Sie wollen Dampf ablassen? Ab ins Tinguely Museum!

Der britische Künstler Michael Landy spielt gerne Müllmann und animiert die Besucher im Tinguely Museum, Heilige zu quälen. Ein wohltuendes Vergnügen.

Und tschüss!: Kreditkarten nach Schredder-Begegnung.

Der britische Künstler Michael Landy spielt gerne Müllmann und animiert die Besucher im Tinguely Museum, Heilige zu quälen. Ein wohltuendes Vergnügen.

Einfach mal ratzfatz alles wegschmeissen, verschenken, entsorgen? Just in dem Moment, als ich mich zur Ausstellung «Out of Order» im Tinguely Museum aufmache, träumte ich geradezu von einer Tabula rasa. Mein Hausschlüssel ist irgendwo unter meinen Besitztümern verschwunden. Statt auf ihn stosse ich lediglich auf Sachen, für die ich im Grunde gar keine Verwendung habe. Wo kommt das bloss alles her?

Michael, der Müllmann

Der Künstler der Ausstellung, Michael Landy, lebt jenen Traum. Seine Wohnung ist beneidenswert leer und bei seiner Kunst gehts vor allem darum, Dinge zu zerstören und zu entsorgen. Als Sohn eines Minenarbeiters war Landy lange arm. Um sich das Arbeitsamt vom Hals zu halten, gründete er einst gar eine fiktive Müllentsorgungsfirma namens «Scrapheap Services». Und als er dann doch einmal etwas besass, liess er dies bei einer Aktion im Jahr 2001 sogleich wieder zerstören. 7227 persönliche Besitztümer landeten so auf der Müll-Deponie oder auf Englisch: im «Landfill». Oder, wie er selber sagt: im «Landy-fill». 

Gestatten: Michael Landy aka Müllmann.

Gestatten: Michael Landy aka Müllmann. (Bild: Galerie Sabine Knust)

Manchmal lädt Michael Landy andere Künstler ein, ihre misslungenen Kunstwerke öffentlich in seinen Kunst-Mistkübel «Break Down» zu werfen. Sich selber präsentiert er gerne als Abfalleimer oder Putzkolonne.

Alles muss raus. Lautstark ruft Landy sein Credo aus, auch während der Tour durch die Ausstellung im Tinguely Museum, die mit leeren Marktständen und -kisten möbliert ist.

Ein gutgelaunter Landy verliest bei der Medienführung seine Todesurkunde.

Ein gutgelaunter Landy verliest bei der Medienführung seine Todesurkunde.

Landy ist Teil der Künstlergruppierung «YBAs» (Young British Artists), deren Mitglieder (unter anderem auch Tracey Emin und Damien Hirst) inzwischen nicht mehr ganz so «young» sind. Kein Problem, denn im Kopf altert Landy schon lange nicht mehr. Ein Schelm ist er. Und um dies zu unterstreichen, hat er die ganze Ausstellung mit allerlei Penissen geschmückt und auch ein Bild hineingestellt, das «H.2.N.Y Machine Created to Destroy Tinguely Museum» heisst.

Bestrafung darf sein

Landy scheint diese Ausstellung schon eine Weile geplant zu haben: Durch «Out of Order» geistert die weltweite Rezession der frühen 90er-Jahre, seine gesamte Haltung scheint aus dieser Erfahrung zu stammen. Alles dreht sich um Markt, Anpreisen, Ausverkaufen – und dafür bestraft werden.

Und bestrafen kann man in «Out of Order» nach Lust und Laune: Es stehen Heilige bereit, um von den Besuchern gequält zu werden. Viele Heilige. Man kann den ungläubigen Thomas spielen und per Knopfdruck einen übergrossen Mittelfinger in einen antik wirkenden Jesus-Torso rammen. Oder den überdimensionalen, baumelnden Kopf des Heiligen Franziskus mit Steinen bewerfen.

Etwa so:

«MultiSaint» wiederum ist ein ganzes Sammelsurium von Märtyrern mit eingebauter Selbstgrill-Automatik. Toll, ich kann nicht aufhören, den Kopf zu betätigen. Er soll büssen für alles Übel, dass mir im Leben kürzlich so widerfahren ist! Danach fühle ich mich deutlich besser.

Mit der Zerstör-Aktion 2001 brachte Landy seine Mutter zum Weinen. Ehemals befreundete Künstler sprechen nicht mehr mit ihm. Auch ihre Werke sind dem «Break Down» zum Opfer gefallen. Tja.

Not a pleasant person

Ist Michael Landy ein Ekel? Er sagt jedenfalls von sich selber: «I’m not really a pleasant person», er sei nicht wirklich eine angenehme Person. Stimmt aber nicht, jedenfalls wirkt er total «pleasant» und gut gelaunt. Irgendwo muss man sich ja abreagieren, wenn man nichts besitzt. Ich bleibe bei der Schelm-Theorie.

Warum also so zerstörerisch, Herr Landy? «I’m British, so I’m a bit depressed», scherzt er – als Brite sei er halt ein wenig deprimiert. Er fügt dann aber an: «Als Kind wollte ich immer Dinge auseinandernehmen. Ich glaube, wir alle wollten das. Und ich glaub wir wollen das noch immer, oder nicht?»

Autor am vielversprechenden Glücksrad.

Autor am vielversprechenden Glücksrad.

Wohl wahr. Zum Schluss drehe ich noch am märtyrerischen Glücksrad und es befiehlt mir: «Renounce the worship of false idols!», schwöre ab von falschen Idolen! Beim Hinausgehen lasse ich folgsam meine Kreditkarte schreddern und verzichte auf das Kunstwerk, das ich dafür bekommen sollte. Endlich geläutert!

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Michael Landy, «Out of Order», Museum Tinguely, 8. Juni bis 25. September 2016.

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