Stockhausen-Spektakel im Theater: «Ekstase der Polyphonie in der Himmelfahrt»

Mit dem ebenso ausgedehnten wie klang- und bildgewaltigen Opernspektakel «Donnerstag aus Licht» von Karlheinz Stockhausen beendete das Theater Basel seine erste Spielzeit der neuen Ära unter Andreas Beck.

«Magnetische Natur wächst zum Licht, bringt Weisheit hervor.» Szene aus dem dritten Teil der Oper. 

(Bild: Sandra Then)

Mit dem ebenso ausgedehnten wie klang- und bildgewaltigen Opernspektakel «Donnerstag aus Licht» von Karlheinz Stockhausen beendete das Theater Basel seine erste Spielzeit der neuen Ära unter Andreas Beck.

Kann Musik der Menschheit das erlösende Heil bringen? Der deutsche Komponist Karlheinz Stockhausen (1928–2007) glaubte in einem gewissen Sinne daran. Davon zeugt zumindest sein uferloses mysteriöses Musik-Welttheater «Licht». Sieben Teile, benannt nach den Wochentagen, fügen sich zu einem 28-stündigen Aufführungsmonstrum zusammen.

In Basel stemmte man nun den «Donnerstag aus Licht» auf die Bühne, und das an einem Samstag (mit einer ersten Wiederholung am Sonntag), denn auch dieser Teil bringt es – mit Pausen – noch auf sechs Stunden. Sechs Stunden Stockhausen bedeutet ein Eintauchen in eine Welt, die einen musikalisch und inhaltlich in fremde Sphären entführt. Das klingt etwa so, wie in dieser Aufnahme aus der Basler Hauptprobe:

 

Langer Applaus nach einem langen Abend

Fremd klingt das für jemanden, der mit Stockhausen nicht sonderlich gut vertraut ist, wie es wohl einige Zuschauerinnen und Zuschauer an der Premiere waren. Aber es gab auch nicht wenige Kenner und Fans im Publikum, die von weither nach Basel gereist sind, um diesem seltenen Ereignis beizuwohnen. Wie etwa der Herr neben mir, der aus London anreiste und der, wie er erzählt, die letzte Aufführung von «Donnerstag aus Licht» 1985 am Covent Garden erlebt hat. Und der von der Basler Aufführung sehr angetan war, weil sie viel erzählerischer sei als die damals in London.

Als nach weit über fünf Stunden dann der Vorhang fiel, spendeten die Kenner und die, die diese neuen musikalischen Sphären neu kennengelernt hatten, lang anhaltenden Applaus und Bravorufe für die Protagonisten auf und hinter der Bühne. Es war ein Applaus, der aber etwas Zeit brauchte, bis er auf seiner Höhe anlangte. Das mag daran gelegen haben, dass der dritte Teil der Oper am Schluss doch etwas zähflüssig wurde. Oder daran, dass der Abend noch gar nicht zu Ende war, was man dem Ablaufzettel entnehmen konnte, der einem verteilt worden war.

Stimmungsvolle Klammer

Tatsächlich führte das Theater das Publikum nach dem Applaus auf den Theaterplatz zum «Abschied». Ein stimmungsvoller Abschied mit einer Live-Sound-Installation im Freien. Rund um den Theaterplatz waren Trompetenspieler positioniert – namentlich über dem Chor der Elisabethenkirche, auf dem Dach der Kunsthalle, in einem Fenster des Historischen Museums und auf einem Balkon in der Theaterstrasse, sodass ein vierstimmiger Trompetenchor über den Platz flirrte.

Dieselben Musiker hatte man bereits beim Auftakts-«Gruss» am Anfang erlebt. Im Foyer hatte sich eine kleine Bigband installiert mit bunten Samtanzügen und Pilzhaar-Perücken, die an die 1970er-Jahre erinnerten, als Stockhausen mit der Komposition begonnen hatte. Nur der Dirigent Titus Engel trug keine Perücke, was vielleicht daran lag, dass er in Natura ein bisschen aussieht wie Adriano Celentano.

Ist es Adriano Celentano? Nein, es ist der Musikalische Leiter der Produktion, Titus Engel, mit Studierenden der Hochschule für Musik der FHNW.

Ist es Adriano Celentano? Nein, es ist der Musikalische Leiter der Produktion, Titus Engel, mit Studierenden der Hochschule für Musik der FHNW. (Bild: Sandra Then)

Es war ein humorvoller Auftakt – nicht nur wegen des Outfits, auch der Sound lässt in seiner Verbindung von Big-Band-Jazz und Zwölfton-Musik witzige Momente durchschimmern. Stockhausen als humorvoller Komponist? Nun ja, lediglich in diesem Auftaktmoment, was er darauf folgen lässt, ist pure Ernsthaftigkeit, ein bedeutungsgeladenes Welttheater der Menschwerdung oder eine moderne «Zauberflöte» ohne Witz.

