Sitzbank oder Geländer? Nein – Kunst!

Matias Speschas Plastik beim Universitätsspital ist vor allem eines: unauffällig. Und sie birgt Geheimnisse – nicht nur, was ihre Funktion betrifft.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Matias Speschas Plastik beim Universitätsspital ist vor allem eines: unauffällig. Und sie birgt Geheimnisse – nicht nur, was ihre Funktion betrifft.

Wären die Werke Matias Speschas ein Kanton, es wäre der ihres Erschaffers: Graubünden. Ruhig und unaufdringlich, von einer kargen Schönheit, dessen Reiz in seiner Zurückhaltung liegt. Denn genau so verhält es sich mit den Plastiken des Bündner Künstlers – es sind grosse Gebilde, die sich trotz ihrer Wuchtigkeit im Hintergrund halten, als würden sie dem Raum um sich herum Platz lassen wollen.

Auch in Basel steht eines dieser Gebilde, und es ist so zurückhaltend, dass es regelmässig, man könnte sogar sagen ständig, als gewöhnlicher Teil des öffentlichen Raumes benutzt wird:



Bank oder Geländer? Kunst!

Lädt auch zum Sitzen ein: Matias Speschas Werk vor dem Unispital. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Von der Surselva in die französische Wahlheimat

Matias Spescha wurde 1925 im Bündner Oberland geboren und früh ins harte rurale Leben eingeführt: Jeden Sommer arbeitete er als Knecht bei einem Bauern und verdiente sich ein Feriengeld. Als er seinen Schulabschluss in der Tasche hatte, machte er eine Schneiderlehre, arbeitete als Zuschneider in der Tuchfabrik in der Surselva und wechselte dann nach Zürich, wo er drei Jahre lang Plakatmaler für das Kino Corso war. In den 1950er-Jahren zog Spescha für 4 Jahre nach Paris und danach nach Südfrankreich, wo er bis kurz vor seinem Tod im Jahr 2008 lebte.

Trotz seiner französischen Wahlheimat ist Spescha an diversen Orten der Schweiz vertreten: Er hat das Architekturbüro von Peter Zumthor in Haldenstein ausgemalt, platzierte öffentliche Skulpturen in Chur, Pontresina und Luzern, und seit zwei Jahren steht im Bündner Oberland sein Lebenswerk, postum umgesetzt von seiner Tochter Venice Spescha: «Ogna», eine riesige begehbare Skulptur, die der «Picasso aus dem Graubünden» während Lebzeiten als Nachlass für die Welt geplant hatte. Er habe kein Museum gewollt, sagte Venice Spescha im Gespräch mit dem SRF, am Ende habe ihr Vater Bilanz gezogen und ein Werk konstruiert, das sein Vokabular im öffentlichen Raum umsetzt. Die Skulptur ist monumental, ein massiver Einschnitt in die Bündner Natur, der trotz seiner Wuchtigkeit seltsam bescheiden daherkommt.

Schon seit 2013 widmet die TagesWoche sich über die Monate Juli und August der «Kunst am Wegrand». Alle in dieser Serie erschienenen Artikel finden Sie auf der Themen-Seite Kunst am Wegrand.

Ist «Ogna» ein Lebenswerk, so ist die kleine Plastik vor dem Unispital nicht mehr als ein kleines Zwinkern, und doch geht von ihr eine ähnliche Stimmung aus: Bleiern und schwer, aber von einer Unaufdringlichkeit, die sie übersehbar macht. Sie gehört in Basel nicht zu den vieldiskutierten Skulpturen oder umstrittenen öffentlichen Werken, sie will nicht auffallen, und wenn sie es tut, so bleibt sie verschlossen. Der Kunsthistoriker Matthias Frehner schrieb einst über Spescha: «Es gibt nur noch wenig Rätsel in der heutigen so offenen erkundeten Welt. Die Räume Speschas sind eines davon.»



Ein Mann, viele Geheimnisse: Matias Spescha.

Ein Mann, viele Geheimnisse: Matias Spescha. (Bild: Keystone)

Was ist also das Geheimnis dieses kleinen Zwinkerns? Es ist weder Bild noch Objekt, es verschmilzt mit seiner Umgebung und entgeht dem unaufmerksamen Auge. Vielleicht ist es ja das: Spescha plädiert fürs Hinschauen, und im gleichen Zug ja wohl auch fürs Hinsetzen und Sinnieren.

Wer also dieser Tage mal Zeit hat, soll sich doch zum Unispital begeben, die Gedanken dazu liefert Speschas Sohn, der Bündner Schriftsteller Flurin Spescha:

«Der Horizont bricht und wird zum Körper. Noch nie war der Raum so offen, noch nie war das Spiel so frei. Der Kreis schliesst sich nie, denn deine Linie ist keine Schlange, die sich in den Schwanz beisst. Sie gehorcht der ungeschriebenen Logik der Konsequenz, so als wäre uns die Mathematik das Organischste.»

Ein Horizont, der zum Körper wird und ein Spiel ermöglicht – wer mitspielen will, dem wird die Skulptur beste Möglichkeiten bieten. Und wer nicht so weit gehen mag, der darf sich mit der Gewissheit begnügen, dass durchdachte Kunst bisweilen auch eine ganz passable Sitzgelegenheit abgibt.

_
Mehr Kunst am Wegrand:

Nächster Artikel