Im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) ist derzeit eine Sonderschau über William S. Burroughs zu sehen. Die Ausstellung beleuchtet auf eindrückliche Weise die literarischen, filmischen und bildnerischen Arbeiten des US-amerikanischen Kultautors und Gesellschaftskritikers («Naked Lunch», «Queer», «Junkie»).
Bereits mit der epochalen Ausstellung über Paul Thek (2007/2008) bewies das ZKM ein Händchen für enzyklopädisch gründlich recherchierte Ausstellungen. Diese Tradition setzt sich fort bei der umfangreichen Ausstellung, die den wichtigen Lebensstationen von William Seward Burroughs (1914–1997) nachspürt und sein Werk in den Kontext einer transmedialen Kunstszene stellt.
Burroughs, einer der wichtigsten Vertreter der Beat Generation, ist ein «KünstlerKünstler», der – wie auch Paul Thek – von anderen Künstlern sehr geschätzt wurde und deren Werke den Einfluss Burroughs’ spürbar machen. Allein im Bereich von Pop und experimenteller Musik hat sich sein Werk auf die Beatles (auf deren LP-Cover «Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band» er auch abgebildet ist), die Doors bis zu Frank Zappa ausgewirkt. Die Gruppe Soft Machine hat sich mit ihrem Namen gleich nach einem seiner literarischen Werke benannte.
Kritik an der US-Gesellschaft
Dennoch wurde gemeinhin Burroughs’ Werk im Literaturbetrieb verortet und vor allem dort rezipiert, auch wenn er sich später in Malerei, in Shotgun-Paintings und Collagen ausdrückte, wie die Ausstellung in beachtlicher Weise zeigt. Burroughs’ literarische Hauptwerke «And the Hippos Were Boiled in Their Tanks» (1945 zusammen mit Jack Kerouac verfasst), «Junkie» (1953), «Queer» (1953 geschrieben, aber erst 1985 publiziert), «Naked Lunch» (1959), «Soft Machine» (1961), «Nova Express» (1964) thematisieren zentral oder peripher Drogensucht, Psychedelik, Kontrolle, Kriminalität, Homosexualität und enthalten grundlegende Kritik an der US-amerikanischen Gesellschaft.
Burroughs dekonstruierte mit seinen Texten wie auch mit seiner Lebensweise, eng verbunden mit einer Künstlerbohème, den amerikanischen Mythos. Überzeugend und sarkastisch tat er dies auch noch im Alter von 70 Jahren mit seinem «Thanksgiving Prayer» vom 28. November 1986, das der Filmemacher Gus van Sant kongenial in schwarz-weisse Bilder umsetzte. Burroughs dankt in dem einem Gebet unter anderem Gott für die Hatz auf Schwule und für die bigotten Kirchgängerinnen mit ihren bitteren und bösen Gesichtern, für eine Nation von Denunzianten, für den KKK und die «Nigger-tötenden» Gesetzesmänner und endet mit dem Dank für den Verrat am letzten und größten Menschheitstraum.
Scheitern des American Dream
Gus van Sant montierte in einer Doppelbelichtung den lesenden Burroughs und die wehende US-Flagge, eine Herde von Bisons und andere mythologische Bilder, wie sie aus patriotischen Filmen und dem Western bekannt sind. Unterlegt ist das Ganze mit einer pathetisch-sakralen Musik. Böser kann man kaum das Scheitern des American Dream auf den Punkt bringen.
Der seriös wirkende und oft im dreiteiligen Anzug nebst Hut und Krawatte auftretende Burroughs wurde mit seinem hageren und markanten Gesicht und seinem dürren Körper zur Inkarnation des «zerstörerischen» und «zersetzenden» Intellektuellen. Lange Zeit behandelte ihn der Literaturbetrieb als Outcast und manche seiner Bücher standen auf dem Index.
Literarischer Outcast
Ted Morgans Burroughs-Biografie von 1990 trägt konsequenterweise den Titel «Literary Outlaw» und setzt ein mit der Schilderung der Jahrestagung der renommierten «American Academy and Institute of Arts and Letters» am 18. Mai 1983, in die er nach sechs Jahren vergeblicher Versuche von Allen Ginsberg und anderen letztendlich gewählt wurde. Dies war der Anfang der Kanonisierung von Burroughs als Romancier. Die subkulturelle Szene hatte er bis dato freilich längst erobert. Dank des Literaturwissenschaftlers, Kurators und expliziten Burroughs-Spezialisten Udo Breger zeigt die Ausstellung in enzyklopädischer Gründlichkeit die verschiedenen Ausgaben der Burroughs-Werke, und man kann an ihnen die ästhetische Entwicklung sowie die veränderte Rezeption ablesen.
