In über 170 Verkehrsspiegeln aus drei Ländern zeigt Claudio Moser das ungeschminkte Spiegelbild der Achse Badischer Bahnhof – Messeplatz. So richtig hinschauen tut da leider niemand.
Seit Ende Mai dehnt sich Claudio Mosers Spiegelintervention «… istwasistwasist …» zwischen dem Badischen Bahnhof und der Messe aus. Von Spiegeln werden die Reisenden schon auf den Bahnperrons empfangen, ein Wiedersehen gibt es dann auf dem Vorplatz des Bahnhofgebäudes. An den hohen BVB-Masten sind schwarmartig unzählige Spiegel befestigt, die in alle Himmelsrichtungen ihren Spiegeleffekt zur Geltung bringen.
Schön, wie dadurch das klassisch-moderne hundertjährige Sandsteingebäude von Karl Moser in Szene gesetzt wird. Hier scheint schon die Kulmination und Auflösung der Intervention stattzufinden. Wenn man sich aber dann mit dem Tram oder zu Fuss in Richtung Messe begibt, fällt den Aufmerksamen auf, dass auch entlang der Rosentalstrasse einzelne Spiegel verteilt sind.
Enttäuschte Neugier
Die Verkehrsspiegel hat der Künstler Claudio Moser an ungewohnten Orten angebracht. Sie scheinen zufällig verteilt und ausgerichtet zu sein, pragmatisch dort angebracht, wo es eine Stange als Halterung gibt: an Pfosten von Verkehrsschildern, Masten der BVB, Gitterpforten oder an Handläufen von Treppenabgängen.
Die anfänglich aufkommende Neugier wird enttäuscht: keine Dramaturgie ist ersichtlich, keine witzige oder wirklich überraschende Positionierung, und schon vor dem Messeplatz verschwinden die Spiegel gänzlich, ohne Schluss- oder Anfangspunkt. So reflektieren sie auf unerbittliche Weise, dass der Ort dringend eine Neugestaltung braucht. Das Planungsamt Basel-Stadt hat sich dem Problem bereits angenommen.
«Wissen Sie, was das soll?»
Eine kleine, spontane Umfrage unsererseits auf einem Perron des Badischen Bahnhofs hat zu folgenden Statements geführt:
Ein DB-Fahrkartenkontrolleur: «Da haben Sie mich aber erwischt. Ich sehe diese Spiegel jeden Tag und muss mich jetzt mal erkundigen, um was es sich dabei handelt. Dachte, das ist so eine Werbeaktion und es wird da noch was nachkommen.»
Eine junge Frau: «Meine Mutter hat mir erzählt, dass das ein Kunstprojekt ist, wegen der Kunstmesse. Die Spiegel sind in der ganzen Stadt verteilt. Finde ich gut, mal was anderes.»
Eine andere Frau, die sich als Künstlerin entpuppt: «Als ich die Spiegel hier zum ersten Mal sah, dachte ich, es wäre ein Projekt einer Schulklasse.»
Alle drei Befragten geben zu, dass sie noch in keinen der Spiegel hineingeschaut haben. Die Spiegelintervention fällt zwar auf, wird offenbar aber nicht betrachtet. Da die Spiegel das zeigen, «was ist», sind sie visuell in das Umgebungsbild eingelassen und verschwinden in diesem. Und irgendwie meint man auch zu wissen, was denn darin zu sehen ist. Unsere Übersättigung mit Spiegeln und Spiegelungen im öffentlichen Raum hat dazu geführt, dass wir diese unbewusst aus unserer Wahrnehmung herausfiltern.
Kein Vandalismus …
Von Nahem betrachtet, spiegelt man sich natürlich zunächst selbst verzerrt im konvexen Verkehrsspiegel und erhält einen seitenverkehrten, verkleinerten Überblick von der Raumhälfte aus der man kommt. Sie leiten also nicht in die Bewegungsrichtung, sondern werfen zurück. Beim sehr genauen Hinschauen können Einritzungen von Orts- und Flurnamen entziffert werden. Es handelt sich hier nicht, wie der erste und auch der zweite Eindruck suggerieren, um Vandalismus. Der Künstler selbst hat mit Diamantstift Flurnamen der Dreiland-Region eingeritzt. Viele Bezeichnungen sind auch Ortskundigen unbekannt, den auswärtigen Besucherinnen und Besuchern sowieso.
In einer zweiten Projektphase sollen die Drei-Länder-Verkehrsspiegel zu einer Kugel geformt werden – in Anlehnung an den imposanten, reflektierenden Kugelleuchter in der Eingangshalle des Badischen Bahnhofs – die dann auf eine Reise durch die Dreiland-Region geschickt wird.
… oder doch?
Vandalismus – oder die haptische Interaktion von Passantinnen und Passanten mit den einzelnen Spiegeln – wird förmlich provoziert. Immer wieder hängen sie sehr tief, sind instabil befestigt, haben offensichtlich keine verkehrsregelnde Funktion und sind als Kunstinstallation nicht unbedingt erkennbar. Warum nicht mal daran drehen, um zu schauen, was dann zu sehen ist?
Aus dem Drehen wurde offenbar bald ein Brechen und Schrauben: Traurig ragen einige Halterungen spiegellos in den Raum. Claudio Moser hatte nicht vor, beschädigte Spiegel zu ersetzen. Das Planungsamt des Hochbauamts sieht dies anders: Im August wird die Installation mit neuen Spiegeln aufgefrischt. Hoffen wir, dass das Ganze bis Oktober dann in geplanter Weise zu sehen bleibt.
Zwei Aspekte waren in der Ausschreibung des Wettbewerbs wichtig: Eine neue Verortung des Badischen Bahnhofs durch seinen Anschluss an Stadt und Messe sowie der Bezug zur grenzüberschreitenden Agglomeration. Da haben die Initianten einiges gewollt und im Grunde hat nur Claudio Moser einen Spagat zwischen diesen disparaten Vorgaben gefunden. Es mag enttäuschen, dass der bespielte Ort nicht aufgewertet wird, sondern in seiner Problematik ungeschminkt gezeigt wird. Dies kann aber natürlich auch als Intention dieses Kunstprojekts gelesen werden.