«Of Birds and Wires» oder, in Deutsch, «Stimmen unter Strom» gibt sich das diesjährige Shift Festival der elektronischen Künste als Motto. In der Ausstellung sind deshalb die Ohren mindestens so gefordert wie die Augen.
Gibt es noch Leute, die mit Schreibmaschine schreiben? Ein paar, vielleicht. Die etwas Älteren unter uns erinnern sich vielleicht noch vage an das Klappern einer Schreibmaschine, wenn man in die Tasten haut. Viel lauter wars als das leise Klicken der Computertastaturen. Jede Schreibmaschine hatte ihren eigenen Klang. Ignacio Uriarte interessiert sich genau für diese Töne. Für seine «History of the Typewriter» liess er erst den Originalton von 62 Schreibmaschinen verschiedenen Jahrgangs aus unterschiedlichen Ländern aufnehmen. Diese Klänge führt er via Kopfhörer auf die Ohren von Schauspieler Michael Winslow, welcher sie imitiert mit seiner Stimme täuschend echt. Das urtypische Symbol für Bürokratie erhält dadurch eine humoristische Note sowie eine Prise Menschlichkeit eingehaucht.
Igancio Uriartes Video steht am Anfang der Shift-Ausstellung in der Dreispitzhalle. Hier reiht sich Koje an Koje, denn jedes Werk in dieser Schau braucht seinen eigenen Raum, damit sich die unterschiedlichsten Töne nicht in die Quere kommen. Neben Bildschirmen sind Kopfhörer ein verbreitetes Accessoire, und manchmal dürfen die Besucher auch mit den Arbeiten interagieren. Ganz in der Nähe von Uriartes Arbeit etwa findet man die interaktive Sprechmaschine von Michael Markert. Ein schlichtes, aufrechtstehendes Rechteck aus Plastik bringt man zum Klingen, indem man die Hände reinsteckt und sie bewegt. Mit etwas Übung lassen sich Laute und abstrakte Worte bilden. Bei Julian Palacz müssen die Hände Worte in eine Tastatur tippen. Ein Computer durchforstet daraufhin eine Datenbank von tausenden Kinofilmen auf das gesprochene Wort hin und spielt die entsprechenden Szenen ab. Als letzte interaktive Arbeit sei hier Alexis O’Haras Klangiglu im Haus für elektronische Künste erwähnt: Die kanadische Künstlerin lädt darin das Publikum zum Experimentieren mit der eigenen Stimme ein. (Mehr zu Alexis O’Hara lesen Sie hier)
Interaktive Elemente
Interaktive Elemente stellen sich am Shift Festival immer wieder als Publikumslieblinge heraus. Kein Wunder, wird doch der Spieltrieb der Besucher und Besucherinnen angesprochen. Doch auch der Rest der Ausstellung ist sehens- und hörenswert. Frühe Videoarbeiten zeigen den ersten Umgang mit dem Medium, das es plötzlich möglich machte, Bild und Ton miteinander zu verknüpfen. In der Folge schufen verschiedene Künstler Stimmexperimente, darunter Bruce Nauman, der hier mit seiner Arbeit «Lip Sync» vertreten ist. Sein Mund repetiert darin immer und immer wieder die Worte «lip» und «sync», jedoch sind Bild- und Tonspur leicht verschoben, was die Aufmerksamkeit des Betrachters auf die Ursache der vermeintlichen Störung, das Medium selbst, lenkt. Unter den rund dreissig Positionen ist auch die Arbeit von Erik Bünger eine Erwähnung wert. Der studierte Musiker hat einen hängengebliebene CD zum Anlass für eine Komposition genommen, die von einer Band präzise stotternd gespielt und gesungen wird.
Wie bereits im letzten Jahr findet die Ausstellung gleichzeitig in der Dreispitzhalle wie im Haus für elektronische Künste statt. Während die beiden Orte vor zwölf Monaten durch einen Gang verbunden waren, muss dieses Jahr einen kürzeren Fussmarsch um die Gebäude herum in Kauf nehmen, wer von einem Ort zum anderen pilgern will. Lohnen tut sich dies nicht nur des Iglus von Alexis O’Hara und der anderen, im HeK ausgestellten Werke wegen, sondern auch wegen des Shift Clubs, in dem beispielsweise die Performances von «Shift in Progress» stattfinden. «Shift in Progress» zeigt die jeweils jüngsten Positionen der Ausstellung: Es bietet Studierenden von Schweizer Kunsthochschulen die Möglichkeit, eine mit dem jewiligen Festivalthema in Verbindung stehende Arbeit auszustellen. Als drittes Ausstellungselement ist dieses Jahr das «International Symposium on Mixed and Augmented Reality», kurz ISMAR, zu Gast. Hier werden Kunst und Wissenschaft miteinander verbunden.
Shift Festival bedeutet aber natürlich nicht nur Kunst, im Gegenteil. Das Motto «Stimmen unter Strom» ist prädestiniert, im Konzertteil weitergeführt zu werden. Und so kann, wer die Ausstellung fertig konsumiert hat, in Konzerthalle oder Club entspannen.