Dem Status des «Outcast» und die Diskrepanz zwischen sardonischem Geist und distinguiertem älteren Herrn ist es wohl zu verdanken, dass Burroughs zu einem der meistfotografierten Literaten wurde. Die Ausstellung präsentiert zahlreiche Fotografien und Filmausschnitte. Ganz bizarr ist ein Gespräch zwischen Francis Bacon und William S. Burroughs über Möglichkeiten und Grenzen des Mediums Film.
Experimente mit der Cut-Up-Technik
In einigen seiner Werke hatte Burroughs mit der vor allem von Brion Gysin in den 50er-Jahren entwickelten Cut-Up-Technik experimentiert. Ihr zufolge werden Textseiten vertikal und horizontal in vier gleiche Teile zerschnitten und dann mit anderen Texten zusammenmontiert. Damit wurden Zufälligkeit und Automation in die Literatur eingeführt. Mit Gysin zusammen veröffentlichte Burroughs die Anthologie «The Third Mind» (1978), die Texte beider enthielt, in denen sie das Cut Up-Verfahren erläutern und demonstrieren. Burroughs sah sich als «Kartographen» und als «Erforscher neuer Bewusstseinslagen». Für seine Texte «Nova Express» und «The Ticket That Exploded» entwickelte er die Cut-Up-Technik weiter zur Fold-In-Methode, mittels der eine Seite eines eigenen Textes horizontal gefaltet und dann auf einen fremden Text gelegt wird.
Künstlerische Kooperationen ging Burroughs u. a. mit Robert Rauschenberg, Keith Haring, Francesco Clemente, Curt Cobain und Laurie Anderson ein. Letztere verwendete Passagen seiner von ihm gelesenen Texte auf ihrer LP («Mister Heartbreak», 1984) und Burroughs hatte auch einen Auftritt in ihrem Konzertfilm «Home of the Brave». David Bowie produzierte sein legendäres Album «Diamond Dogs» und verfasste darauf den Titel «Sweet Thing» mit der von Burroughs benutzten Cut-Up-Technik.
Bildnerische Arbeiten
In Deutschland bezog sich ausdrücklich Jürgen Ploog auf Burroughs und Gysin und Rolf-Dieter Brinkmann warb für diese Technik. Es liegt auf der Hand, dass sowohl Cut Up wie auch Fold In, neben der Produktion neuer Sinnzusammenhänge und Bedeutungen, ebenso eine grafische Komponente haben und mit der Collage verwandt sind. Cut Up hat Burroughs in Kooperation mit dem britischen Filmemacher Anthony Balch sogar im Medium Film angewandt und 1967 «The Cut Ups» produziert. Für sein bildnerisches Werk nutzte er zum Teil das Collagieren als verwandte Form des Cut Up in den sogenannten Scrapbook-Collagen.
Zum ersten Mal sind in diesem Umfang seine bildnerischen Arbeiten im ZKM zu sehen. Udo Breger, Axel Heil und Kollegen haben drei Jahre an der Ausstellung gearbeitet und die Leihverhandlungen für einige der Exponate sind nach Aussagen von Heil äußerst schwierig gewesen. Aus dem von Burroughs beeinflussten Umfeld sind u.a. Werke von Keith Haring, Jean-Michel Basquiat, Christof Kohlhöfer, Walter Dahn zu sehen. Für die Shotgun Blasts Paintings zielte der begeisterte Schütze, der 1951 in einem tragischen Wilhelm Tell-Experiment seine Ehefrau Joan Vollmer erschossen hatte, auf Farbdosen, die explodierten und auf dem dahinter befindlichen Holzbrett Farbspuren hinterließen. Diese Technik wurde von ihm ebenso mit dem Medium Zeichnung und Collage kombiniert.
- the name is BURROUGHS – Expanded Media ZKM, läuft noch bis 12. August 2012.
- In Planung sind zwei Publikationen: «William S. Burroughs – CUT», hrsg. von Axel Heil in seiner Reihe «Future of the Past», ca. 188 S., Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln € 24,00.
- Voraussichtlich im Januar 2013: «the name is BURROUGHS – Expanded Media», hrsg. von Udo Breger, Axel Heil und Peter Weibel, mit Beiträgen von Barry Miles, John Giorno, Rachel Wolff, Phil Baker, Lars Movin, Robert Wilson, in Zusammenarbeit mit The William S. Burroughs Trust, Lawrence/Kansas; ca. 480 Seiten, ca. 500 Abb. bei MIT Press Cambridge, Mass.