich behandelt werde, gibt sich Martin Wigger, Co-Leiter und Chefdramaturg des Basler Schauspiels, nachdenklich. «Das ist eine gute Frage», sagt er. Und: «Mit Frisch, Dürrenmatt und Keller haben wir eigentlich sehr viel Schweiz im Spielplan, aber alles Autoren, die auf Hochdeutsch geschrieben haben.» Wigger betont aber, dass er grundsätzlich nichts gegen schweizerdeutsche Texte einzuwenden habe. Oder hätte. Man überlege sich aktuell, ob bei der Bühnenbearbeitung von Gottfried Kellers Novelle «Das Fähnlein der sieben Aufrechten» gewisse Textpassagen ins Schweizerdeutsche übersetzt werden sollen. «Aber wo sind denn die Schweizer Autoren, die schweizerdeutsche Texte schreiben?»
In den eigenen Reihen, könnte man Wigger auf diese Frage antworten. Mit Gabriel Vetter steht ein «Veranstaltungsdramaturg» auf der Personalliste des Theaters, der als Textperformer viele wunderbare schweizerdeutsche Texte verfasst hat. In seinem Auftragswerk «Der Park», das er in der vergangenen Spielzeit als Hausautor verfasst hatte, durfte (und konnte) sich aber nur eine Figur in Mundart ausdrücken. Und nicht allzuweit vor den Pforten des Theaters Basel entfernt könnte Wigger ebenfalls fündig werden: zum Beispiel bei Guy Krneta, der seit vielen Jahren Bühnentexte auf Berndeutsch verfasst.
Vergangene Erfolge mit Mundart-Projekten
Das Theater Basel hat bereits gute Erfahrungen mit einem Text von Krneta gemacht. Aber das ist bereits einige Jahre her. 2004 kam auf der Kleinen Bühne das Auftragswerk «E Summer lang, Irina» zur vielbeachteten Uraufführung. Regie führte Rafael Sanchez, der ein Jahr zuvor am Basler Schauspielhaus die überaus erfolgreiche Berndeutsch-Fassung von Gotthelfs «Geld und Geist» inszeniert hatte. Sanchez holte Krneta in seiner heutigen Funktion als Co-Direktor des Theaters am Neumarkt Zürich ans Theater zurück. In Zürich wurde in der vergangenen Spielzeit Krnetas Beziehungs-Tragikomödie «Dr Madam ihre Mössiö» uraufgeführt (Regie: Bruno Cathomas). «Krnetas Stück entwickelt schon bei der Lektüre eine Sogwirkung, der man sich im Theater erst recht nicht entziehen kann», schwärmte die «Neue Zürcher Zeitung».
Dass eine der etablierten Bühnen ein schweizerdeutsches Stück in den Spielplan aufnimmt, ist heute aber eher eine Ausnahme. Das war vor gut zehn Jahren anders. Nicht nur in Basel hatte man Gefallen an schweizerdeutschen Texten gefunden, auch in Luzern oder Biel-Solothurn wurde mit Erfolg in Mundart gespielt. Und am Zürcher Schauspielhaus: Der damalige Direktor Christoph Marthaler hatte seine erste Spielzeit im Schiffbau mit einer schweizerdeutschen Produktion («Hotel Angst») eröffnet, womit er die damals erwartungsvoll angereiste erste Garde des deutschen Feuilletons in arge Verständnisnöte brachte.
Nur ein Zwischenhoch
«Diese Zeiten sind vorüber», bedauert Guy Krneta. Junge Schweizer Dramatiker würden von den Theatern wenig berücksichtigt und gefördert. «Wenn ich mir die Spielpläne der Stadttheater anschaue, dann finde ich kaum neue Stücke, sondern haufenweise Dramatisierungen von Romanen oder sonstigen Prosatexten», moniert er. Ein Blick auf den Basler Spielplan gibt ihm zumindest zum Teil recht. Zwei der drei von Wigger genannten Schweizer Autoren sind nicht mit Texten vertreten, die fürs Theater geschrieben wurden: Gottfried Kellers «Das Fähnlein der sieben Aufrechten» ist eine Novelle, Dürrenmatts «Der Richter und sein Henker» ein Kriminalroman.
Krneta kann vorderhand lediglich als Gast mit «Ursle» ans Theater Basel zurückkehren. Immerhin das. Es ist eine lohnenswerte Aufführung mit einem beachtenswerten Text, der beweist, dass Schweizerdeutsch eine überaus taugliche Bühnensprache ist.
Eine musikalische Geschichte von Guy Krneta und Till Löffler
Regie: Ursina Greuel, Musikalische Leitung: Till Löffler, Kostüme: Bettina Ginsberg
Mit: Franziska von Fischer, Ensemble Kreis 13
Samstag, 21. September 2013, 16.00 Uhr
Theater Basel, Kleine Bühne