Szenen einer Ödipus-Ehe

Der italienische Theatermacher versetzt auf der Bühne des Basler Schauspielhauses den Ödipus-Stoff ins bürgerliche Schlafzimmer. Das funktioniert nicht wirklich.

Mann und Frau, Mutter und Sohn: Ödipus küsst Iokaste. (Barbara Horvath und Michael Wächter)

(Bild: Sandra Then)

Der italienische Theatermacher versetzt auf der Bühne des Basler Schauspielhauses den Ödipus-Stoff ins bürgerliche Schlafzimmer. Das funktioniert nicht wirklich.

Der blinde Seher Teiresias spricht es aus, das Ungeheuerliche. Doch König Ödipus, der dem gebrechlichen Mann mit brutaler Abscheu entgegentritt, versteht die altgriechischen Worte nicht. Doch die Zuschauer wissen, um was es geht. Der geheimnisvolle Diener ebenfalls: Ödipus hat unwissentlich seinen Vater umgebracht und liegt nun als Ehemann und Liebhaber im Bett seiner Mutter.

Eine ungeheuerliche Geschichte ist das. Ein grosses Stück Weltliteratur, das der griechische Tragödienschreiber Sophokles hinterlassen hat. Sigmund Freud hat aus dem Plot den bekannten Komplex herauskristallisiert und den Ödipus damit als Teil unseres (männlichen) Unterbewusstseins installiert. Und nicht zuletzt ist Ödipus die spannende Kriminalgeschichte eines Täters, der sich selber auf die Spur kommt.

Im bürgerlichen Schlafzimmer

Der italienische Regisseur Antonio Latella hat die Tragödie zusammen mit seinem Dramaturgen Federico Bellini nun ins bürgerliche Schlafzimmer versetzt. «Ich sehe einen Schrank, eine Kommode, zwei Nachttische, einen kleinen Tisch mit zwei Stühlen, eine Glocke und ein Ehebett», beschreibt der blinde Seher Teiresias (Martin Hug) später im Verlauf des zweistündigen Abends die Szenerie.

Nichts ist königlich an diesem engen Gemach. Iokaste (Barbara Horvath) schält bedächtig einen Apfel und verspeist ihn, bevor sie das blass-beige Herren-Pyjama anzieht und sich mit einem guten Buch ins Bett legt. Ödipus (Michael Wächter) kommt heim, schlüpft ebenfalls in den Schlafanzug und legt sich neben sie. Schlaflos sei er, klagt er. Die schreckliche Lage draussen raube ihm den Schlaf. Was dann aber nicht stimmt, denn nach ein paar Zeilen, die ihm Iokaste aus dem Buch vorliest, ist er bereits eingedämmert.

Mythologischer Rahmen

Iokaste liest eine Szene aus Oscar Wildes Komödie «Ernst sein ist alles», vom Kind, das aus Versehen in die Handtasche gepackt wird und verloren geht. Das ist Ödipus in seiner komödiantischen Spiegelung quasi. Zur selben Zeit sehen wir ausserhalb des Schlafzimmerpodests einen nackten Hirten (Michele Andrei), der einen Kinderwagen vor sich herschiebt. Ja natürlich, mit dem kleinen Ödipus darin, der auf Geheiss seines Vaters umgebracht werden soll, dann aber nur ausgesetzt wird, womit die tragischen Verstrickungen ihren Lauf nehmen.

Ganz auf die Ebene des bürgerlichen Trauerspiels mag sich Latella also nicht einschränken. Er stellt auch noch einen Trompetenspieler (Matteo Pennese) auf die Bühne, der die meiste Zeit nichts zu tun hat, dann und wann aber die Szenerie mit Showdown-Musik auflädt. Und dann sehen wir auch noch eine Wand voller grosser Ventilatoren, die darauf hinweist, dass es stürmisch zu- und herhgehen wird, was dann auch der Fall ist – wenn auch nur für einen kurzen Augenblick.

Das Grauen privatisiert

Die eigentliche Handlung aber bleibt im Schlafzimmer verortet. Die Götter müssen draussen bleiben, der Chor oder das Volk, das unter der Pein der ungesühnten schrecklichen Tat mitzuleiden hat, ebenfalls. Ödipus, so scheint Latella sagen zu wollen, steckt in uns allen drin. Im Vatermord und im Inzest sollen all die bewussten und unbewussten Sünden, die wir mit uns tragen, Ausdruck finden. Das Grauen wird privatisiert.

Doch hierfür ist die Geschichte des Ödipus zu überhöht. Ohne den mythologischen Überbau, ohne Krone Thebens auf dem Kopf der Titelfigur, ohne das klagende Volk, ohne die grausamen Götter funktioniert die Geschichte nicht richtig. Latella ist zwar ideenreich, er entwickelt auch stimmige Bilder – etwa wenn Iokaste im Showdown in allen Schubladen und im Kasten nach einem Mittel sucht, um sich das Leben nehmen zu können, aber überall nur noch modrige Erde herausquillt. Es sind aber Einzelmomente, die dem Regiekonzept nicht die generelle Plausibilität verleihen, die es nötig hätte.

Beeindruckende Schauspieler

Herab gestuft auf die private Ebene entwickelt der Abend seine Längen. Und die mythologischen sowie mystischen Einsprengsel, etwa der wilde Tanz des Hirten im Glockenkostüm, wirken aufgesetzt.

Das ist bedauerlich, denn einmal mehr ist ein Schauspielensemble zu erleben, das imstande ist, Grosses zu leisten. Bis in die kleineren Nebenrollen hinein – erwähnt seien hier noch Thomas Reisinger als Kreon und Simon Zagermann als Diener – sind Schauspieler zu erleben, die mit höchster Konzentration und Leidenschaft alles geben. Ihnen galt denn auch der verdiente, wenn auch nicht allzu frenetische Schlussapplaus.
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«Ödipus» in einer Bearbeitung von Antonio Latella und Federico Bellini. Theater Basel, Schauspielhaus. Die nächsten Vorstellungen: 8., 14., 26. 28. Februar und im März

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