Sinn und Übersinnlichkeit

Inhaltlich beschreibt die Oper die schwierige Jugend des hochbegabten Kindes Michael, das sich musikalisch auf einer Reise um die Erde perfektioniert, bis er sich dann in der himmlischen Residenz gegen Luzifer durchsetzt, um das musikalische Heil verbreiten zu können. Den drei Stationen entsprechend ist der Hauptteil der Oper auch musikalisch-stilistisch dreigeteilt: zuerst eine Kammeroper mit wenigen Soloinstrumenten, dann ein Trompetenkonzert ohne Gesang und schliesslich ein grosses Oratorium mit Chor und (nicht übermässig beschäftigtem) grossem Orchester im Graben.

Das ist hier natürlich sehr vereinfacht wiedergegeben. In Tat und Wahrheit wirken viele Zwischenstränge hinein – inhaltlich und musikalisch. Mit vielen religiösen und spirituellen Aussagen, biografischen Rückgriffen, mit elektronischen Klängen, Zungenschnalzern und Chorpassagen ab Band.

Drei mal drei

Dazu kommt die Dreiteilung der drei Figuren Michael, Eva (sowie Mutter) und Luzifer, der im ersten Teil noch als Michaels Vater in Erscheinung tritt. Diese Hauptfiguren werden nun nicht nur von Sängern dargestellt, sondern auch von Soloinstrumentalisten (Trompete, Bassetthorn und Posaune) und zusätzlich noch durch Tänzer. Beim Michael kommt für das Schlussbild im Himmel noch ein zweiter Sänger ins Spiel.



Der Sohn, der Vater und die Mutter sowie geheimnisvolle Geliebte Mondeva (Peter Tantsists, Michael Leibundgut, Evelyn Angela Gugolz).

Der Sohn, der Vater und die Mutter sowie geheimnisvolle Geliebte Mondeva (Peter Tantsists, Michael Leibundgut, Evelyn Angela Gugolz). (Bild: Sandra Then)

All diese Solisten sind vorzüglich besetzt, wobei es den Dauereinsatz von Paul Hübner als Michael mit Trompete besonders hervorzuheben gilt. Es ist kaum nachvollziehbar, wie es möglich ist, eine vierstündige Partie bei dieser Musik, die die harmonischen Grenzen so stark sprengt, auswendig zu spielen und auf der Bühne auch darstellerisch eine solch überzeugende Figur abzugeben.

Auf den Boden zurückgeholt

Ein grosses Verdienst der Inszenierung ist es, dass sie die Oper inhaltlich von den mystischen und mysteriösen Sphären auf eine mehr oder weniger nachvollziehbare erzählerische Ebene herunterholt. Regisseurin Lydia Steiner musste dabei die Freiheiten ausloten, die ihr die minutiös durchgearbeitete (und von den Erben scheinbar scharf bewachte) Vorlage bieten. Stockhausen hat nicht nur die Musik und das Libretto genau durchkomponiert und -gestaltet, sondern auch für Aktionen und Gesten genaue Anweisungen hinterlassen.



Stockhausen überliess in seinem Libretto nichts dem inszenatorischen Zufall: Anweisungen für den Tänzer des Michael.

Stockhausen überliess in seinem Libretto nichts dem inszenatorischen Zufall: Anweisungen für den Tänzer des Michael. (Bild: Aus dem Libretto)

Die Inszenierung lässt nun die offensichtlichen Bezüge zu Stockhausens Biografie einfliessen, der selber ein hochbegabtes Kind war, scheinbar unter seinem strengen Vater litt und mitansehen musste, wie seine als depressiv geltende Mutter im Euthanasie-Programm der Nazis getötet wurde. 

Steiner hat zusammen mit der Bühnenbildnerin Barbara Ehnes, der Kostümbildnerin Ursula Kudrna und dem Videokünstler Chris Kondek ein bewegtes und opulentes Panoptikum von Bildern geschaffen, das sich gut mit der ausgesprochen vielgestaltigen Musik zu einem audiovisuellen Spektakel zusammenfügt.

Schwülstig-zerdehnter Schluss

Dieses gelingt dem künstlerischen Leitungsteam in den ersten beiden Teilen sehr gut. Die vielschichtigen, zum Teil in einen halluzinatorischen Trip mündenden Bilder helfen sehr, sich in die Musik einzuhören, die die Grenzen des Gewohnten doch arg überschreitet. Beim letzten Teil, dem Oratorium im Himmel, funktioniert dies aber nicht mehr so gut.

Das liegt auch daran, dass Stockhausens Komposition in arg zerdehnte Schlussminuten ausufert. Und von den Bildern nicht mehr so sehr gefesselt, beginnt man, die Übertitel etwas genauer zu lesen. Sätze wie: «Mensch geworden bin ich, um mich und GOTT den Vater als menschliche VISION zu sehn, um Himmelsmusik den Menschen und Menschenmusik den Himmlischen zu bringen, auf dass der Mensch GOTT lausche und GOTT seine Kinder erhöre.» Oder: ««Ekstase der Polyphonie in der Himmelfahrt.» Und man schätzt sich fast schon glücklich, dass man zuvor nicht alles so richtig verstanden hat.
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«Donnerstag aus Licht» von Karlheinz Stockhausen. Theater Basel; die nächsten Vorstellungen: 29. September, 1. und 2. Oktober 2016.

 

 

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