Sex, Feminismus und Weltverdruss – das Debütalbum von Garbage

Drei Produzenten gründen eine Band, um sich im Studio auszutoben. Dann engagieren sie eine Sängerin mit grosser Klappe und noch mehr Charisma. So wurden Garbage zu einer der grössten Bands der 1990er. Und Shirley Manson zum Vorbild für Frontfrauen. Eine Rückschau vor ihrem Gastspiel in Pratteln.

Musician Butch Vig, musician Duke Erikson, musician Shirley Manson and musician Steve Marker of rock band Garbage attend the 1996 VH-1 Fashion Awards on October 24, 1996 at Madison Square Garden in New York City. (Photo by Ron Galella, Ltd./WireImage)

(Bild: Ron Galella, Ltd.)

Drei Produzenten gründen eine Band, um sich im Studio auszutoben. Dann engagieren sie eine Sängerin mit grosser Klappe und noch mehr Charisma. So wurden Garbage zu einer der grössten Bands der 1990er. Und Shirley Manson zum Vorbild für Frontfrauen. Eine Rückschau vor ihrem Gastspiel in Pratteln.

Was tut ein amerikanischer Produzent, nachdem er dem Album «Nevermind» einer Band namens Nirvana den Multi-Millionen-Sound verpasst hat? Butch Vig vergoldete erst mal seinen neu gewonnenen Status als Superstarmacher mit Jobs für Sonic Youth und die Smashing Pumpkins. Dann war aber mal gut mit streitlustigen Rockern, die sich nicht entscheiden können zwischen Indie-Trotz und Erfolgshunger.

Also trommelte Butch Vig seine Kumpels Steve Marker und Duke Erikson zusammen, um sich im gemeinsam aufgebauten Studio in Madison/Wisconsin auszutoben, mit allem, was die Technik hergab.

Heraus kam dabei ein Hybrid aus Rock, Elektronik und grossen Popmelodien. Das hatte es ähnlich schon bei New Order oder den Nine Inch Nails gegeben, für den Rock-Mainstream in der Zeit kurz nach Grunge klang das aber doch recht unerhört.

Und darum dauerte es eine Weile, bis sich das Album verkaufte. Im August 1995 erschienen, tummelte sich die Platte zunächst in den unteren Chartpositionen. Erst im April 1996 erreichte sie in England ihren Höhepunkt mit Rang 6, im August dann, ein Jahr nach dem Release, kam sie in den USA auf Platz 20. Das klingt nicht spektakulär, aber über die Zeit wurden doch genug Exemplare abgesetzt, dass es in beiden Ländern für Doppel-Platin reichte.

Für diesen Erfolg brauchte es mehr als drei Produzenten mit viel Know-how und wenig Charisma. Dafür brauchte es Shirley Manson.

Auf dem Sofa mit der Studiokatze

Die drei Männer von Garbage waren sich einig, dass sie eine Frontfrau wollten. Es sollte kein Girlie mit einer hohen Stimme sein, sondern eher jemand in der Art von Patti Smith oder Chrissie Hynde von den Pretenders. Eines Nachts sah Steve Marker in MTVs Indie-Sendung «120 Minutes» ein Video der schottischen Band Angelfish, bei der Manson damals sang.

Als die erfolgreichen Produzenten, die sie waren, liessen die Garbage-Männer die Sängerin kurzerhand ins Studio einfliegen und liessen sie in einem Raum allein, damit sie sich mit den Stücken beschäftigen konnte. Doch dieses «Mach mal» verunsicherte Manson, und als es den Herren nach ein paar Stunden in den Sinn kam nachzuschauen, fanden sie ihre Sängerin in spe auf dem Sofa mit der Studiokatze spielend.

Ein harziger Auftakt. Doch bald entstanden Songs, die zu den spannendsten der 1990er zählen. Das Stop-and-Go des Openers «Supervixen»; «Vow», aufgeladen mit Sex und Aggression; «Only Happy When It Rains», die Hymne für den adoleszenten Weltverdruss und die angetrippte Abschlussballade «Milk», quasi eine erste Bewerbung für den Bond-Titelsong, den Garbage dann 1999 mit «The World Is Not Enough» aufnahmen.

Shirley Manson sang diese Lieder nicht nur mit einer dunklen, suggestiven Stimme, sondern versah sie auch mit Texten, die zu reden gaben. «I can’t believe you fake it», sang sie dem «Stupid Girl» ins Gewissen und hatte Zeilen parat wie «I came around to tear your little world apart – and rip your soul apart».

Das sass, und weil Manson in Interviews offen über Selbstzweifel und Autoaggressionen sprach und gern auch Anzügliches einstreute, erkannten sich viele junge Frauen in ihr wieder. Manson war nicht so explizit politisch und weniger aggressiv als ihre Zeitgenossinnen von den Riot Grrrls. Doch klare Meinungen zum Frausein und zu Geschlechterrollen äusserte sie gerne auch ungefragt. Und so definierte sie (zusammen mit Gwen Stefani von No Doubt) für die 1990er das feministische Role Model einer Leadsängerin in einer Rockband.

Das machte auch den jungen Männern Eindruck. Shirley Manson war eine Frau, die einen Respekt lehrte und scharf machte. Sie wetterte gegen Sexismus, sang «You can touch me if you want» und reimte «Happy Hours» auf «Golden Showers». Eine Geschlechterkämpferin mit frecher Klappe, knallroten Haaren und Netzstrümpfen – geil.

Konzert im überschaubaren Rahmen

Eine Freundin der deutlichen Worte ist Shirley Manson auch heute noch, kurz vor ihrem 50. Geburtstag. «Sie sagen uns, Schönheit sei die höchste Währung. ‹Vogue› zeigt Kim Kardashian auf dem Cover. Wieso keine Wissenschaftlerin? Oder eine Schriftstellerin?», sagte sie im «Billboard»-Magazin.

Ihre Hintermänner wissen derweil immer noch, wie man ein paar vernünftige Songs produziert, wie die beiden Alben seit der Wiedervereinigung 2012 zeigen. So viele Leute wie früher erreichen Garbage damit nicht mehr – wer Mitte der 1990er jung war, hat heute neben Job und Familie weniger Zeit für Musik.

Das hat den Vorteil, dass man für ein Konzert nicht wie damals ans Open Air St. Gallen fahren muss. Garbage spielen am Samstag im überschaubaren Rahmen der River Nights im Z7 in Pratteln. Auf dem aktuellen Tourprogramm steht knapp die Hälfte der Songs aus dem ersten Album. Die Produzenten haben dem heute etwas veraltet wirkenden Klangbild der Studioversionen für die Live-Aufführung bestimmt das eine oder andere Update verpasst. Und vor allem haben sie immer noch Shirley.


Samstag, 6. August, ab 15 Uhr: River Nights im Z7, Pratteln, mit Garbage, Richard Ashcroft, The Subways u.a.

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