Stark, aber irgendwie auch 2012

Kurz vor der Basler Premiere wurde «Es sagt mir nichts, das sogenannte Draussen» zum Stück des Jahres 2014 gewählt. Es gehört zum Besten, was wir haben. Zugleich ist es allzu bekannt.

Recht auf (kostümiertes) Ungeilsein: Rahel Jankowski, Cynthia Micas, Nora Abdel-Maksoud, Suna Gürler.

Kurz vor der Basler Premiere wurde «Es sagt mir nichts, das sogenannte Draussen» zum Stück des Jahres 2014 gewählt. Es gehört zum Besten, was wir haben. Zugleich ist es allzu bekannt.

Just einen Tag vor der Premiere in Basel wurde «Es sagt mir nichts, das sogenannte Draussen» nach einer Kritikerumfrage der Zeitschrift «Theater heute» zum besten Stück des Jahres gekürt. Und das Berliner Maxim Gorki Theater gleich noch zum Theater des Jahres. Das Gorki hat die Produktion mit dem Text von Sibylle Berg in der Inszenierung von Sebastian Nübling finanziert und uraufgeführt, nachdem diese im Jungen Theater Basel geprobt wurde – die Produktion ist Teil der Absicht, dass beide Häuser vermehrt zusammenarbeiten. Der Erfolg dürfte, wenn nicht bereits geschehen, die letzten Tickets an den Mann gebracht haben: Noch vor der ersten Basler Aufführung waren alle vier Abende ausverkauft.

Beim Versuch, das Urteil davon unbeirrt zu lassen, sieht man im Jungen Theater Basel dies: Vier Girls treten auf, mit unvorteilhaften Figuren, schlabbrigen Pullis und extrem schwierigen Röcken. Komplett Anti, funktioniert sehr gut. Zu viert spielen sie eine einzige Figur, meistens im Chor, von vorn bis hinten durchchoreographiert und ausgefeilt (Choreographie: Tabea Martin). Durch die Präzision ist man sofort dabei.

Jena oder Jemen – ach, scheiss der Hund drauf

Natürlich auch durch den Text von Sibylle Berg. Sie schildert ein Mädchen, das abends in ihrer Wohnung sitzt und mit ihrem Coming-of-Age-Zustand zurechtzukommen versucht. Sie smst mit Lina, einer ziemlich blöden Frau (wie sie selber weiss), in die sie jedoch leider verliebt ist («Schlimmer, als unglücklich in jemanden verliebt zu sein ist nur, unglücklich in jemanden verliebt zu sein, der unglücklich in jemanden verliebt ist.»). Sie telefoniert mit ihrer (natürlich anstrengenden) Mutter, und trifft in der Wohnung ihre Mitbewohnerin Minna. Minna mochte sie eigentlich immer gern, sie hat Alkoholikereltern und einen Migrationshintergrund («Ihre Mutter kommt aus Jena, dem Jemen oder scheiss der Hund drauf.»). Seit kurzem macht Minna aber Sport (Zumba) und geht der Heldin seitdem hart auf den Nerv.

Zu intelligent, zu ehrlich

Wie ihr eigentlich alles auf den Nerv geht. Sie ist zu intelligent, um sich den Forderungen zu unterwerfen, die an weibliche Spätteenies in urbanen Räumen grichtet werden (Kleidergrösse 36 anstreben, ironisch Modelcastingshows im Fernsehen kucken und politisch gegen irgendwie alle sein, die zu viel Macht haben). Zugleich ist sie zu ehrlich, um behaupten zu können, sie wäre davon unabhängig. In ihren Worten: «Ich bin ein wenig widersprüchlich.»

Siebenfache Ironie

Zugleich hätte sie schon auch Lust auf Pläne und Sehnsüchte. «Lass uns ein queeres Literaturfestival machen! Oder endlich einen richtig guten deutschen Film! Wie zum Beispiel – äh… äh… äh…» Natürlich wird all das, was mit irgendeiner Form von Bekenntnis zu tun hat (im Sinne von: Ich habe den Plan und die Lust, das und das zu tun) nur mit siebenfacher Ironie thematisiert. Die Überzeichnung, mit der sich der intellektuelle Gedankenflow dieser Figur Bahn bricht, lässt gar nichts anderes zu. Alles ist letztlich lächerlich, schon dagewesen, Ausdruck von Lifestyle und in Wahrheit Zeichen von Ratlosigkeit. Sehr schön auch der Blick auf das moderne Pendant beim anderen Geschlecht: «Jungs sind ironisch Fussballfans, weil es ein alle Schichten, die es nicht mehr gibt, verbindendes Ereignis ist.» (Mist, den Satz habe ich von mir auch schon zwei, drei Mal gesagt.)

Kernig und lustig

Wahrscheinlich findet man diese Figur zur Zeit nirgends kerniger, eloquenter und lustiger als in dieser Inszenierung. Trotzdem hat mein Interesse nach der Hälfte abgenommen. Dieser innere Monolog ist irgendwie auch 2012. Nur wenige Monate vor Uraufführung des Sibylle-Berg-Stücks im November 2013 habe ich ihn noch mit Glut im letzten Buch von Helene Hegemann gelesen. In «Jage zwei Tiger» gibt es zudem eine subtile und eine romantische Bejahung von Beziehungen zu ausgewählten Menschen, aber im Kern ticken die Figuren ähnlich.

Vielleicht ist es das Beste, was wir haben. Und doch erkennt man die Technik, mit der sich Bergs Figur in der grossartigen Aufführung von Sebastian Nübling und den vier Schauspielerinnen äussert. Die könnte ich mir auch aneignen, denkt man sich beim Zuschauen, wenn ich das Talent hätte, und dann wäre ich auch allen Dingen einen intellektuellen und dabei noch sehr lustig erzählbaren Schritt voraus. Halt ohne an einem Ort anzukommen, von dem sich weitergehen lässt. Weil ja doch alles nur scheinbar ist. Der Verdacht drängt sich auf: Vielleicht darf diese Figur gar nichts entdecken, was einfach mal gut kommt und Hingabe lohnt, weil dann ihr intellektuelles Konzept zusammenbrechen würde.

_
Weitere Aufführungen: 31. August, 1. September, 19 Uhr, Junges Theater Basel
Zum Festivalspielplan

Nächster Artikel