Sinfonien mit Swing

«Miles, Duke and Nick»: Das Sinfonieorchester Basel und der Trompeter Nicholas Payton rollen in glühenden Farben und sinnlicher Tongebung die Geschichte afro-amerikanischer Orchesterwerke auf.

Konzert. Sinfonieorchester Basel spielt Jazz in Stadtcasino, Basel am 29.05.13 (Bild: Alexander Preobrajenski)

«Miles, Duke and Nick»: Das Sinfonieorchester Basel und der Trompeter Nicholas Payton rollen in glühenden Farben und sinnlicher Tongebung die Geschichte afro-amerikanischer Orchesterwerke auf.

Wer an die Paarung Sinfonische Musik und Jazz denkt, dem kommt in erster Linie der Name George Gershwin in den Sinn. Doch das Genre hat in den USA auch einen afro-amerikanischen Strang aufzuweisen. Im Stadtcasino wurde dieser gestern (Zweitaufführung Donnerstag, 30. Mai) mit drei Eckpfeiler-Werken über siebzig Jahre hinweg gefeiert – das Konzept gilt als Premiere in der Schweiz.

Duke Ellingtons «Black, Brown & Beige» datiert aus dem Jahr 1943 und sollte, als Geschichte des African American-Charakters Boola, eigentlich eine Oper werden. Irritiert von der damaligen Kritik («der Versuch, Jazz mit Kunstmusik zu fusionieren, sollte nicht weiter ermutigt werden», Paul Bowles), liess Ellington den Plan fallen. Seine Ideen leben nun aber in verschiedenen Suitenformen und wurden 1970 vom ehemaligen Bernstein-Assistenten Maurice Peress von Bigband-Besetzung auf Symphonieorchester-Bandbreite gebracht. Unter Dennis Russell Davies‘ Dirigat glüht diese Fassung förmlich auf der Bühne, er holt die verschiedenen Instrumentengruppen sehr räumlich hervor.

Übermut der Holzbläser, warmer Cellogesang

Die polternde Eröffnung des «Work Song», der Übermut der Holzbläser mit den sinnlichen Saxofonen, die feurigen Streicher zu den Harfengirlanden – aus dem Arbeiterlied wird eine stattliche Sonntagnachmittagparade. Im bekanntesten Stück der Suite, «Come Sunday», hört man immer die Stimme Mahalia Jacksons mit. Hier scheint die Melodie in vielerlei Gestalt auf: Im warmem Cellogesang, den gezogenen Tönen von Saxophonen und Posaunen, filigran gar in den Flöten. Das Finale schliesslich ein Widerstreit zwischen gemächlichem Blues und turbulentem Grossstadt-Swing, der in triumphalen Dur-Farben gipfelt, höchst effektvoll vom entfesselten Orchesterapparat umgesetzt.

Arabesken und gesiterhafte Hauchtöne

Reflektierte Ellington in seinem Werk die Geschichte der African Americans mit eher herkömmlichen Mitteln, war es sechzehn Jahre später Miles Davis’ Hauptanliegen, sich zusammen mit seinem Arrangeur Gil Evans von konventionellem Jazzvokabular zu befreien. Signifikanterweise wählte er dafür keine afro-amerikanisch geprägten Klänge, sondern liess sich auf die Klangwelt Spaniens ein. In Basel kommt es dem 40-jährigen Trompeter Nicholas Payton zu, die Rolle von Davis zu übernehmen. Im Kreise seines Quartetts, das dem Orchester nicht als Widerpart sondern rhythmischer Zuarbeiter dient, orientiert sich der Ellis Marsalis-Schüler mit Literatenbrille und Hut in seiner Interpretation der «Sketches Of Spain» klar am grossen Vorgänger, setzt aber auch eigene Akzente.

Sein Ton ist im Adagio des «Concierto De Aranjuez» nicht so versonnen-spröde, etwas kräftiger als in der Originalaufnahme, und in der Passage mit Dämpfer erzeugt er im Dialog mit dem Orchesterblech ein mittagshitziges Knistern. Gegen Ende bricht er die Arabesken in geisterhafte Hauchtöne, und auch in die dämonische Atmosphäre von Manuel De Fallas «Will ‚ The Wisp» sowie in die «Saeta» baut er mit Flatterzungen und Überblastechniken Geräuschhaftes ein. Die «Soleá» fungiert dann für alle Akteure als Schaukasten: Das von Dennis Russell Davis kontrolliert gezündete dynamische Pulsieren des anrollenden und abebbenden Orchesters und das feine Zusammenwirken der Perkussionsgruppen bietet Payton eine ideale Grundierung für seine erzählende Improvisationskunst, feurig und reflektiert zugleich.

Hohe Anforderungen an die Hörer

Mit grösster Spannung an diesem Konzertabend erwartet: Paytons eigene «Black American Symphony», die erst letztes Jahr ihre Uraufführung erlebte. Der von New Orleans über R&B und HipHop bis Neobop versierte Musiker knüpft in seiner Reflektion über die Historie der schwarzen Amerikaner ideell zwar an Ellington an, verfügt aber freilich über ein viel grösseres stilistisches Spektrum. Das sechssätzige Werk begeistert zunächst mit dem Intro «The Weeping Winds». Ein schlichter, grundweg stolzer, ja triumphaler, von leiser Wehmut durchzogener melodischer Gestus in der Trompete, gebettet in einen fast zärtlichen Orchesterton. Es sind die folgenden zwei langen Mittelsätze, die hohe Anforderungen an den Hörer stellen und von der kompositorischen Ausarbeitung nicht der Weisheit letzter Schluss sind: Payton behandelt das Orchester hier oft als akkordische Masse, arbeitet kaum kontrapunktisch, sorgt nicht für Transparenz der Partitur: Mit dem gleichförmigen Insistieren auf einer harmonischen Folge ist der Apparat hier eher Basis für seine – wohlgleich beeindruckenden – Improvisationspassagen auf Trompete, Fender Rodes und Flügel.

Erst durch die mächtig strahlenden Bläserakzente im vierten Satz wird die mühsame Mittelstrecke ad acta gelegt, denn in «#BAM» zaubert er einen melodischen wie rhythmischen Überschwang, die glücksseligen Soularrangements Philadelphias wohnen darin, und die Nummer ginge auch als sattes Thema einer TV-Serie der Siebziger durch.

Völlig unkonventionell die Zielkurve der Symphonie: Mit einer Elegie, die von Mahlerscher Weltverzweiflung in warme Herbstfarben hinein gleitet, befreit sich Payton vom Begriff Jazz (The «J» Word!) und zündet dann ein funkiges Finale à la Michael Jacksons «Don’t Stop ‚Til You Get Enough». Die afro-amerikanische Symphonik liefert mit diesem sehr heterogenen Werk noch nichts Stilbildendes, ist eher Zwischenbilanz. Doch – ganz im Gegenteil zum eingangs zitierten Paul Bowles – ist es wünschenswert, dass Payton mit seinem Fusionsversuch zahlreiche Nachahmer findet.     




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