Schwulsein auf dem Dorfe

In Marcel Gislers neuem Spielfilm «Rosie» spielt der Laienschauspieler Sebastian Ledesma einen schwulen Liebhaber in der Ostschweizer Provinz. Wir trafen ihn zum Gespräch.

(Bild: Hansjörg Walter)

In Marcel Gislers neuem Spielfilm «Rosie» spielt der Laienschauspieler Sebastian Ledesma einen schwulen Liebhaber in der Ostschweizer Provinz. Wir trafen ihn zum Gespräch.

Auch für Rosie (Sibylle Brunner), die Marcel Gislers neuem Film den Titel gibt, ist Altwerden kein Zuckerschlecken. Daher genehmigt sie sich gern ein Fläschchen Schnaps beim Nachmittagsfernsehen. Als sie im Krankenhaus wieder aufwacht, hat sie einen Herzschlag hinter sich. Von hier aus breitet der Film seine Themen aus: Der Sohn Lorenz (Fabian Krüger) reist aus Berlin an und lernt seine Mutter neu kennen, diese will natürlich nicht ins Heim, währenddessen entwickelt sich zwischen Lorenz und dem jüngeren Mario aus der Nachbarschaft (Sebastian Ledesma) eine Liebe. Es ist die erste Spielfilmrolle für den 27-jährigen Ledesma aus Zürich. Bei der Basler Premiere  wollten wir von ihm wissen, wie es sich als Laie neben dem gefragten Fabian Krüger spielt. Und ob der Film nur hübsche Unterhaltung ist.

Sie sind zur Zeit mit «Rosie» auf Premierentour. Wie sind die Rückmeldungen aus dem Publikum?

Ich habe schöne Komplimente bekommen. Und komische. Gut finde ich, wenn Freunde mir sagen: «Das warst nicht du.» Gestern kam eine Frau, die sagte: «Sie können auf der Bühne nicht gut reden. Sie sind kein richtiger Schauspieler. Und im Film haben Sie eigentlich gar nichts gemacht. Trotzdem war alles da. Wie machen Sie das?» Das war toll.

Es war Ihre erste Erfahrung vor der Kamera. Was ist Ihnen schwergefallen?

Alleine spielen. In der Szene, nachdem ich mit Lorenz geschlafen habe, sollte ich glücklich in der Küche stehen und kochen. Mir fiel einfach nicht ein, wie man glücklich Spaghetti macht. Sollte ich pfeifen, oder was? Alles geht sehr einfach, wenn ich einen Anspielpartner habe. Auf ein Gegenüber brauche ich bloss zu reagieren. Zuhören war die Hauptregieanweisung, die mir Marcel Gisler gegeben hat. Ich darf beim Spielen nicht denken: Gleich muss ich einen traurigen Satz sagen. Man sieht im Take sofort, dass ich nicht in der Szene war.

Wie war die Arbeit mit dem Hauptdarsteller Fabian Krüger?

Marcel Gisler hat uns gemeinsam zum Casting bestellt. Natürlich habe ich meinen Text ganz toll gekonnt. Und Fabian sagte: «Ich kann meinen Text nicht, können wir ihn nochmal kurz durchsprechen?» Das war sehr professionell: er hat mich, den Laien, in die souveräne Position gebracht. Er hat mich ebenbürtig behandelt.

Die Rolle des Mario, die Sie im Film spielen, ist ein Nice Guy. Er hilft Rosie, der Mutter von Lorenz, im Haushalt, er rennt Lorenz hinterher, obwohl ihn dieser teilweise wie einen Gegenstand behandelt, und hat offene Arme, sobald Lorenz um Vergebung bittet.

Das stimmt. Aber er ist nicht nur der Nette. Er schleicht sich ein, um Lorenz zu gewinnen. Er hilft Rosie und macht Kumpel mit ihr, und das vielleicht auch, um Lorenz eins auszuwischen. Er scheint moralisch integer, zugleich ist er intrigant.

Darin sind sich Mario und Rosie nicht unähnlich. Mit ihren Zigaretten und dem Alkohol ist sie eine liebenswerte Bohème. Zugleich ist sie störrisch und selbstbezogen.

Ja, Rosie und Mario sind die Sympathieträger. Und beide verfolgen ihre Ziele durch Mittel, die etwas schief sind.

Lorenz, der aus der St. Gallischen Provinz stammt, geht als schwuler Autor nach Berlin. Mal wieder ein Künstlermärchen um die Kultstadt.

Das ist gar nicht meins. Ich war zweimal in Berlin. Das erste mal hatte ich einen pubertären Schub und habe vier Tage geschlafen. Das zweite Mal war ich mit dem Theater Hora da. In Zürich war Altweibersommer, ich war verliebt. Am Abend vor Abflug wurde es kalt und der Typ liess mich sitzen. In Berlin waren nochmal 15 Grad weniger und das gesamte Theater Hora war von jetzt auf gleich krank. Es sollte wohl nicht sein. Und ich habe Berlin nie verstanden. Überhaupt Grossstädte. Ich habe mir vor einem Jahr eingestanden, dass ich ein Bünzli bin.

Der Film Rosie hat auch etwas Gefälliges. Eine bockige Frau wird charmant alt, ihr Sohn ist Literat in Berlin, auf dem Dorf entsteht die Liebe zu einem Jungen, der scheinbar nicht in Frage kommt: «Rosie» kreist um eine Story, mit der verschiedene Gemeinplätze bedient werden.

Das tut er. Aber während er diese einfachen Stränge verfolgt, hat er einen aufklärerischen Anspruch. Er zeigt einerseits den Schriftsteller Lorenz, der in die grosse Stadt geht. Andererseits zeigt er Mario, der es völlig ok findet, in der Provinz zu wohnen, wo er als junger Schwuler akzeptiert ist. Lorenz ist eine Generation älter, er musste das Dorf verlassen und seine Homosexualität in Büchern verarbeiten. Der Film bricht mit dem Berlin- und Künstlermythos und zeigt eine neue Generation von Schwulen, deren Homosexualität akzeptiert ist.

Stimmt das?

Natürlich ist diese Anerkennung oft noch ein Wunschdenken. Aber zugleich möglich! In Altstätten gibt es wirklich eine Schwulenbar – natürlich läuft da fast nichts, aber es gibt sie. Hingegen bei der Premiere in Heerbrugg (Rheintal) wurde «Rosie» nur als Film über das Älterwerden angekündigt, ohne das Seitenthema der Homosexualität. Die Leute waren schockiert und sind mir beim Apéro ausgewichen.

Könnten Sie eine heterosexuelle Rolle spielen?

Klar. Vielleicht nicht gerade Rambo.

Auf welche Rolle haben Sie Lust?

Auf den Bösen. Psychopathen finde ich gut.

Warum?

Ich habe eine dumpfe Wut in mir, die unartikuliert ist. Daher mochte ich schnell das Theater, wo einem die Leute einfach mal zuhören müssen. Psychopathen gefallen mir, weil sie die Gesellschaft in Frage stellen.

Es gibt auch Böse, die aus Rache oder Geldnot handeln.

Genau. Aber die bleiben innerhalb des Systems. Die Raustretenden interessieren mich, die an allem etwas rütteln. Am Set hat mir das niemand geglaubt. Der süsse Sebastian kann das doch nicht.

Hier geht’s ausserdem zur Filmkritik von Hansjörg Betschart

 

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