Simone Lappert: «Wir müssen lernen, dass wir trotz Freiheit unglücklich sein dürfen»

Die Basler Autorin Simone Lappert hat mit «Wurfschatten» ihren ersten Roman geschrieben. Bei einem Treffen in Berlin sprachen wir über Angst und Freiheit, die Themen ihres Buches und zugleich ihrer Generation.

Choriner Ecke Fehrbelliner: Simone Lappert in Prenzlauerg Berg, wo sie bis Ende Jahr lebt. (Bild: Valentin Kimstedt)

Die Basler Autorin Simone Lappert hat mit «Wurfschatten» ihren ersten Roman geschrieben. Bei einem Treffen in Berlin sprachen wir über Angst und Freiheit, die Themen ihres Buches und zugleich ihrer Generation.

Sechs Jahre hat Simone Lappert geschrieben, nun ist ihr erstes Buch fertig. Seit dem 18. Juli kann man den Roman «Wurfschatten» kaufen, Literaturhäuser laden Lappert zu Lesungen ein, Zeitungen interessieren sich. Auf Bühnen soll sie Auskunft über Prozesse und Erlebnisse geben, die sie nur von innen kennt. «Ich fühle mich wie ein Maulwurf», sagt sie, «der sich jahrelang durchs Textdunkel gegraben hat und nun ans Licht  kommt.»

Nicht, dass die Wahlbaslerin aus dem Aargau, die am 8. August 29 wird, schüchtern wäre oder zurückgezogen leben würde. Im Gegenteil. In der Cargobar am Rhein hat sie lange gearbeitet und Freude gehabt an der Plauderei über dem Drink, den sie gerade ausschenkte. In Berlin, wo ihr das Aargauer Kuratorium bis Ende Jahr einen Aufenthalt ermöglicht, kennt sie etliche Leute.

Der Anspruch an die Genauigkeit

Einige Tage vor unserem Treffen in Prenzlauer Berg liest sie im Literarischen Colloquium Berlin aus ihrem Buch. Die Villa im Süden der Stadt hat Anstoss an den Wannsee, hier machen die Grossen der Literatur Halt, das Haus ist Institution. An diesem Tag lädt es zu einem helvetischen Abend mit vier Autoren aus der Schweiz, der Kulturattaché der Schweizer Botschaft redet zur Einführung. Es ist Full House und Bildungsbürger-Groove.

Simone Lappert fängt mit weicher und brüchiger Stimme zu lesen an. Sie nimmt sich Zeit, sie scheint betroffen vom eigenen Text zu sein. Sie liest nicht nur vor, sie durchlebt die Erzählung von der jungen Schauspielerin Ada, die in einer diffusen Wolke aus Ängsten gefangen ist, sodass sie zu Beginn des Buches nur in ihrer Basler Wohnung herumstehen kann, bis ihre nackten Füsse auf dem Küchenboden zu frieren anfangen.

Das ist zu viel, denkt man beim Zuhören unwillkürlich und sucht innerlich Distanz. Doch die Lesung funktioniert. Die Schilderungen sind fein ausgefeilt und zusammengefügt worden, solange, bis nur noch das Nötige dasteht. Der Text ist genau und verträgt den genauen Vortrag.

«Ein gutes Buch ist eine Einladung»

Vielleicht hat ihre Mischung aus Skepsis und Vorfreude, mit der Simone Lappert auf die Zeit nach der Veröffentlichung schaut, damit zu tun: ihrem Anspruch an die Genauigkeit. Was sich im Text zeigt, zeigt sich auch im Gespräch. Auf Deutungsvorschläge antwortet sie häufig: «Ich würde es etwas anders sagen.» Zum Beispiel auf die Frage, ob ein gutes Prosabuch eine Verführung ist, mit der man den Leser dazu bringt, sich mit unangenehmen Themen wie Adas unkontrollierbarer Angst auseinanderzusetzen. «Verführung klingt mir zu manipulativ und ergebnisorientiert», sagt sie, «nach Übers-Ohr-gehauen-werden. Vielleicht ist ein gutes Buch eher eine Art Einladung, die man nicht ausschlagen kann. Obwohl man nicht weiss, was einen erwartet.»

