Sehr dick und ziemlich doof

Das Theater Basel dampft im Schauspielhaus Dürrenmatts Tragikomödie «Der Besuch der alten Dame» zur Kapitalismuskritik-Groteske ein und scheitert damit ganz gehörig.

Viele vollgefressene Kleinbürger, aber weit und breit keine alte Dame, die zu Besucht kommt. (Bild: Judith Schlosser)

Das Theater Basel dampft im Schauspielhaus Dürrenmatts Tragikomödie «Der Besuch der alten Dame» zur Kapitalismuskritik-Groteske ein und scheitert damit ganz gehörig.

Dick sind sie alle, richtig fett und übersättigt, die Bürger von Güllen. Ihnen hat Friedrich Dürrenmatt mit seiner Tragikomödie «Der Besuch der alten Dame» ein zweifelhaftes Denkmal hinterlassen. Nun hat das Theater Basel das bekannte Stück auf den Spielplan und trotz einiger amüsanten Ideen und Szenen in den Sand gesetzt.

Der Theaterabend beginnt aber eigentlich ganz vielversprechend. Bühnenbildner Jens Burde hat eine wunderbare überdimensionierte Modelleisenbahn-Kleinstadtlandschaft zusammenzimmern lassen: mit dem (Basler) Rathaus rechts, einem Polizeiposten im Schützenhausstil links, dem eintürmigen Münster im Hintergrund, einem Souvenirladen und dem stattlichen Gasthof «Zum goldenen Apostel» im Zentrum. Im Hintergrund befindet sich im Fels eingehauen der Bahnhof von Güllen, wo die Züge, wie Mani Matter es besungen hat, alle schon abgefahren oder noch nicht angekommen sind.

In einem Orchestergraben vor der Bühnenrampe lullt ein vierköpfiges Orchester (die Bastardpop-Band Rainer von Vielen) den Raum mit eingängigem (und überaus hörenswertem) Elektrosound ein. Das ist die durchaus stimmige Situation, wie sie die Zuschauerinnen und Zuschauer antreffen, wenn sie den Theatersaal betreten.

Verzerrte Figuren

Das geht aber nur solange gut, bis auf der Bühne so etwas wie Handlung einsetzen sollte. Die Figuren, die auftreten, sind so künstlich verzerrt wie der Soundteppich aus dem Orchestergraben. Es sind aufgeblasene beziehungsweise in Fatsuits eingekleidete (Kostüme Selina Peter) Karikaturen des Personals, das Dürrenmatt in seinem Stück auftreten lässt: Der Bürgermeister, der Polizist, der Pfarrer, der Arzt, der Lehrer und natürlich Alfred Ill und seine Frau.

Nur eine Figur fehlt. Eine höchst wesentliche, weil handlungsbestimmende Person im Stück. Die alte Dame Claire Zachanassian nämlich, die nach Jahren, inzwischen zur Milliardärin geworden, in ihr verarmtes Heimatstädtchen zurückkehrt. Wo sie der Bevölkerung eine Milliarde verspricht, wenn diese dafür Alfred Ill, der sie einst schändlich betrogen hat, opfert.

Die Hauptperson fehlt

Diese alte Dame tritt in Florian Fiedlers Inszenierung nicht in Erscheinung. Nur wenn es für ein Reststückchen Handlungsgerüst nötig ist, sind Sätze von ihr aus dem Off zu vernehmen.

Die Basler Inszenierung – oder besser Bearbeitung – will sich ganz und gar auf die Wohlstandsgier der Güllener Bevölkerung konzentrieren. Beziehungsweise auf die allumfassende Gier an und für sich, denn die Figuren, die bereits bei Dürrenmatt Stellvertreter für eine Haltung sind, werden gänzlich von ihrem individuellen Wesen befreit.

Das demonstriert die Inszenierung deutlich, indem sie die Protagonisten einem dauernden Personenwechsel unterzieht. Das Ensemble auf der Bühne (Jesse Inman, Vera von Gunten, Zoe Hutmacher, Mareike Sedl, Silvester von Hösslin und Sebastian Grünewald) reicht in einem andauernden Reigen die Kostüme weiter: aus dem Bürgermeister wird Ill aus Ill der Pfarrer, wird der Arzt und so weiter.

Schöne Slapstickmomente

Daraus entstehen zum Teil schöne Slapstickmomente, die sich aber auf die Dauer verbrauchen, weil die Wiederholung alleine, auch wenn sie unterschiedliche Facetten aufweist, nicht abendfüllend sein kann.

Da hilft es auch nicht, dass Regisseur Fiedler zwischendurch auch schöne Spezialmomente einfliessen lässt. Etwa wenn Alfred Ill (für diesen Moment gerade mit Jesse Inman besetzt) aus Güllen zu fliehen versucht und wie in einem Albtraum immer wieder zum eigenen Entsetzen am Ursprungsort landet.

Denn ohne die alte Dame funktioniert die Geschichte nicht, verkommt mehr oder weniger alles, was auf der Bühne geschieht, zum symbolischen Akt ohne Hintergrund. Man sieht sich 89 Minuten lang (so die Zeitangabe im Programmheft) einer Gruppe von Figuren gegenüber, die sehr dick und letztlich ziemlich doof sind, weil nicht nur sie selber, sondern auch wir Zuschauerinnen und Zuschauer nicht wissen (oder erfahren), was sie tun.

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