Montagmorgen im Eingangsbereich der Liste: Der Caterer liefert zwei Paletten Champagnergläser an, die Kristallleuchter hängen bereits. In den oberen Stockwerken rüsten sich Aussteller für das Geschäft des Jahres. Im Untergeschoss stecken zwei Künstler ihre Köpfe über einem Computer zusammen. Sie sind auf Einladung des HeK (Haus für elektronische Künste) da. Und was sie ausstellen, birgt die Gefahr, dass sich der eine oder andere Kunstsammler an seinem Cüpli verschlucken könnte.
Die beiden Arbeiten «Algoffshore» und «Offshore Tour» des Pariser Künstlerkollektivs RYBN.ORG sind ein gezielter Tritt gegen das Schienbein der Kunstwelt. Es geht um Praktiken des Offshore-Bankings, das Material dazu stammt aus verschiedenen Datenlecks. Medienkunst. Die Künstler bedienen sich zum Beispiel bei den «Panama Papers» und verknüpfen Informationen mit eigenen Recherchen, wie Strategien zur Steuervermeidung auch im Kunstmarkt zur Anwendung gelangen.
«Wir interessieren uns für die Infrastruktur hinter der Steuervermeidungs-Industrie», erklärt einer der anwesenden Künstler. Er tritt nicht unter seinem Namen auf. Die Mitglieder von RYBN wollen als Kollektiv wahrgenommen werden.
RYBN recherchieren wie investigative Reporter. Bloss schreiben sie keine Artikel, sondern verarbeiten ihre Erkenntnisse zu Kunst. «In den letzten Jahren haben wir viele verschiedene sogenannte Steuerparadiese besucht und uns vor Ort angeschaut, was dort passiert», sagen RYBN. Fotos dokumentieren dies, dicke Ordner voller Dokumente aus öffentlichen Registern und Medienberichte.
Unter anderem waren RYBN auf Jersey unterwegs. Die britische Kanalinsel ist eines der wichtigsten Steuerschlupflöcher Europas. «Aus einem dieser Datenlecks kannten wir die Adresse einer UBS-Filliale, wo Offshore-Geschäfte betrieben wurden.» Vor Ort fanden sie eine Bankfiliale, deren offizielle Schriftzüge bereits entfernt wurden.
Die Geschäftsstelle war aufgehoben, die erhöhte Aufmerksamkeit nach dem Datenleck passte wohl nicht zum diskreten Geschäft. Erkennbar sind die Umrisse der abmontierten drei Buchstaben aber immer noch. «Es liegt doch eine schöne Poesie darin, dass diese Praktiken solche Spuren hinterlassen», finden RYBN. «Diese Branche ist so verschwiegen, dass noch die kleinsten Hinweise Raum für Interpretationen öffnen.»
Um sich ihre Recherchereisen zu vereinfachen, haben die Künstler sämtliche Geodaten der bekannten Offshore-Adressen in einer Datenbank erfasst. Dazu haben sie eine Applikation programmiert, den «Offshore Tour Operator». Damit können sie unterwegs jederzeit prüfen, ob sich in ihrer Nähe eine solche Adresse befindet.
Über Kopfhörer und mit dem Kompass in der Hand kann man sich vom «Offshore Tour Operator» von Briefkastenfirma zu Bankfiliale lotsen lassen wie bei einer Schnitzeljagd. Für die Ausstellung in Basel haben RYBN ihren Datensatz um kunstspezifische Einträge ergänzt. Zielgruppengerecht fürs Art-Publikum.
An der Liste lässt sich das gleich ausprobieren. Es stehen dazu zehn kleine Rucksäcke mit GPS-Geräten und Kopfhörern zur Verfügung. Wir streunen durchs Wettsteinquartier und sehen die Nachbarschaft plötzlich mit neuen Augen. Was hat denn dieses gewöhnliche Wohnhaus mit Offshore-Geschäften zu tun? Steckt hinter diesem Briefkasten etwa gar keine Mittelstandsfamilie, sondern ein anonymes Büro? Parkt hier ein Oligarch seine Milliarden?
Die App beantwortet diese Fragen leider nicht, sie gibt nur Aufschluss darüber, dass eine bestimmte Adresse in der Datenbank erfasst ist. Erstaunlich ist aber, wie viele solcher Adressen es in Basel gibt.
Das Wettsteinquartier, wo wir unterwegs sind, ist noch harmlos. Richtig brisant wird es auf dem Dreispitzareal, wo in den Räumen von Logistikunternehmen Kunst im Wert von vielen Millionen steuerfrei lagert.
Steuern optimieren leicht gemacht
Um Steuervermeidung dreht sich auch das zweite Werk, das RYBN an der Liste zeigen: «Algoffshore» ist ein Computerprogramm, das dem Anwender dabei hilft, über den Kauf von Kunstwerken seine Steuern zu optimieren. «Es gibt letzlich drei Strategien: die Anonymisierung von Reichtum, die Steuervermeidung und die Spekulation mit Kunst.»
Den Algorithmus für eine personalisierte Steuervermeidung gibt es bereits, bis jetzt allerdings erst als Poster. Dieses visualisiert die Software-Architektur und soll, wie RYBN hoffen, über den Verkauf die Weiterentwicklung des Programmcodes finanzieren.
Ein Poster kostet übrigens 500 Franken. Genau so viel, wie die erste Stunde des Beratungsgesprächs mit einem Steuerspezialisten in Genf.