Oder wenn es darum geht, die Herkunft von Adas Angst zu deuten. Muss man sich, wie die «Basler Zeitung» schreibt, zu Menschen wie Ada hingezogen fühlen, um das Buch interessant zu finden, oder ist Adas Angst eine Zuspitzung der Hemmungen, mit denen unsere ganze Generation hadert? Die Rezension in der TagesWoche hat Letzteres behauptet: Adas Angst verleiht dem Übermass an Möglichkeiten Ausdruck, mit dem unsere Generation nicht zurechtkommt.

«Es ist wie mit Quasimodo. Es ist spannender, wie er mit seinem Buckel herumgeht, als wo der Buckel herkommt.»

In Simone Lapperts Augen ist an dieser Deutung etwas dran, zugleich aber auch nicht. Ada hat gewaltige Ängste, doch woher sie kommen und wofür sie allenfalls stehen, das sind andere Fragen. Vielleicht ist es die Überzahl an Möglichkeiten, von denen Ada an einer Stelle selber spricht, vielleicht ist es auch etwas ganz anderes. Lappert interessierte sich beim Schreiben ihres Romans für das Angsthaben selbst und die Geschichten, die daraus entstehen, aber weniger für dessen Herkunft und Deutung. «Es ist wie mit Quasimodo. Es ist spannender, wie er mit seinem Buckel herumgeht, als wo der Buckel herkommt.»

Doch wo steht für Sie das Thema Angst, Frau Lappert? «Angst ist allgegenwärtig. Wenn ich Leute darauf angesprochen habe, stellte sich heraus, dass das Thema in allen Ecken lauert. Trotzdem ist es nach wie vor tabuisiert und unsexy.»

Vielleicht wird die besonnene Lappert noch einen Moment brauchen, bis sie auf die Fragen des Literaturbetriebs ganz locker vom Stapel lässt, was Sache ist. Vielleicht geht es auch schneller, als sie denkt. Jedenfalls fallen Sätze wie diese, als das Gespräch doch wieder auf unsere Generation kommt: «Wir haben noch nicht gelernt, dass wir trotz Freiheit unglücklich sein dürfen. Wir fühlen uns schuldig, wenn wir nicht permanent glückselig sind.»

Ursprünglich war mal der Plan, bei diesem Treffen mehr über Simone Lapperts Person zu sprechen: Wie ist sie zur Literatur gekommen? Welche Rolle spielte dabei das Institut in Biel, an dem sie Literarisches Schreiben studiert hat? Und wie – unvermeidliche Frage – ist ihr Verhältnis zu ihrem Onkel Rolf Lappert, dem arrivierten Autor?

«Wir fühlen uns noch immer von Bob Dylan verstanden.»

Doch die Zeit verstreicht über den Themen Angst und Freiheit, um die ihr Buch kreist. Wir unterhalten uns über unsere Generation, die an einer Schnittstelle steht: Obwohl in den 80ern geboren, sind wir irgendwo selber noch 68er und fühlen uns von Bob Dylan verstanden. Wir verlangen viel von uns, weil wir einen Schritt noch nicht nachvollzogen haben: Wir sind nicht mehr die Generation, die sich Freiheiten erkämpft hat, sondern die, die über sie verfügen kann – und mit ihnen zurechtkommen muss. «Klar kannst du alles aus dir machen», sagt Simone Lappert, «aber es ist okay, damit überfordert zu sein.»

Mit sich selber ist sie versöhnlicher geworden, wenn sie Angst hat, nicht zuletzt seit der Arbeit an ihrem Buch. Der verbissene Kampf gegen die Angst ist für sie der falsche Weg. Denn Angst hat auch Potenzial. «Man kann nur mutig sein, wenn man Angst hat», sagt sie.

Und Ada? Die trifft einen Mann. Doch erlöst ist sie damit nicht. Eine veränderte Haltung gegenüber der Angst muss aus ihr selbst heraus entstehen. «Sich lieben lassen setzt Mut voraus», sagt Simone Lappert. «Für Ada fängt die Auseinandersetzung erst an.»

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Wurfschatten. Metrolit, 207 Seiten.

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