So viel Hunger

Anna Aaron in der Kaserne: Eine Sirene mit Rasiermesser, eine furchteinflössende Erfahrung.

Anna Aaron. Sorgt für furchteinflössende Erfahrungen.

Anna Aaron in der Kaserne: Eine Sirene mit Rasiermesser, eine furchteinflössende Erfahrung.

Anna Aaron ist gut. Das wussten wir schon: Denn seit Sophie Hunger wurde keine junge Schweizer Songwriterin derart durch die Feuilletons geschleift wie sie. Nicht ohne Grund: Ihr neues Album “Dogs in Spirit”, mit der die 26-jährige Baslerin zur grösseren Schwester aufschloss, offenbarte Abgründe, die man so in der Schweiz lange nicht mehr gehört hatte. Das Album verunsicherte, verstörte, begeisterte.

Denn Anna Aaron hat Appetit. Das beweist sie auch bei ihrem ersten Auftritt in der Basler Kaserne, bei der Plattentaufe, wo sie im Vorfeld optimistisch gleich zwei Daten ansetzte. Zu recht: “Sold out – ausverkauft”, steht draussen auf Tafeln vor dem Eingang. Drinnen: Hitze in der überfüllten Rosstall-Bar. Gespannte Erwartung. Und dann, endlich, der Auftakt: „No more Mrs Nice Girl“, so nicht nur die Devise des Albums, auch des Konzerts. Mit schwarzer Kriegsbemalung auf den ansonsten mädchenhaften Wangen lässt Anna Aaron schon bei den ersten Tönen jegliche Skepsis schwinden. Ihre heisere, rauchige Stimme tut ihr Übriges: Jubelschreie, noch bevor sie zum ersten Mal Luft holt.

Vom Open Mic zum Hauptact

“Hier, nebenan, im Parterre hatte ich meinen ersten Auftritt”, sinniert sie eine halbe Stunde später in einer ihrer seltenen Ansagen. Nur wenige Schritte entfernt – aber es ist ein grosser Schritt von der Open-Mic-Night zum Hauptact. Und ein absolut folgerichtiger: Denn die Kunstfigur Anna Aaron, von ihr erschaffen, hat das Zeug für die Bühnen der Welt. Ihr unerschrocken geradeaus gerichteter Blick, ihre zuckenden Schultern, lassen die (dreiköpfige, überzeugende) Band hinter ihr verblassen, lassen – seien wir ehrlich – alles verblassen: Mit leisem Schauer hört man plötzlich nur noch ihre Stimme, diese unglaubllich eindringliche Stimme, die unversehens aus den Tiefen aufsteigt, sich emporschwingt und erst in den Höhen zur wahren Stärke findet, mit Grunge-Attitüde mal an PJ Harvey erinnert, von Piano begleitet die frühe Tori Amos vorm inneren Auge aufsteigen lässt und teils, in ihrer zwingenden, kindlichen Manier gar Kate Bush konkurriert.

Doch das alles ist nur die halbe Wahrheit. Denn Anna Aaron ist nicht nur schnoddrig, feministisch oder gar elfenhaft. Anna Aaron macht Angst. In den bleibendsten Augenblicken mahnt die Metamorphose der Cécile Meyer (so ihr bürgerlicher Name) zur A.A., die als düsterer Racheengel aufs Tamburin einschlägt, die Sätze von sich gibt wie “I catch bullets with my teeth” (was man ihr absolut abnimmt), an niemand geringeres als die manische-animalische Jefferson Airplane-Sirene Grace Slick. Die Sogwirkung, die von ihr ausgeht: rasiermesserscharf, hypnotisch, erbarmungslos.

Anna hat nicht nur Appetit. Anna hat soviel Hunger, dass sie ihre Konkurrenz zum Frühstück verspeisen könnte. “Ich singe für euch mein Herz aus”, meint sie zum Schluss. Daran wagt spätestens jetzt niemand mehr zu zweifeln. Anna Aaron, das wusste man, ist gut. Seit gestern steht fest: Beängstigend gut.

> Das zweite Konzert findet heute Donnerstag, 20.30 Uhr, statt.
Kaserne, Basel.
Support: Nadia Leonti

Quellen

Website von Anna Aaron

Website der Kaserne

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