Stararchitekt im Vitra Design Museum: Hyvää päivää, herra Aalto!

Das Vitra Design Museum zeigt mit Alvar Aalto einen der bekanntesten Architekten überhaupt. Kann es da noch mit Überraschungen aufwarten?

Serie Bölgeblick, Aino Aalto; 1936. (Bild: Andreas Sütterlin, © Vitra Design Museum, Alexander von Vegesack, )

Das Vitra Design Museum zeigt mit Alvar Aalto einen der bekanntesten Architekten überhaupt. Kann es da noch mit Überraschungen aufwarten?

Seit seiner Gründung hegte das Vitra Design Museum die Absicht, eine Schau zu Alvar Aalto auszurichten – zum «Magus des Nordens», wie der Architekturhistoriker Sigfried Giedion ihn in einer Anspielung auf den Philosophen Johann Georg Hamann nannte, für den der Terminus einst erfunden wurde. Aber erst ein Vierteljahrhundert später sollte das Langzeitvorhaben realisiert werden.

Dass der Möbelhersteller Vitra ein Jahr zuvor mit Artek den finnischen Produzenten der Aalto-Möbel übernommen hatte, steht also in keinem engeren Zusammenhang mit der Ausstellungswahl des von der Firma weitgehend unabhängigen Museums. Gleichwohl haben die neuen Kontakte der beiden Firmen der Museumssammlung mit Sicherheit nicht geschadet, konnte doch der Bestand an Aalto-Objekten in letzter Zeit noch einmal vergrössert werden.

Neben den Exponaten aus der eigenen Sammlung sind nicht zuletzt dem Alvar Aalto-Museum im finnischen Jyväskylä, mit dem das Vitra Design Museum die Ausstellung erarbeitete, viele originale Modelle, Pläne und Zeichnungen zu verdanken, die nun in Weil am Rhein zu sehen sind.

Umfassend erforschtes Werk

Angesichts dieser auf mehreren Ebenen vollzogenen Vernetzung war die Grundlage für eine umfassende Präsentation von Aaltos Werk geschafft. Allerdings hat die Forschung Alvar Aalto in den vergangenen Jahrzehnten nicht gerade stiefmütterlich behandelt. Zu wenig anderen Architekten des 20. Jahrhunderts existiert ein ähnlich umfassendes Sekundärwerk. Für eine aktuelle Ausstellung steht damit die Frage im Vordergrund, ob es überhaupt noch möglich ist, etwas Neues oder Überraschendes zeigen zu können. Im Ausstellungstitel «Zweite Natur» klingt zumindest an, dass den Machern diese Schwierigkeit bewusst war.

Interessanterweise speist sich die Selbstverständlichkeit im Umgang mit Alvar Aaltos Schaffen aber nicht alleine aus der umfassenden Rezeption. Vielmehr vermochte Aalto – in frühen Jahren meist in Zusammenarbeit mit seiner Frau Aino – Räume zu schaffen, die auch dem ahnungslosen Betrachter vertraut erscheinen. Nicht zuletzt deshalb liegt bis heute die Faszination für die Auseinandersetzung mit Aalto darin, zu verstehen, mit welchen Mitteln es ihm gelang, wortwörtlich Lebensräume zu schaffen, die von ihren Benutzern und Bewohnern als etwas Natürliches und scheinbar immer schon Dagewesenes erfahren werden.

Eine gängige Erklärung verweist auf die für Aalto typische amorphe Formgebung, die eben menschlicher sei als etwa die orthogonalen Strukturen seines Zeitgenossen Ludwig Mies van der Rohe. Pate gestanden sei Aalto dabei die in Finnland allgegenwärtige Natur selbst.

Aalto, der Kosmopolit

In den ersten beiden Ausstellungsräumen wird schnell klar, dass diese allzu einfache Herleitung nicht weit trägt. Alvar Aalto war ein Kosmopolit – die toskanischen Renaissancebauten lagen ihm näher als die finnischen Birkenwälder. Er stand in engem Kontakt mit Künstlern und Architekten auf der ganzen Welt und hatte zahllose Fachzeitschriften aus verschiedenen Ländern abonniert.

Alexander Calder, Mobile, 1930er Jahre.

Alexander Calder, Mobile, 1930er Jahre. (Bild: Janne Mäkinen, © Ateneum Art Museum Finnish National Gallery, Pro Litteris)

Betrachtet man die im gleichen Zeitraum entstandenen Reliefs von Hans Arp oder die Mobiles von Alexander Calder, so ist die formale Verwandtschaft zu Aaltos Designs offensichtlich: Von den gekurvten Sperrholzflächen seiner Möbel über die amöbenartigen Konturen der Glasvasen zu den gewellten Holzdecken, die in vielen Aaltobauten den Raum beherrschen, bis hin zu den Grundrissen seiner Gebäude – überall finden sich Anleihen aus der abstrakten Kunst der frühen Moderne. Darin, dass die Ausstellung einem diese Zusammenhänge mit einigen sorgfältig ausgewählten Stücken eindringlich vor Augen führt, liegt ihr Hauptverdienst.

Etwas schwerer tut sie sich dagegen mit der Darstellung der Mittel, mit denen Aalto seinen Innenräumen die bereits genannte Atmosphäre des Vertrauten und Natürlichen verlieh. So schön die im zentralen Saal versammelten Ausstellungsstücke im Einzelnen auch sein mögen, sie wirken doch verloren. Die meisten seiner Möbel, Lampen und Glaswarenentwürfe hatte Aalto ursprünglich ganz im Sinne eines Gesamtkunstwerkes als Teile einer Ausstattung für einen bestimmten Ort entworfen – erst später förderte er die Serienherstellung vieler seiner Möbel durch die Gründung der Firma Artek. Isoliert auf weisse Sockel gestellt, in einer Reihe aufgehängt und in Vitrinen gesteckt, kommt den Ausstellungsstücken hier leider ein guter Teil davon abhanden, was die Rede von der «Zweiten Natur» eigentlich so sinnvoll gemacht hätte.

Wo ist Aino?

Dass ausgerechnet hier die Fotografien von Armin Linke fehlen, die in den übrigen Bereichen eine recht gute Vorstellung der menschenfreundlichen Atmosphäre der Aalto’schen Räume geben, ist deshalb um so bedauerlicher. Hinzu kommt, dass weitere Themen kaum zur Sprache kommen: Aaltos Möbelentwürfe aus der Nachkriegszeit spielen ebenso unbegründet eine vernachlässigbare Nebenrolle wie die Tatsache, dass seine erste Frau Aino Aalto gerade in den Dreissigerjahren an vielen Entwürfen für Einrichtungsgegenstände und Interieurs massgeblich beteiligt war. Man übersieht jedenfalls schnell, dass ein Teil der ausgestellten Glaswaren ganz allein aus ihrer Hand stammen.

Glaswaren von Aino Aalto (1936).

Glaswaren von Aino Aalto (1936). (Bild: Andreas Sütterlin, © Vitra Design Museum, Alexander von Vegesack, Pro Litteris)

Natürlich lohnt sich ein Besuch trotzdem – vor allem dann, wenn man nicht bis zum nächsten finnischen Sommer warten mag, um beispielsweise das berühmte Sanatorium in Paimio oder die Villa Mairea in Noormarkku in situ zu besuchen. Ausserdem enthält der die Ausstellung begleitende Katalog einige überaus lesenswerte Beiträge, die für die Lücken der Ausstellung entschädigen.


«Alvar Aalto – Second Nature», Vitra Design Museum, Weil am Rhein, bis 1. März 2015.

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