Sechs blutige Unfalltode und ein grosses Fragezeichen

Der italienische Regisseur Romeo Castellucci präsentiert in seiner szenischen Installation mit dem rätselhaften Titel «The Metopes of the Parthenon» sechs grauenerregende Unfallopfer und hinterlässt beim Publikum ein grosses Fragezeichen.

Jede Hilfe kommt zu spät: Eines von sechs Unfallopfern in der szenischen Installation «The Metopes of the Parthenon».

(Bild: Peter Schnetz)

Der italienische Regisseur Romeo Castellucci präsentiert in seiner szenischen Installation mit dem rätselhaften Titel «The Metopes of the Parthenon» sechs grauenerregende Unfallopfer und hinterlässt beim Publikum ein grosses Fragezeichen.

Der zersplitterte Oberarmknochen ragt aus der Armbeuge raus, die rechte Gesichtshälfte ist blutig zerschlagen. Jämmerlich röchelnd liegt die Frau in einer riesigen Blutlache, wenn das Sanitätsfahrzeug mit Sirene und Blaulicht angerauscht kommt. Doch jede Hilfe des professionell agierenden Rettungsteams kommt zu spät. Sie erliegt ihren schrecklichen Verletzungen und wird mit einem weissen Leichentuch zugedeckt alleine zurückgelassen.

Diese Situation wiederholt sich an diesem Abend fünfmal: Ein alter Mann verreckt in einer Urinlache liegend an einem Herzinfarkt; ein junger Mann erliegt einem Säureunfall, der seinen ganzen Körper verätzt hat; eine Frau erstickt nach einem allergischen Schock; keinerlei Hoffnung gibt es für den Mann, dessen Gedärme aus seinem offenen Bauch quellen; verbluten muss das Punkmädchen, das brüllend neben ihrem abgetrennten Bein liegt. Jedes Mal zieht das Sanitätsteam nach missglückten Wiederbelebungsversuchen ab.

Blutige Rätsel …

Ort dieses grauenerregenden Geschehens, das im Rahmen der Art Basel vom Theater Basel mit dem Théâtre de la Villette und dem Festival d’Automne in Paris koproduziert wurde, ist die Halle 3 der Messe Basel. Die Zuschauerinnen und Zuschauer können sich in der Halle frei bewegen und somit – für einige wohl zum Glück – selber entscheiden, wie nahe sie an die blutigen Szenen herantreten möchten.

Mit «Riddles» (Rätsel) überschreibt der italienische Theatermacher Romeo Castellucci die sechs Unfall- beziehungsweise vergeblichen Rettungsszenen, die er in seiner szenischen Installation mit dem ebenfalls rätselhaften Titel «The Metopes of the Parthenon» ausbreitet.

Oberflächlich gesehen haftet dem Ganzen aber erst einmal wenig Rätselhaftes an. Die Maskenbildner, die den jeweiligen Opfern auf offener Szene den letzten gruseligen Schliff verleihen, die Schauspielerinnen und Schauspieler, die von medizinischen Fachleuten genaustens instruiert wurden, und die professionellen Rettungssanitäter sorgen für ein Höchstmass an Realitätsnähe. Es ist, als würde man an einer Serie von Notfallübungen beiwohnen.

… ohne Auflösungen

Das grosse Rätsel steckt aber letztlich hinter der Frage, was der Regisseur damit aussagen möchte. Denn ausser, dass hier trotz professioneller Hilfe sechsmal auf elende Art und Weise gestorben wird und dass die Toten mit ihren Leichentüchern unter dem Arm von allen guten Geistern verlassen wieder abtreten, bietet der Abend keine Verständnishilfen.

Oder sehr wenige: Aber auch die Textprojektionen zwischen den Szenen helfen wenig: «I am always the beginning of the end», heisst es zum Beispiel. Oder: «I am infinite, but possess an edge.» Das klingt, wie der allzu oft zitierte Sinnspruch: «Ich weiss, dass ich nichts weiss.» Sind das die widersprüchlichen Gedanken, die einem in der letzten einsamen Sekunde vor dem Tod durch den zerschlagen Kopf schwirren?

Wie viel Realitätsnähe erträgt das Theater?

Romeo Castellucci hat sich einen Namen als Theatermacher geschaffen, der mit seinen szenischen Annäherungsversuchen an die grausame Realität an die Grenzen des Erträglichen geht. Er tat dies zum Beispiel in seinem Projekt «Sul concetto di volto nel figlio di Dio», das vor zwei Jahren im Rahmen des Wildwuchs-Festivals zu sehen war und auf brutal radikale Weise die Pein der Entwürdigung hochbetagter Menschen vor Augen führte.

Jene Produktion rüttelte durch eine nachdrückliche Klage über das grausame Schicksal der Betroffenen auf. Die aktuelle Unfallserie klagt nicht an, sie erklärt nicht, erzählt keine Vorgeschichten, sondern zeigt einfach, dass das Leben auf grässliche Art zu Ende gehen kann und am Schluss nichts übrigbleibt. Denn der Putzdienst erscheint und wischt gleich nach dem Abgang der letzten Toten die Blut-, Urin-, Eiter- und Säure-Lachen weg.

Etwas verwirrt und durch den stetigen Wiederholungen letztlich auch ein bisschen gelangweilt verlässt man die Halle. Im Foyer wartet ein Buffet auf das Premierenpublikum. Unter anderem mit Hackfleichbällchen an Tomatensosse und Rotwein. Einen kurzen Moment denkt man an die herausgequollenen Gedärme und an das viele Blut zurück, bevor man dann doch zugreift. Schliesslich war ja alles nur Theater.

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«The Metopes of the Parthenon», Halle 3, Messe Basel. Weitere Vorstellungen am 17. und 18. Juni, jeweils 16 und 20 Uhr.

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