Simon Solberg (33), Regisseur und Co-Leiter des Schauspiels am Theater Basel, bringt «Moses» auf die Bühne. Der biblische Stoff reizt ihn, weil «sich da archaische Grundkonflikte auftun, die bis heute wirken»: Brudermord, Befreiung aus der Knechtschaft, Aufruhr. Ein Stoff fürs Hier und Jetzt, sagt Solberg.
Die Befreiung aus der Sklaverei, der brennende Dornbusch, das geteilte Rote Meer, danach Kriege ohne Ende, bis das verheissene Land gewonnen ist: «Exodus», das zweite Buch des Alten Testaments, hält genug spektakulären Stoff bereit, der auch auf einer Theaterbühne funktionieren kann. Simon Solberg (33), Regisseur und Co-Leiter für das Schauspiel am Theater Basel, knüpft den biblischen Stoff hingegen entlang der Entwicklungsgeschichte von Moses auf: der visionäre Befreier, der zum Despoten werden muss, um die Freiheit stabilisieren zu können. Ein Stoff fürs Hier und Jetzt, sagt Solberg vor der Premiere.
Herr Solberg, vor wenigen Monaten führte Stefan Bachmann am Schauspielhaus Zürich «Genesis» auf, Sie ziehen mit dem «Exodus» nach. Was hat das Alte Testament dem Theater denn plötzlich zu sagen?
Die beiden Produktionen entstanden unabhängig voneinander. «Moses», eine Koproduktion mit dem Volkstheater München, erlebte dort bereits im September seine Uraufführung. Die Bibel ist ein superspannendes Buch, weil sich da archaische Grundkonflikte auftun, die bis heute wirken: der Brudermord ist im Nahostkonflikt aktuell geblieben, die Befreiung aus der Knechtschaft und die Gestaltung der Freiheit ist in allen Revolutionen zentral, auch in der arabischen. Und schaut man sich die Occupy-Bewegung an, den Aufruhr der Vielen gegen die Wenigen, die alles haben, kann das in groben Zügen an die alten Hebräer erinnern, die für die Ägypter schufteten.
Das sind die Massenbewegungen. Und Moses selbst? Die Führerfigur, von der sich Gott abkehrt und ihm verbietet, das gelobte Land zu betreten?
Das ist die zweite Seite der Mosesgeschichte. Moses war für mich stets der Befreier, der sein Volk durch die Wüste und das Rote Meer schleppt. Dass am Ende noch eine düstere Story folgt, die Bestrafung durch Gott, die Ablösung durch Josua und die Landnahme, die nur mit Vernichtungskriegen zu haben ist, hatte zumindest ich nicht mehr auf dem Schirm. Moses fällt, wie jede Führerfigur, mit seinen Taten. Das ist spannend, weil jeder Revolutionär mit dieser Bürde klar kommen muss. Er zieht los und befreit das Volk, aber dann erfährt er erst, was es bedeutet, eine ganze Gruppe aus geordneten Verhältnissen hinaus in die Ungewissheit zu führen.
Dafür übergibt ihm Gott die Gesetze und stiftet Ordnung.
Würde man den Dekalog heute ernst nehmen, würden wir in einer völlig anderen, wohl besseren Welt leben. Das ist aber nicht der Fall, und auch das steht schon in der Bibel: Die Massen suchen sich ein anderes, vermeintlich leichteres Ziel für ihre Erfüllungen, den Stiergott, das Goldene Kalb. Der Mammon. Und diesem Gott sind auch wir heute völlig verfallen.
Eine Kapitalismuskritik also? Wir sind die Hebräer, die sich vom Ideal abgewendet haben und nur nach Reichtum streben?
Genau. Auch die Hebräer irrten ja nur herum. Die grosse Botschaft des Dekalog ist aber, dass jeder selbst für seine Taten verantwortlich ist und sich an den Grundsätzen orientieren kann. Und auf diesen Grundsätzen kann der Mensch sich verwirklichen – was auch schief gehen kann. Moses wurden immer wieder neue Gesetze, neue Disziplinierungsmassnahmen aufgetragen, um die Macht zu festigen. Damit sie nicht bröckelt. Das ist wohl typisch für freie Gesellschaften: nur mit neuen Reglementen, mit engeren Korsetten meint man, Macht und Wohlstand sichern zu können.
«Wir versuchen dem nachzuspüren, was die Kollegen, die die Bibel niederschrieben, uns heute sagen wollen.»
Stefan Bachmann ist mit «Genesis» nahe am Originaltext geblieben. Was werden Sie tun?
Wir haben ein eigenes Skript geschrieben, einige Originalpassagen sind jedoch enthalten. Wir versuchen aber, in einer heutigen Sprache die gegenwärtigen Verhältnisse herauszuschälen und dem nachzuspüren, was die Kollegen, die die Bibel niederschrieben, uns heute sagen wollen.
Biblische Stoffe, die für die Bühne popkulturell umgedeutet profanisiert werden, sorgen regelmässig für Proteste aus der religiösen Ecke. Wie ist das bei «Moses»?
Wir haben das Stück ja in München uraufgeführt, dem Epizentrum der Christlich-Sozialen Union, wo der konservative Katholizismus sehr verbreitet ist. Kommt hinzu, dass der Intendant am Volkstheater, Christian Stückl, davor schon die Oberammergauer Passionsspiele inszeniert hat, eine heilige Veranstaltung für Bibeltreue. Wir hingegen haben Gott als Crack rauchenden Penner dargestellt. Das mag für einige blasphemisch sein, aber uns ging es um ein anderes Bild: Eine Botschaft, die Gott sendet, kann durch alle möglichen Medien kommen und muss nicht vergoldet sein. Buddhistisch gesagt, wohnt Gott in jedem Ding.
Durchaus auch in einem Crack rauchenden Penner.
Genau. Da, wo man ihn auf den ersten Blick wohl zuletzt vermuten würde: in einer aus der Gesellschaft gefallenen Figur.
Welche Reaktionen haben Sie in München erhalten?
Wir haben im Vorfeld ein Interview mit einem Journalisten eines Kirchensenders geführt, der nach den Proben sehr angetan war. Zudem sind einige ältere Besucher aus Oberammergau gekommen, und zu meiner Freude fanden die es faszinierend, wie wir junge Menschen mit diesem Stoff umgegangen sind. Diese Inszenierung ermöglicht, glaube ich, viele Anschlüsse – für ältere Herrschaften dank Erinnerungen aus dem Religionsunterricht, für Jugendliche dank Zitaten aus Film und Fernsehen, oder auch durch die gerappten Texte. Nach der Premiere in München wollten Geistliche und Jugendliche mit uns diskutieren – und eine 85-jährige Frau stand mit leuchtenden Augen vor uns. Das war wunderbar. Es ist eben sehr elementarer Shit der da verhandelt wird, nämlich die Ursprünge unserer abendländischen Sozialisation.
- «Moses», Theater Basel. Premiere: Donnerstag, 13 Dezember, 20 Uhr im Schauspielhaus.