Sesselferien

Für eine Reise im Kopf brauchen Sie den Seatbelt nicht zu fasten.

Handicapiert, aber lebensfroh: Die drei Touristen aus «Hasta la vista». (Bild: ©Ascot Elite)

Für eine Reise im Kopf brauchen Sie den Seatbelt nicht zu fasten.

«Ich hab ein Bild gemacht» galt ­früher unter Heimgekehrten als Zeichen, dass ein Urlaubs-Dia-Abend mit zirka 144 Lichtbildern ins Haus steht. Heute kann schon das kurze Wedeln über einem Phone-Bildschirmchen zu einem Diavortrag mit 8000 Bildern ausarten: Da pflanzen wir in Brasilien einen biologischen Baum, da brennt in Mali die Sonne … Während Urlauber jung aussehen, wenn sie da so über ihren Phones wedeln, ­sehen Zuhausegebliebene, zu denen ich mich zähle, mit ihren 3 Balkonabenteuern – ich habe ein Edelweiss gepflanzt, habe ihm beim Wachsen zugeschaut, es hat dem Hagel standgehalten – regelmässig alt aus.

Bloss: Wie kommen wir Zuhausegebliebenen jetzt, ehe alle die Phones vor uns stehen und wedeln, noch rasch fotografisch um die halbe Welt, ohne auf Flügen abwechselnd drängeln, stehen, ausziehen und quetschen zu müssen? Wo bucht man in Basel am Nachmittag und sitzt am Abend schon wieder am Rhein? Im Kino.

Hier die Tipps, wie Sie Ihren Fotospeicher füllen können: Ziehen Sie den Kulturkampf im Gebirge vor, buchen Sie «Escape from Tibet». Dort können Sie Ihre Freiheitssehnsucht auf über 5000 Metern aufpeppen. Das urlaubliche Weltverbessern macht entschieden mehr Spass, wenn Sie sich ­keine Blasen holen.

Apropos Blasen: Im Kleinbus unterwegs können Sie in «Hasta la Vista» sein. Mit drei lebensfrohen, handicapierten Männern auf dem Rücksitz durchqueren Sie Frankreich, mit dem erklärten Ziel, an der spanischen Küste einen Puff zu besuchen – ein Ziel, das nicht so weit von unbehinderten männlichen Traumzielen entfernt scheint, hier aber wesentlich mehr Tiefsinn vermittelt.

Ebenfalls in Spanien können Sie in «Sleep tight» Zeuge sein, wie sich Ihr scheinbar ganz gewöhnliches Wohnhaus in eine Horrorklinik verwandelt. Sie werden sich zum Schluss Ihrer Reise in einen kompletten Irrsinn verwickelt sehen. Dafür brauchen Sie aber nicht sieben schlaflose Nächte in einem abgelegenen Bungalow zu verbringen, wo Sie den Schlüssel viermal hinter sich drehen, wenn Sie nur mal rasch im Zimmer die Sonnencreme holen wollen.

Mögen Sie indische Küche mit persön­licher Atmosphäre, buchen Sie rasch das «Best Exotic Marigold Hotel». Der Blick in die Küche wird Ihnen erspart. Dafür gewähren grossartige Schauspieler einen Blick in ältere Seelen.

Derart ausgerüstet, können Daheimgebliebene den Heimkehrerinnen gelassen entgegensehen. Selbst wenn eine Ihnen ihren vierwöchigen Ferienfilm herunterwedeln will: Sie wissen ja jetzt, wie man sowas auf 90 Minuten zusammenkürzt.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 27.07.12

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